II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 206

16. 1. Lebendige Stunden zyklus
sporadisch aufgetaucht waren, vereinten sich in diesem dreiactigen
Aus Perlin. ###
Bild aus dem Leben Jung=Wiens und der Welt zu einem
A-
(Nachdruck verboten.)
träumerischen Moll=Accord von ergreifendem Klangreiz. Ein
durch Thränen lächelnder Humor glänzte über dem Drama.
ahren konnte man fast von einer Einacter¬
Er milderte das Tieftraurige des Vorgangs, den Gegensatz
ie dramatischen Einfälle schienen sich nur
zwischen dem jungen anatolähnlichen Helden, der nur liebelt,
Gedankensplitter einzustellen. Am brolligsten
und dem einfachen schlichten Mädchen aus dem Volke, dieser
abgelaufene Jahrhundert in dem Spiegel
Christine, welche in der resoluten und doch weichen, hingebungs¬
fangen. Das Berliner Theater brachte den
vollen Art, ihr Herz in Liebe auszuströmen, an Klärchen und
us am Sylvester des Jahrhunderts. Aber
Gretchen erinnerte. Schnitzler war in der „Liebelei“ eine un¬
te scheint dieses kühne Wagniß auch als
endlich ergreifende Variation auf die unendliche Melodie ge¬
fassen. Die Einacter mit der Ewigkeits¬
lungen, in welcher die Dichter aller Zeiten die Liebe zwischen
orben, gestorben.
dem Prinzen und der Hirtin besungen haben. Sociale Klüfte
er, der Dichter Neu=Wiens, ist ins Bühnen¬
thun sich auf; aber die Liebe überbrückt sie. Doch die zarte
ol=Cyclus, einer fast unendlichen Kette von
Blume der Liebe muß welken am Gegensatz der Lebenssphären
Anatol ist der Held einer Reibe von
der verschiedenen Lebensauffassung, der trenne. en Schicksale.
frivolen Art, deren Schilderung in der
Was in diesem von Schnitzler unübertroffinen Werke den
=Literatur vor etwa zehn Jahren zu den
Norddeutschen, den Berliner besonders anmathete, war das
fernissen jugendlichen Dichterruhms gehörte.
wienerische Colorit. Es ist bekannt, daß der Berliner nichts
den ungemüthlich, wenn man sie nicht auch
lieber hört, als das Plauschen eines echten Weaners. Gerade
ns ästimirte. Der Inhalt des cyclischen
weil seinem eigenen Naturell dieses Weiche, Einschmeichelnde,
es Schnitzler entrollte, bestand in einem
Liebenswürdige so fern liegt, bewundert er es bei dem Collegen
= und Antwortspiel zwischen Anatol, dem
von der Donau. Die Berliner Bühnen sind von Oesterreichern
rzens und einem gleichgesinnten Genossen
überschwemmt und die Wiener Walzer finden nirgends eine
sphäre war erfüllt von Patschouli, Iris und
ledhaftere Begeisterung, als an der Spree. Schnitzler hatte
von Zeit zu Zeit, wie ein lichter Streifen
eber nicht nur das Liebenswürdige und Gewinnende des
einem wolkendunklen schwülen Sommertag,
Wiener Temveraments. Seinem Wesen wohnte auch die
Natur, Anmuts, Grazie durch und machte
Aeußerlichkeit, die Koketterie, die Gefallsucht, welche sich so oft
iesem, von schweren Seidengardinen ver¬
als Danaergeschenk neben Anmuth und Grazie einstellt, inne.
igen Polstermöbeln gefüllten Junggesellen¬
In der Liebelei machte die Tragik des Sujets Vieles in den
venn auch nur für Augenblicke, erträglich.
Charakteren der weichlichen, nur vom Verhältniß zur Liebelei
8 Anatol wurde erst bekannt, nachdem der
tändelnden Männergestalten vergessen. Aber Schnitzler hat
en stärksten und ehrlichsten Bühnenerfolg
nicht wieder einen Vorwurf gefunden, der seiner Eigenart so
ngen hatte. In diesem Drama hatte der
blichen Fortschritt gemacht. Die feinsinnige
lag, wie dieses stimmungsvolle Stück. Seine Fehler und
thvolle Stimmungsmalerei, der leise Hang
Schwächen wurden deutlicher, seine Vorzüge verloren sich in
eiche in Schnitzlers Frühwerk nur kurz und 1 Manier.
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Nachdem der Künstler mit dem österreichischen Offiziers¬
dramna „Freiwild“ eine sanfte, aber energische Ablehnung ge¬
funden hatte, kehrte er zum Einacter zurück. Von den drei
Einactern, welche vor drei Jahren zur Wahl standen, hat das
Publikum aber nur einen gekiest: „Den grünen Kakadu“. Indeß
auch dieses bizarre, groteske und zurecht gemachte Vexirbild aus
der Vorzeit der französischen Revolution schlummert heute schon
den Schlaf der Ungerechten in den Theaterarchiven. Ein Drama
im großen Stil: „Der Schleier der Beatrice“, blieb Lesestück.
Die kleinen Mittel und der große Stil stehen in einem un¬
vereinbaren Gegensatz zu einander. Schnitzler dachte an Schmocks
Worte: „Schreiben Sie tief!“ Aber er fand den Ton nicht,
welcher die Menschen erhebt, wenn er die Menschen zermalmt.
Nicht einmal Sprachkunst bewährte er in diesem Versdrama.
Alle Figuren des Stückes reden den gleichen, abgeblaßten, ver¬
wischten Versdialect, so daß man in einem Meer monotoner
und verstiegener Phrasen unrettbar ertrinkt.
In seinem neuesten Einacter=Cyklus „Lebendige Stunden“,
welcher in dieser Woche über die Bretter des Deutschen Theaters
ging, ist Schnitzler zu seiner ersten Kunstform zurückgekehrt.
On revient toujours. — Er scheint den Ehrgeiz zu haben, sich
zum Einacter=Specialisten auszubilden. Oder sollte in dieser
ewig wiederkehrenden Art, kleine Scenchen zusammenzubasteln,
das Geständniß der Unfähigkeit zu Größerem, Weitausgreifendem
liegen? „Lebendige Stunden“ heißt legitimer Weise der erste
der vier Einacter. Richtiger würde man ihn „Todtgeboren“
nennen können. Die Idee ist roh. Um den dichterisch ver¬
anlagten Sohn an der Entfaltung seiner Schwingen nicht zu
hindern, tödtet sich die opferfreudige, an schwerem Siechthum
darniederliegende Mutter durch Gift, weil sie zu merken ver¬
meint, daß der Sohn die Last der kranken Mutter schwer
empfindet. Das Opfer dünkt dem „genialischen“ Sohn fast
selbstverständlich. Die entgegengesetzte Auffassung vertritt ein
alter Freund der Mutter. Das soi-disant=Drama besteht in
einer Unterredung, welche die verschiedenen Meinungen des
Sohnes und des Freundes in einer geradezu trostlos nüchternen