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wod
Leb
16.1. Lebendige stunden zyklus
box 21/2
der farbenfrohen Renaissane=Epoche, übberrascht sein Weib mit einem
seiner Schüler. Die Ungetreue hat den Mut, die Schuld zu ge¬
stehen, und als Remigio zögert, an dem Räuber seiner Ehre Ver¬
geltung zu üben, stößt sie selbst dem Geliebten den Dolch in die
Brust. Der Anblick des rächenden Weibes weckt den großen Künst¬
Telephon 12801.
ler in Remigios Brust. — er malt die „Frau mit dem Tolche“,
sein Meisterstück. Die Vision verschwindet, die Gegenwart tritt
Alex. Weigl’s Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
wieder in ihre Rechte. Wie aus einer Erstarrung erwacht Pau¬
line und verspricht Leonhard, dessen Züge der eben Erdolchte
Ausschnitt
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trug, ihn am Abend zu besuchen. Aus dem Traumbild wird
„103,OBSERYEH
Wahrheit werden ...
Nr. 6
I. österr. behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
„Die letzten Masken“ = Krankenhaus=Milieu. Im Ho¬
spital liegt sterbend der Journalist Rademacher. Er war ein
Wien, IX/1, Türkenstrasse 12.
starkes, tiefes, feines Talent, dem zum Vollbringen nur jenes
Filiale in Budapest: „Figyelö“ -
kleines Etwas fehlte, das man Glück nennt. Glück aber hat sein
Freund Weihgast, das Prototyp schwachköpfiger Halbheit, in un¬
Vertretungen in Berlin, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris, Rom, Stockholm.
verdientem Maße. Während Rademacher hungrig beiseite stehen
mußte, durfte jener an den reichen Tischen des Lebens schwel¬
gen und in satter Selbstgefälligkeit sich in der Gunst der Menge
Ausschnitt aus:
spiegeln. Und doch hat die ausgleichende Gerechtigkeit gewaltet
Rademachers Leben ist nicht ganz arm gewesen, denn des
Frankfurter Jour l
Freundes Weib, das des Gatten innere Leerc erkannte und ihn
vom:
verachtete, hat den Sonnenschein hineingetragen, ist des armen
Teufels Geliebte gewesen. Rademacher liegt im Sterben, und nun,
1102
da dieses elende Dasein sich dem Ende neigt, will er Abrechnung
halten, will er dem einstigen Genossen ein mal, nur ein einziges
Mal die ganze nackte Wahrheit ins Gesicht schleudern. Wie er
ihm alles vorhalten, was er sagen wird, das zeigt er in einer be¬
wegten Szene einem Spitalgenossen. Aber dann kommt Weihgast,
und vor seiner banalen Freundlichkeit und mitleidensvollen Milde
hält Rademachers Ingrimm nicht stand; aus der Verachtung, die
(Nachdruck verboten)
er für des anderen Wesen empfindet, erwächst ihm ein höherer
Berliner Theaterbrief.
Gesichtspunkt, der ihn über kleinliche Rachegelüste, über mensch¬
liche Schwäche hinaushebt. Das Wort bleibt ungesprochen, aber
Von Spectator.
auch ungesprochen hat es Rademacher die innere Befreiung ge¬
Der Höhepunkt der Saison ist überschritten, die meisten „gro¬
bracht, und friedlich lehnt er sich zurück und stirbt.
ßen“ Premieren, jene Leckerbissen für das Theaterpublikum, das
„Die letzten Masken“ sind das wertvollste der vier Stücke,
sich das „litterarische“ nennt, sind gewesen. Sie haben in diesem
sie wirken am unmittelbarsten und fanden auch den stärfsten Er¬
Jahre mehr Enttäuschung als Freude gebracht und aufs neue
folg. Und mit einer tollen Satire klang dann der Abend har¬
bewiesen, daß unsere dramatischen Tichterherven eigentlich nur schwer
monisch aus, mit dem Schwank „Litteratur“ der mit köst¬
frische Lorbeern zu den halb verdorrten zu fügen vermögen.
licher Laune die Münchener Schriftsteller=Boheme schildert. Das
Gerhart Hau ptmanns „Der rote Hahn“ wurde im
übermütige Werkchen gipfelt in einer originellen Enthüllung: ein
„Deutschen Theater“ abgelehnt — auch die enragiertesten Mit¬
Schriftsteller und eine Schriftstellerin, die einst ein verstwiege¬
glieder der Hauptmann=Gemeinde mußten zugeben, daß „ihr“ Autor
nes illegitimes Glück genossen, haben ihre Erfahrungen von damals
diesmal weitab vom Schwarzen getroffen. Aber, wie Reuter sagt:
in Romanen verwertet und haben beide in diesen Romanen auch
„Wat den einen sin Uhl, is den andern sin Nachtigall“ — der
ihren Briefwechsel von damals wörtlich zum Abdruck gebracht.
kurzlebige „Rote Hahn“ kam Arthur Schnitzlers „Lebendi¬
So droht das frühere Verhältnis an den Tag zu kommen und
gen Stunden“ zugute die auf diese Weise schneller, als beab¬
einen bösen Strich durch die beabsichtigte Heirat der Federheldin
sichtigt, das Licht der Lampen erblicken konnten. Und Schnitzler
mit einem Baron zu machen, aber durch einen schlau ersonnenen
erwies sich als der Retter und Befreier, der da kam, um die
Trie wird im letzten Augenblick noch illes zumGuten gekehrt, und
leere Theaterkasse zu füllen; seiner Einaktertetralogie lachte die
die Heirat kann stattfinden. Schnitzler hat in seinen „Lebendigen
Sonne des Erfolges, und willig folgte man den Stimmungen,
Stunden“ wieder aus dem Vollen geschöpft und in dem Publikum
die er anklingen ließ. Auf gemeinsamer Basis sind diese vier
eine willige Geleitschaft gefunden, die ihm dankbar durch dick
kleinen Stücke entstanden — sie schildern alle das Leben in der
und dünn, durch alle Stimmungen folgte und allen das rechte
Verständnis
Kunst, das Leben der Künstler und versuchen, mit innigem Sich¬
entgegentrug. Er darf zufrieden sein, und wir dürfen
es auch.
versenken in eine Sphäre, psychologische Probleme zu lösen, wie
sie eben aus dem Gegensatze zwisthen künstlerischem Wollen und
menschlichem Können, aus dem Zusammenprallen von ideellen und
AS
materiellen Interessen heraus geboren werden. Der erste der vier
Einakter: „Lebendige Stunden“, der dem Cyklus den Na¬
men gegeben, war der einzige, der nicht so sehr ansprach. Denn
hier handelte es sich weniger um ein Erlebnis, das sich vor
den Augen des Zuschauers abspielte, als um eine Erzählung dieses
Erlebnisses — das Ganze war mehr theoretisch gegeben und ver¬
mochte darum keine tiefere Wirkung auszuüben. Der Stoff an sich
ist dabei packend genug: Die Mutter eines Künstlers, die durch
langes Siechtum an das Krankenlager gefesselt ist, giebt sich selbst
den Tod, um den geliebten Sohn von dem seelischen Druck zu
befreien, den die Krankenpflege auf ihn ausübt, um ihn wieder
frei zu machen für seine Kunst. Diese heldenmütige Opferthat
mußte auf der Bühne gezeigt werden, statt dessen aber erfahren
wir sie durch den Mund eines mitwissenden Freundes, der sic dem
Sohne erzählt und damit wahrscheinlich das Opfer in seinen er¬
lösenden Folgen illusorisch macht.
In eine Gemälde=Gallerie führt uns „Die Frau mit dem
Dolche“ Hier trifft sich Pauline, die Frau eines Künstlers,
mit dem Manne, der sie für sich gewinnen möchte; noch schwankt
sie in dem anerzogenen Gefühl ehelicher Treuc, ob sic ihm ge¬
währen solle, wonach er so heiß begehrt. Das alte Bild einer
„Frau mit dem Dolche“ zieht sie mächtig an, und in einer
Vision sieht sie das Schicksal jenes Bildes. Remigio, ein Maler
—
*) Die Geschichte dieser altchristlichen Stätte ist niedergelegt in
dem empfehlenswerten Büchlein „Die Not Gottes“ im Kirchenwald
bei Auerbach (Hessen) von Dr. Karl Eigenbrodt, Pfarrer zu Auer¬
#ech (Tarmstadt, Wait, 1896.)
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Leb
16.1. Lebendige stunden zyklus
box 21/2
der farbenfrohen Renaissane=Epoche, übberrascht sein Weib mit einem
seiner Schüler. Die Ungetreue hat den Mut, die Schuld zu ge¬
stehen, und als Remigio zögert, an dem Räuber seiner Ehre Ver¬
geltung zu üben, stößt sie selbst dem Geliebten den Dolch in die
Brust. Der Anblick des rächenden Weibes weckt den großen Künst¬
Telephon 12801.
ler in Remigios Brust. — er malt die „Frau mit dem Tolche“,
sein Meisterstück. Die Vision verschwindet, die Gegenwart tritt
Alex. Weigl’s Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
wieder in ihre Rechte. Wie aus einer Erstarrung erwacht Pau¬
line und verspricht Leonhard, dessen Züge der eben Erdolchte
Ausschnitt
44
trug, ihn am Abend zu besuchen. Aus dem Traumbild wird
„103,OBSERYEH
Wahrheit werden ...
Nr. 6
I. österr. behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
„Die letzten Masken“ = Krankenhaus=Milieu. Im Ho¬
spital liegt sterbend der Journalist Rademacher. Er war ein
Wien, IX/1, Türkenstrasse 12.
starkes, tiefes, feines Talent, dem zum Vollbringen nur jenes
Filiale in Budapest: „Figyelö“ -
kleines Etwas fehlte, das man Glück nennt. Glück aber hat sein
Freund Weihgast, das Prototyp schwachköpfiger Halbheit, in un¬
Vertretungen in Berlin, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris, Rom, Stockholm.
verdientem Maße. Während Rademacher hungrig beiseite stehen
mußte, durfte jener an den reichen Tischen des Lebens schwel¬
gen und in satter Selbstgefälligkeit sich in der Gunst der Menge
Ausschnitt aus:
spiegeln. Und doch hat die ausgleichende Gerechtigkeit gewaltet
Rademachers Leben ist nicht ganz arm gewesen, denn des
Frankfurter Jour l
Freundes Weib, das des Gatten innere Leerc erkannte und ihn
vom:
verachtete, hat den Sonnenschein hineingetragen, ist des armen
Teufels Geliebte gewesen. Rademacher liegt im Sterben, und nun,
1102
da dieses elende Dasein sich dem Ende neigt, will er Abrechnung
halten, will er dem einstigen Genossen ein mal, nur ein einziges
Mal die ganze nackte Wahrheit ins Gesicht schleudern. Wie er
ihm alles vorhalten, was er sagen wird, das zeigt er in einer be¬
wegten Szene einem Spitalgenossen. Aber dann kommt Weihgast,
und vor seiner banalen Freundlichkeit und mitleidensvollen Milde
hält Rademachers Ingrimm nicht stand; aus der Verachtung, die
(Nachdruck verboten)
er für des anderen Wesen empfindet, erwächst ihm ein höherer
Berliner Theaterbrief.
Gesichtspunkt, der ihn über kleinliche Rachegelüste, über mensch¬
liche Schwäche hinaushebt. Das Wort bleibt ungesprochen, aber
Von Spectator.
auch ungesprochen hat es Rademacher die innere Befreiung ge¬
Der Höhepunkt der Saison ist überschritten, die meisten „gro¬
bracht, und friedlich lehnt er sich zurück und stirbt.
ßen“ Premieren, jene Leckerbissen für das Theaterpublikum, das
„Die letzten Masken“ sind das wertvollste der vier Stücke,
sich das „litterarische“ nennt, sind gewesen. Sie haben in diesem
sie wirken am unmittelbarsten und fanden auch den stärfsten Er¬
Jahre mehr Enttäuschung als Freude gebracht und aufs neue
folg. Und mit einer tollen Satire klang dann der Abend har¬
bewiesen, daß unsere dramatischen Tichterherven eigentlich nur schwer
monisch aus, mit dem Schwank „Litteratur“ der mit köst¬
frische Lorbeern zu den halb verdorrten zu fügen vermögen.
licher Laune die Münchener Schriftsteller=Boheme schildert. Das
Gerhart Hau ptmanns „Der rote Hahn“ wurde im
übermütige Werkchen gipfelt in einer originellen Enthüllung: ein
„Deutschen Theater“ abgelehnt — auch die enragiertesten Mit¬
Schriftsteller und eine Schriftstellerin, die einst ein verstwiege¬
glieder der Hauptmann=Gemeinde mußten zugeben, daß „ihr“ Autor
nes illegitimes Glück genossen, haben ihre Erfahrungen von damals
diesmal weitab vom Schwarzen getroffen. Aber, wie Reuter sagt:
in Romanen verwertet und haben beide in diesen Romanen auch
„Wat den einen sin Uhl, is den andern sin Nachtigall“ — der
ihren Briefwechsel von damals wörtlich zum Abdruck gebracht.
kurzlebige „Rote Hahn“ kam Arthur Schnitzlers „Lebendi¬
So droht das frühere Verhältnis an den Tag zu kommen und
gen Stunden“ zugute die auf diese Weise schneller, als beab¬
einen bösen Strich durch die beabsichtigte Heirat der Federheldin
sichtigt, das Licht der Lampen erblicken konnten. Und Schnitzler
mit einem Baron zu machen, aber durch einen schlau ersonnenen
erwies sich als der Retter und Befreier, der da kam, um die
Trie wird im letzten Augenblick noch illes zumGuten gekehrt, und
leere Theaterkasse zu füllen; seiner Einaktertetralogie lachte die
die Heirat kann stattfinden. Schnitzler hat in seinen „Lebendigen
Sonne des Erfolges, und willig folgte man den Stimmungen,
Stunden“ wieder aus dem Vollen geschöpft und in dem Publikum
die er anklingen ließ. Auf gemeinsamer Basis sind diese vier
eine willige Geleitschaft gefunden, die ihm dankbar durch dick
kleinen Stücke entstanden — sie schildern alle das Leben in der
und dünn, durch alle Stimmungen folgte und allen das rechte
Verständnis
Kunst, das Leben der Künstler und versuchen, mit innigem Sich¬
entgegentrug. Er darf zufrieden sein, und wir dürfen
es auch.
versenken in eine Sphäre, psychologische Probleme zu lösen, wie
sie eben aus dem Gegensatze zwisthen künstlerischem Wollen und
menschlichem Können, aus dem Zusammenprallen von ideellen und
AS
materiellen Interessen heraus geboren werden. Der erste der vier
Einakter: „Lebendige Stunden“, der dem Cyklus den Na¬
men gegeben, war der einzige, der nicht so sehr ansprach. Denn
hier handelte es sich weniger um ein Erlebnis, das sich vor
den Augen des Zuschauers abspielte, als um eine Erzählung dieses
Erlebnisses — das Ganze war mehr theoretisch gegeben und ver¬
mochte darum keine tiefere Wirkung auszuüben. Der Stoff an sich
ist dabei packend genug: Die Mutter eines Künstlers, die durch
langes Siechtum an das Krankenlager gefesselt ist, giebt sich selbst
den Tod, um den geliebten Sohn von dem seelischen Druck zu
befreien, den die Krankenpflege auf ihn ausübt, um ihn wieder
frei zu machen für seine Kunst. Diese heldenmütige Opferthat
mußte auf der Bühne gezeigt werden, statt dessen aber erfahren
wir sie durch den Mund eines mitwissenden Freundes, der sic dem
Sohne erzählt und damit wahrscheinlich das Opfer in seinen er¬
lösenden Folgen illusorisch macht.
In eine Gemälde=Gallerie führt uns „Die Frau mit dem
Dolche“ Hier trifft sich Pauline, die Frau eines Künstlers,
mit dem Manne, der sie für sich gewinnen möchte; noch schwankt
sie in dem anerzogenen Gefühl ehelicher Treuc, ob sic ihm ge¬
währen solle, wonach er so heiß begehrt. Das alte Bild einer
„Frau mit dem Dolche“ zieht sie mächtig an, und in einer
Vision sieht sie das Schicksal jenes Bildes. Remigio, ein Maler
—
*) Die Geschichte dieser altchristlichen Stätte ist niedergelegt in
dem empfehlenswerten Büchlein „Die Not Gottes“ im Kirchenwald
bei Auerbach (Hessen) von Dr. Karl Eigenbrodt, Pfarrer zu Auer¬
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