II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 172

Feuilleton.
Berliner Theaterbrief.
„Lebendige Stunden“. („Lebendige Stunden“
„Die Frau mit dem
Hölise“.
„Die letzten Misen“ — Literatur") Vier Einakter von Arthur
Schnitzher (Deutsches Tueater.)
— Ernst v. Wolzogen's „Buntes
Theater“ in der Kövenickerstraße — Des lustigen Eheminns Glück und Ende.
— Otto Julius Bierbaum und der Krach des Trianon=Tbeaters.
— „Die Wohlthäter", Lustsoiel in fum Alten von Adolf L'Arronge.
(Lessing=Theater)
Den „Schleier der Beatrice" bekommen auch wir Berliner nicht
zu sehen. An solcher Aufgabe erlahmt wie Schlenther's Wagemuth,
der seines früheren Schlachtgenossen Brahm, und man begnügt sich,
weil Schnitzler doch immerhn eine der letzten Säulen der allen
gralistischen Pracht ist mit der Aufführung seiner „Lebendigen
(Stunden“ die er Handvoll erklügelter und mühselig ausgefeilter
Einakter. Aus dem Tode sprießt junges Leben auf. Gerade der Tod
weckt das Leven. Und Tod ist häufig lebendiger als das Leben,
zumal wenn es sich äffisch spreizt und in theatralischer Aktionspose
seine Kraft verpulvert Das erste von den vier Stücken, in denen
Schnitzter sein neues Stück gibi, varurt das Thema von der Dame
Stieglitz, die sich erschoß, um ihrem Gatten eine Nervenerregung
und damit schöpferisches Vermogen zu bescheeren. Bei Schnitzer
begeht Mütterchen Selbstmord, weil sie weiß, daß ihre langwierige
Krankheit alle Arbeitsfreude des Sohnes gelähmt hat. Aber ich fürchte,
ihr Opfer war umsonst. Dieser molluskenreiche Schwätzer von Sohn
würde selbst durch eine Hekatombe nicht zum Adler werden. Weiter
als in den „Lebendigen Stunden“, die dem Cyklus seinen Namen
gegeben haben, spannt Schnitzler die Shwingen in der „Frau
mit dem Dolche". Aber auch hier bleibt das Erlebniß todt;
statt des packenden Wirklichkeitsbildes sehen wir eine er¬
zwungene, kalte Künstelei. Wir vermögen nichts gegen unser
Schicksal, so lehrt der Poet. Im dunklen Drange folgen wir unserm
Stern; ob er uns in Sumpfe oder auf godene Auen führt, wir wissen
es nicht und können wenig dazuthun. Eine Dame hat sich in der
Gemäldegalerie das entscheidende Stelldichein mit dem Jüngling
gegeben, an den sie nur neugieriges, flüchtiges Inieresse, keine Liebe
bindet. Gemeinhin benützt man ja Budermuseen nicht zu zärtlichen
Verabredungen, da es dort keine Sicherheit vor Besuchern und Dienern
mbt Schnitzler braucht inden das Gemälde der Frau mit dem Dolche,
um seine Theie zu entwickeln. Die Ehebrecher'n siebt träumend in
diesem Bude ihr Schicksal Des berühmten Malers Remigio Frau
schenkie während der Abwesenheit des Gatten einem Fant ihre Gunst,
um ihn am nächsten Morgen zu erdolchen und dem Betrogenen Alles
zu gestehen. Remigio sagte kein Wort, sondern malte nur — malte
die später hochberühmt gewordene Fran mit dem Dolche.
„Ich
komme heut Abend,“ flüsert Madame dem überglücklichen Knaben zu,
als sie aus langem Traum erwacht. So klar die Symbolik dieser
Siene ist, so wenig reißt ihre Pantasiefülle hin. Sie fügt sich
zu einem übersinnlich poetischen Spiele, das sich doch nur an
unsern Intellekt wendet, die stillen Gefilde des Gemüthes da¬
gegen nicht berührt Plastischer ringt sich der Grundgedanke
des Dichters in den „Letzten Masken“ durch. Ein armes
Talent will im Allgemeinen Krankenhause zugrunde gehen. Da erfaßt
ihn kurz am Verlöschen das dämonische Begehren, der aufgeblasenen
Tazesgröße soundso, dem ehemaligen Freunde, seine wilde Verachtung
ins Gesicht zu schleudern. Den Hohlkopf im Innersten zu treffen da¬
durch daß er ihm von einer verbotenen Liebe erzählte, der seine Frau
sich jan hzend in die Arme geworfen hat. Als der kleine große Mann
dann aber am Krankenbeite sitzt, da vergeht dem Sterbenden die Lust,
sich an diesem Armseligen zu rächen, und er scheidet lächelnd Gegen
die Technik dieses auch sehr sauber und elegant gearbeiteten Aktes ließe
sich vielleicht Manches einwenden, immerhin macht es einen starken
Eindruck und fesselt trotz des verschrobenen Vorwurses Die be¬
freiende Lustigkeit ist dann der Schlußakt „Literatur“, der Kampf um
einen erlebten Roman, den die Verlobte geschrieben hat, der Verlobte
einstampfen lassen will. Der Schreibzigeuner, Frau Margareihens
Geliebter von anno dazumal, bringt sie zum Verzicht auf ihre ehr¬
geizigen Pläne, und feine Weiberlist lullt das Mißtrauen des
Bräutigams wieder ein Es ist viel ergötzlicher Literaturulk in dem
Werke, und wer den Kaffeehausklatsch genau kennt, die boshaften An¬
spelungen allesammt versteht, der wird sich trefflich bei der lustigen
Plauderei amüsiren. Für das große Publikum jedoch wird „Literaiur“
zwar nicht zu literarisch, aber eben zu sehr literarisch sein.
Schnitzler's Schöpfung wur der Höhepunkt unserer letzten vier
Theaterwochen, trotz alledem. Die dramatische Muse leidet heuer
offenbar an Entkräftung; die Ueberbrettelei und das Cabarets-Gründungs¬
fieber nehmen ihr die Nahrung vom Munde fort Dabei haben diese
Neidharte selber bitter mit der Noth des Daseins zu kämpfen. Ernst
v. Wolzogen's reizendes Kausperhäuschen im fernen Osten der
Kopenickerstraße will sich nicht füllen, trotz der Hexen= und Hexenmeister¬
künste, die er erprobt. Lole Fuller und die Tokioer Schauspielertruppe
mit der „japanischen Duse“ an ihrer Spitze — sie vermochten die ins
Wanken gerathene Schlochtlinie nicht wieder herzustellen Noch immer
fehlen die pomphaft angekündigten Ueberraschungen, der Ersatz für den
„Lustigen Ehemann“ der vor Jahresfrist die öde Sezessionsscheune am
Alexinderplatze bis auf den letzten Sitz füllte. Und auch der Verfasser
des „Lustigen Ehemannes“ der übrigens Gottfried August Bürger
gar nicht sehr frei benutzt hat. ist mit seinem Trianon=Theater bröhnend
abgefallen. Otto Julius Bierbaum nahm einen abscheulichen Saal,
dessen Fortsetzungen sich unter Stadibahnoögen verkriechen, und machte
aus dem Ganzen einen unheimichen Horst des Pienegeiers.
Wer zärtlich Trianons gedenkt, der galanten, von alten Bäumen
umrauschten, weihergeschmückten Stätte, der vermeide ängstlich, den
Jammerakt zu schauen, welchem Bierbaum einen so lockenden Namen
gab Die Dardietungen machten leider dem Saal alle Ehre. Feine
Lyrik, Sommungszaubereien und Menuetie passen schlech“ zum
Knattein und Rollen von Stadtbahnzügen — und doch hätte beblicher
Musensang das drutale Geräusch der Großstadt vergessen machen.
Otto Julius Bierbaum fand jedoch keinen Teesser Mit Ausnahme
des hübschen, nur allzuviel versprechenden Prologes den Sie neulich
hier abdruckten, erwies sich jede Nummer als Riete. Ein ganz undra¬
matisches, geziertes „Singspielchen“ in drei Aufzügen besiegelte die
Niederlage Man schrie und lachte in das Veregeklingel hinein und
der Backpflaumenmann, der in dem Singspielchen die ausgiebige
Hauptrolle mimte, dürfte Gott dafär danken, daß der weihnachtliche
Massenverbrauch an Aepfeln die Zuhörer daran hinderte, ihn ver¬
schwenderisch mit dieser auf der Bühne sehr unbeliebten Frucht zu
beschenken.
Von wirklichen Novitäten ist, wie gesagt, in Folge des Ueber¬
brettitaumels diesmal kaum etwas zu sehen gewesen. Sogar das
königliche Schauspielhaus, das sonst am Syloesterabend regelmäßig eine
lustige Neuheit herausbringt, griff heuer auf Shakespeare zurück. Blos
im Lessing=Theater gab man sich den Anschein, als lasse man alle
Puppen tanzen. Adolf L'Arronge erschien mit einem Drama „Die
Wohlthäter“, welches uns für neu verkauft wurde, sich jedoch schon im
ersten Akte als ein dünner Aufguß früherer Thee=Ernte des beliebten
Unfors erwies (Nissel's „Wohlthater“, sein Erstling, behandelt
hieselbe Idee.) Die Wohlthäter, das sind Menschen, deren bebauerns¬
werthe Opfer Tag für Tag vorgerechnet bekommen, was sie dem gütigen
Geber Alles verbanken Selbst die Poulards mit Spargel, die der
junge Held frözlich zu Mittag verspeist, sind eine Wohlthat und aus
Der Tasche des S dwiegervaters bezahlt Emtsetzlich seuszt und stöhne
der Heid unterm Johe. Und keine Aussicht, es abzuschülteln! Glück¬
licherweise hält L’Arronge für so verzweifeite Fälle immer eine Erb¬
schaft, eine Transojalm ne oder ein mit Banknoten bis an den Rand
gefülltes Portefeulle bereit. In den „Wohlthätern“ war er sogar
ariginell; hier erwischt der Gequälie zwischen dem vierten und fünften
Akte eine unglaublich gut bezahlte Stellung, die es ihm ermöglicht,
seine Drangialirer aus dem Hause zu werfen und sich auf eigene
Kosten in Poulards mi Spargel zu vertiefen Es war ein genußreicher
Abend, aber nur für den, der noch nie etwas von L'Arronge genossen
hat. Zum achtenmale aufgewärmie Ponlards mit Bruchspargel. Die
Poularos: biedermeierisch langwierige Szenenführung mit grausam all¬
löglichem Dialog; der Bruchspargel: L'Arronge'scher gemüthooller
Humor ... Es war kein genußreicher Abend, Sie dürfen es mit
glauben.
Richard Nordhaufen.