II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 126

rathen wird und die Entzweiung zweier Freunde
und Parteigenossen zur Folge hat, sowie den selbst¬
gewählten Tod der Schuldigen: das ist ein durchaus
nicht mehr neues Motiv — und es ist nur die Frage, ob es
neu wird durch die Beleuchtung, in die es der Dichter gerückt
und durch die actuellen Interessen, die er damit in Ver¬
bindung gehracht hat. Wollte er uns die Tyrannei schildern,
welche die Partei über ihre Anhänger ausübt, so daß diese
selbst in ihren persönlichsten Angelegenheiten sich dem Willen
derselben unterwerfen müssen, so ist die Thatsache, daß durch
solche Tyrannei ein Duell verhütet wird, nicht geeignet,
sie in einem ungünstigen Lichte erscheinen zu lasseh.
Hängt denn aber
der tragische Ausgang damit
zusammen, daß das Duell nicht zu Stande kam? Wenn
einer der Kämpfer das Opfer derselben geworden wäre, so
hätte Beate auch mehr Anlaß gehabt, sich zu vergiften.
Wenn so der Verkettung der Handlung der dramatische
Zug, die innere zwingende Nothwendigkeit zu fehlen scheint,
so wird dafür die Charakterzeichnung, besonders des Grafen
Kellinghausen und der geistreiche Dialog gerühmt, der viele
brennende Fragen der Gegenwart, besonders die Duellfrage,
in pikanter Weise behandelt. Ob die Rolle der Beate für
die Darstellerinnen die Bedeutung der Magda gewinnen wird,
an die sie in mancher Hinsicht erinnert, ist zunächst fraglich.
Am deutschen Theater gingen schon vor dem Suder¬
mann'schen Stück vier Einacter von Arthur Schnitzler
in Scene, welche den Gesammttitel „Lebendige Stunden“
führen, fein ciselirte Arbeiten von ungleichem Werth Der
erste Eipacter, der den Haupttitel als Specialität hat,
besteht
aus Zeinem Dialog, in welchem ein Wittwer
seinem
Stiefsohn, einem Dichter, mittheilt, die Gattin
hätte sich selbst mit Morphium gelödtet, um ihrem
Sohn, der durch ihr langes Leiden um alle Arbeits¬
fähigkeit gebracht worden, die Ruhe und Kraft zur Arbeit
wiederzugeben. Der Sohn will sich nun ganz wieder seiner
dichterischen Thätigkeit widmen; das begreift der Vater nicht;
er sieht darin Herzlosigkeit und Kälte. Das Hauptmotivi
erinnert an den Selbstmord der Charlotte Stieglitz, die sich
ja auch das Leben nahm, um ihrem Gatten durch diese Auf¬
regung Impulse zu neuem Schaffen zu geben. Das ist eine
undramatische kleine Novelle. Eigenartig ist das zweite
Stück: „Die Frau mit dem Dolche . In einer Gemälde¬
galerie befindet sich eine Frau mit ihrem junger Liebhaber,
der sie bittet, mit ihm zu fliehen; sie erklärt ihm indeß, daß sie an
diesem Abend mit ihrem Gatten abreisen werde. Beide bewundern
ein Bild, eine Frau im weißen Nachtgewande mit dem Dolche;
sie hat große Aehnlichkeit mit der Beschauerin. Diese wird
plötzlich in einen Traumzustand versetzt, sie träumt, selbst
jene Frau mit dem Dolche zu sein; die Bühne verdunkelt sich;
wir sehen den Roman, den die Dame im Traum erlebt. Jene
Zeitgenossin Tizian's liebt einen jungen Maler, den Jünger
ihres Mannes. Doch der Rausch ist verflogen; sie erwartet
die Rückkehr des Gatten von einer Reise. Und der Meister
kommt — sie bekennt ihre Schuld; er will den Schüler
fortjagen, doch sie greift zum Dolch und tödtet ihn. Wie
sie so mit dem Dolche dasteht, nach der schrecklichen
That erscheint sie dem Maler als ein Modell, wie er es für
sein Bild braucht — er greift zum Pinsel und malt sie in
dieser Stellung auf sein Bild. Da wird die Bühne wieder
hell; Mitleid hat die Beschauer mit dem jungen Künstler
ergriffen, der mit ihr fliehen will; sie verzichtet auf die Ab¬
reise mit dem Gatten und giebt dafür dem Geliebten ein
Stelldichein! Also — die mit allerlei Effectmitteln instru¬
mentirte Ouverture für einen Ehebruch! Die „Masken,
das dritte Stück, spielt in einem Krankenhause; ein elender,
verunglückter Journalist sieht dem Tode entgegen; ein halb
genesener Schauspieler sucht ihn vergebens über seinen Zustand
zu täuschen. Da bittet der verkommene Patient, man möchte
einen alten Bekanuten, einen berühmt gewordenen Mode¬
schriftsteller Weinhold, zu ihm rufen und er theilt dem neu¬
gierigen Schauspieler mit, er wolle dem hohlen heuchlerischen
Lumpen das Register seiner Erbärmlichkeiten vorhalten und
ihm mittheilen, daß seine Frau, die er sehr liebt, ihm nicht
treu, sondern seine Geliebte gewesen wäre. Der Schauspieler
beredet ihn, zunächst eine Probe dieser Straspredigt abzuhalten,
wobei er den Andern spielen wolle. Das geschieht mit
vielem Humor, der berühmte Mann erscheint, doch
ist so liebenswürdig und zärtlich, daß der Haß des Todt¬
kranken gegen ihn verraucht und dieser ihn schweigend
anhört. Im vierten Stück: „Literatur“ sehen wir,
wie ein Wiener Baron sich in ein junges Mädchen verliebt,
das den Münchner Schriftstellerkreisen angehört; er will sie
heirathen, verlangt aber von ihr, daß sie nicht weiter schrift¬
stellere, denn sie hat einige sehr compromittirende Dichtungen
geschrieben. Als er von ihr erfährt, daß sie wieder einen
im Druck befindlichen Roman verfaßt hat, will
sich von ihr lossagen. Nach ihm erscheint ein schrift¬
stellerischer College, der früher ihr Freund war und
ihr jetzt seinen neuen Roman mitbringt; er bekennt, daß er
alle mit ihr gewech Liebesbriefe darin verwerthet hat.
Sie erschrickt darüber aufs Aeußerste, denn sie hat eben die¬
selben Briefe in ihren Roman aufgenommen. Jener hat sie
abgeschrieben, ehe er sie abschickte; diese aber hat sie vorher!