II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 148

16.1. Lebendige Stunden zyklus
box 21/2
ition.
dürfen erscheint bei Schnitzler zunächst nicht als ein Elend, eher
als ein Vorrecht. Als freute sich der Mann im Parterre, einen
so guten Platz erwischt zu haben, von dem aus sich alles
trefflich beobachten läßt.
Künstlerdramen haben fast immer den Nachtheil, daß
aus dem gelebten Leben, das man auf der Bühne vor sich
sieht, das Wesentliche, das Künstlerthum, nicht erhellt. Hier,
bei Schnitzler, ist dieser schwere Nachtheil geradezu Postulat
geworden: die innere Antheillosigkeit des Künstlers an dem
Telefon 12801.
Leben, das er führt, an dem Schmerz, der auf ihn ein¬
stürmt, gilt es darzuthun. Man muß es ihm also
glauben, daß seine Künstler Künstler sind, oder man
Alex. Weigl's Unternehmen für Zeitungs-Aussch
müßte zu dem Rückschluß fähig sein: Ahl ein Theilnahm¬
Ausschnitt
loser, also ein Künstler. Beides heißt von dem Zuschauer
mehr verlangen, als er zu leisten gewillt sein dürfte.
„OBSERVET: Nr.
Nur die That überzeugt auf der Bühne. In einem
I. österr. behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalng
Garten vor der Stadt „Lebendige Stunden") sitzen zwei
Männer einander gegenüber, beide von demselben Todesfall
Wien, IX, Türkenstrasse 17
betroffen. In der Toten hat der eine die Getiebte früherer
Filiale in Budapest: „Figyeló“ —
Tage, die Freundin seines Alters, der andere die Mutter
verloren. Und den alten Mann verbittert das Leid, wie er
Vertretungen in Berlin, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris, Rom,
den leicht getrösteten Kummer des Jünglings sieht, und er
theilt ihm mit: deinetwillen hat sich deine Mutter selbst den
Ausschnitt aus:
Tod gegeben, damit du Ruhe für deine Arbeit findest. Auch
das wird der Jüngling verwinden, — muß er verwinden,
Die Nation, Berlin
will er das Opfer werth sein. Die Mittheilung selbst wirft
vom
ein Licht auf den Charakter des alten Mannes. Aber der
Jüngere? Er ist ein Dichter.
700
Nicht jede That überzeugt auf der Bühne, sondern
eben nur die, die aus einem Charakter organisch erwächst.
Der Maler Remigio („Die Frau mit dem Dolche") ist von
eigter Reise heimgekehrt, er will sein Weib in seine Arme
jschließen, da gesteht sie ihm ein, daß sie ihm untreu gewesen.
Er weist sie wie ihren Liebhaber verachtungsvoll von sich.
Doch da der sein Leben bedroht, greift das Weib zum
Dolch und stößt den Bul#en nieder. Wie Remigio sie so
dastehen sieht, die Augen schreckensvoll geöffnet, den bluten¬
den Dolch in der Hand, tritt er an ihr halbvollendetes
Theater.
Bildniß und malt und malt. Aber sein Malen überzeugt
nicht, denn man weiß nichts von ihm, als daß er ein Theil¬
(Deuisches Theater: „Lebendige Stunden“. Vier Einakter von Arthur Schnitzler.)
nahmloser ist.
„Lebendige Stunden? Sie leben doch nicht länger,
In einen seltsamen Rahmen hat Schnitzler dies Bild
als der Letzte, der sich ihrer erinnert. Es ist nicht der
aus dem Venedig des 10. Jahrhunderts eingeschlossen. In
schlechteste Beruf, solchen Stunden Dauer zu verleihen,
einen Rahmen, den Theorie ersonnen. Nichts als ein jähes,
über ihre Zeit hinaus.“ Nur daß der Künstler, der der
geheimnißvolles Erinnerungsbild war die Scene aus dem
flüchtigen Stunde solches Leben verleiht, die Stunde selbst nicht
Venedig der Renaissance. Eine Frau aus unseren Tagen,
lebt. Der Drang zu erfassen, zu gestalten erstickt in ihm
die Gattin eines Dichters, der ihr seelisches Leben grausam
die persönliche Antheilnahme. Wirklichkeit wird Phantasie,
in einem Drama preisgegeben, hat mit ihrem Liebhaber in
und Phantasie wird Wirklichkeit. Das Leben, das er führt,
einer Bildergallerie ein Stelldichein. In einer „Frau mit
objektivirt sich ihm, die Gebilde seines Innern treten
dem Dolche" dem Gemälde eines unbekannten Meisters
trennend zwischen ihn und die Gefährten seiner Tage. „Er
um 1530, erkennt sie ihr Selbst aus vergangenen Tagen
scheint sich uns zu nahn, und bleibt uns fern; Er scheint
wieder, Erinnerungen erwachen, was sie in ihrer Präexistenz
uns anzusehn, und Geister mögen, An unsrer Stelle selt¬
erfahren, jener Treubruch und jene Mordthat, wird ihr
sam ihm erscheinen.“
deutlich. Sie fühlt das gleiche Schicksal wie damals über
Ein Zuschauer nur. Viel von dem Elend des
sich, sie gibt dem Werben des Liebhabers Gehör.
Künstlerthums ist in diesem einen Wort. Das höchste Opfer ist
Ungleich tiefer als in „Lebendige Stunden“ ist das
erheischt: das Selbst des Künstlers. Das ist ein Wesenszug
Problem in dieser „Frau mit dem Dolche“ erfaßt. Die
in Goethes Leben: er bringt dies Opfer immer wieder,
Theilnahmlosigkeit des Künstlers treibt die ihm Nahestehenden
opfert die Geliebte, opfert den Schmerz um seine Toten,
in ihr Schicksal. Er selbst wird zu einem Vampyr, der
und eben dadurch, daß er das alles heitren Sinnes, aus
das Blut für die Gebilde seiner Phantasie aus dem Herzen
sich selbst heraus thut, bewahrt er sein Selbst auch der
derer sangt, die ihn lieben. Die Stimmungskraft entspricht nicht
Kunst gegenüber. Geringere werden von ihr aufgezehrt.
dem Aufwand an Mitteln, aber es ist doch Stimmung da.
Sie werden sich selbst „Problem“ und die ihnen Nahe¬
Die Psychologie des Künstlers, auf die es ankommt, ist in
stehenden werden ihnen „Modell“. Das Leben ein Schau¬
den Eierschalen der Theorie stecken geblieben, aber diese
spiel nur, das sie von dem Parterre aus studieren.
theoretische Psychologie löst doch in den Nebenpersonen
133)
Arthur Schnitzlers neue Einakter „Lebendige Stunden“.
psychologisch interessante Vorgänge aus. Der Eindruck ist
behandeln dies Problem des Künstlerthums. Sie fassen es
ein gedanklicher, aber das Schauspiel bleibt nicht ganz ein¬
druckslos.
allgemeiner als es wohl richtig ist, — wie ich es noch eben,
seine Ansicht zu deuten, als allgemein giltig ausgesprochen
Vielleicht liegt diese Neigung, gedanklichen Conceptionen
shabe. Und merkwürdig genug! Dieses Sichselbstnichtleben¬
nachzugehen, im Zug unserer Tage. Hauptmann war ihr
unterlegen, nun Schnitzler auch. Die Reaktion auf einen
*) Das Buch ist soeben im Verlag von S. Fischer, Berlin,
gedankendürren Realismus konnte nicht ausbleiben, — heut
erschienen.
kleiden sich die eben noch verpönten Gedanken in etwas wie
P