II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 196

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16.1. Lebendige stunden zvkIus
eine Aethiopin Pula alle in derselben ehebrecherischen
r bringen könnte. Das winzige Stück
Situation bewundert haben, möglicherweise bis in die
als eine Schwätzerei über das Problem,
Affen=Vörzeit zurück. Daß uns der Dichter das erspart
staltung des Themas, ein dürftiges
hat, zeugt von einem gewissen Edelmut. Gern erkenn'
r kein Drama.
ich an, was irgendwie anzuerkennen ist.
fflächlich, ebenso spielerisch ist der Ein¬
u mit dem Dolche“ gehalten. Schnitzler
mit dem Thema der Seelenwanderung.
Erst im dritten Einakter, in den „Letzten Masken“
bringt, kommt über ein paar lebende
zeigt Schnitzler, daß er in all seiner Enge doch ein
inaus. Frau Pauline giebt sich mit
echter Künstler ist, daß er hier und da etwas Eigenes
r in einer Gemäldegalerie ein Stell¬
zu sagen hat. Freilich in der Theaterei bleibt auch
Bild „Die Frau mit dem Dolche“ erregt
diese Miniaturdichtung stecken; nur die Künstlergattung
sie findet eine Aehnlichkeit zwischen den
à la Schnitzler bringt eine derartige Scene auf die
Zügen der Frau, die ein florentinischer
Bühne. Ein Journalist liegt sterbend im Spital. Ver¬
vierhundert Jahren gemalt hat. Und
pfuscht scheint ihm das Leben, das er gelebt. Mit
schauert sie die Gewißheit, daß sie
Neid gedenkt er des Freundes, der einst mit ihm zu¬
nihrer Vorleben jene Frau gewesen
gleich in den Kampf um den Erfolg eingetreten,
wandelt sich die Scene und mit ihr
aber siegreich geblieben und „Liebling des Publikums“
in die Florentinerin Paula. Auch
geworden ist. Eine wilde Lust packt den Sterbenden,
as Leben ohne ein bißchen Ehebrecheln
in letzter Stunde an dem glücklichen Mitkämpfer das
rt. Aber als sie sich zwischen Mann
verpfuschte Dasein zu rächen. Er weiß ein Geheimnis,
entscheiden soll, zieht sie den Gatten
dessen Enthüllung den „Freund“ tötlich treffen muß.
ihn der Liebhaber mit dem Tode be¬
Und in der That, er läßt den „großen Dichter“ zu
sie den unbequem Leidenschaftlichen.
sich bitten, um ihm mit hämischer Lust den Schlag
lt sich die Scene und mit ihr Paula
zu versetzen. Als aber der Herbeigerufene vor ihm
kuline. In den vier Jahrhunderten
steht, erkeimnt der Sterbende, wie sehr auch dieser
und 1900 hat die edle Dame nicht
Erfolgsmann von Lebensängsten gequält wird, wie
lch das eine gelernt, daß ein lebender
sehr auch dieser Sieger zu ringen und zu tragen
er ist als ein toter. Infolgedessen er¬
hat. Es lohnt sich nicht, ihm den Stoß zu versetzen,
Liebhaber von 1900 nicht, sondern gewährt
für den das Schicksal selbst schon sorgen wird. Lohnt
s er verlangt. An der ganzen Geschichte
sich am wenigsten für den, der morgen im Lande des
e tröstlich, daß Schnitzler die Nichtigkeit
Todes sein wird und all den Lebenden bereits wie
ster in die Vergangenheit fortspinnt. Ein
Die ethische Welt¬
ein Fremder gegenübersteht.
tzen erfüllte mich bei dem Gedanken,
anschauung, die hier zum Ausdruck kommt, ist siche lich
werde sich nun auch die Florentinerin
nicht die höchste, aber an der Oberfläche liegen ihre
n, daß sie schon einmal im alten Rom
Wurzeln nicht. Und jedenfalls hat sie Schnitzler in
ehebrucht“ habe. Schließlich würden wir
Hebräerin Saula, eine Indierin Pala, lebendig packender Weise, stimmungsmächtig und in
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den Einzelheiten mit psychologischer Gestaltungskraft
zum Ausdruck gebracht.
Mit dem Titel „Litteratur“ den am besten das
ganze Quartett führen sollte, paradiert der letzte der
vier Einakter. Schnitzler wollte den Beweis liefern,
daß er bei all seiner Milde, Weichheit, Zartheit auch
boshaft, giftig boshaft sein kann. Boshaft freilich nur in
den beschränktesten Grenzen — gegen die lieben littera¬
rischen Kollegen, gegen die Kneipengenies und Kaffeehaus¬
Shakespeares. Daß Arthur Schnitzler ein Nächst¬
verwandter dieser Leute ist, das weiß er natürlich
nicht, nichts davon, daß er ein wenig in Selbst¬
porträtierung macht. Jeder von diesem Völkchen
sieht immer nur im andern den Hampelmann,
er selbst steht über der Masse. Und nirgends
ein Gefühl dafür, wie kläglich es eigentlich
ist, in dieser Weise vor dem verehrten Publikum die
ganze litterarische Jämmerlichkeit bloszustellen. All
die Jämmerlichkeit dieser Kunstmännlein und Kunst¬
weiblein, die als Uebermenschen stolzieren und jeden
Philister um sein bißchen Steifnackigkeit beneiden
sollten, die bandweise auf Ewigkeit pochen und wegen
eines Honorars von zehn Pfennig mehr oder
weniger, um ein Glas Kognak alle Augenblick
eine halbe Ewigkeit hingeben usw. usw. Bos¬
heiten dieser Art in Hülle und Fülle hat Schnitzler 2##
zusammengehäuft. Ob allerdings das sogenannte
große Publikum, das nicht, wie bei den Premièren,
aus lauter Litteraten und „Litteraturtigern“ zusammen¬
gesetzt ist, für all diese Spigen, Nadelstiche, Kitzeleien
Verständnis und Interesse haben wird, das ist eine
Frage, die das liebe Publikum selbst lösen mag. Ank
der bestrickenden Echtheit, mit der Irene Triesch, #
Bassermann, Rittner die „Typen“ verkörpern, wird esk
in jedem Fall seine Freude haben.