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16.1. Lebendige Stunden zyklus
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liches Kunststück. Beträchtlich höher stehen die beiden letzten Stücke
Berliner Theaterbrief.
des Cyklus. „Die letzten Masken“, das werthvollste der vier
(Originalbericht der „Dresdner Kunst= und Theaterzeitung“.)
Einakter, führt uns in ein Krankenhaus, in dem der Journalist
Die erste Première im neuen Jahr schuf den glücklichsten
Rademacher im Sterben liegt. Vor seinem Tod möchte er seinen
Theaterabend dieser an Enttäuschungen reichen Spielzeit: Arthur
einstigen Freund, den jetzt berühmten Schriftsteller Weihgast, noch
Schnitzler, der melancholische und ironische Wiener Poet, der mit
einmal sehen, um ihm ins Gesicht zu schleudern, daß er ein Hohl¬
einem milden, klugen Lächeln in die Tragikomödie des Lebens hinein¬
kopf, daß sein Ruhm Schwindel ist und daß seine Frau ihn
blickt und mit weicher Hand kleine Bildchen aus ihr heraushebt,
betrogen hat. Als Weihgast dann aber kommt und alle seine klein¬
errang mit seinem Einakter=Cyklus „Lebendige Stunden“ im
lichen Leiden und Sorgen auskramt, da schweigt der Sterbende.
„Deutschen Theater“ einen starken, von Stück zu Stück wachsenden
Er hat erkannt: Wie armselig sind doch die Lebenden! Und was
Erfolg. Und der Erfolg war verdient. Es ist nicht große, in die
gehen ihn, den dem Tode Geweihten, die Sorgen derer an, die
Tiefen des Lebens hineinleuchtende Kunst, wie sie in Schnitzlers
morgen noch auf der Welt sind? — Den drei ernsten Stücken
„Schleier der Beatrice“ die Schwingen reckt, die er in seinen vier
folgt ein überaus lustiges, „Litteratur“ betitelt. In den Szenen,
Einaktern bietet; es ist eine geistreiche, in gefällige Form gekleidete
die sich da zwischen dem Sportbaron Clemens, seinem Schatz
Kleinkunst nach Art der früheren Einakter Schnitzlers und seiner
Margarete und dem Schriftsteller Gilbert, der mit Margarete einst
Anatol=Szenen, die gute Gedanken frisch gefaßt hat und mannig¬
sehr, sehr lebendige Stunden durchlebt hat, abspielen, funkelt und
fache Anregung spendet. Ein und derselbe Grundgedanke hält
blitzt es von Witz und Grazie, und aller Spott, den ein moderner
die vier kleinen Schauspiele lose zusammen; es giebt Stunden in
Dichter über die entarteten Genossen seiner Zunft, die Kaffeehaus¬
unserem Dasein, die lebendig bleiben, auch wenn sie längst dahin¬
genies und die selbstgefälligen Helden der Bohème ausgießen kann,
geflossen und die, mit denen wir sie verbracht, unserem Gesichts¬
rauscht hier in klingendem Geplätscher an unser Ohr und weckt
kreis entschwunden sind; eines Tages wachen sie auf und drängen
behaglichstes Gelächter. „Litteratur" und „Die letzten Masken“.
sich herrschend in unser Dasein.
gehören zu den besten Einaktern, die uns die letzten Jahrzehnte
In dem ersten Einakter, dessen Titel der des ganzen Cyklus
beschert haben. Die Darstellung der „Lebendigen Stunden“ am
wurde, wird das Thema besonders und allzu merkbar angeschlagen.
Deutschen Theater war vortrefflich; das Beste leisteten Bassermann,
In der Erinnerung des alten Hausdorfer tauchen die Stunden auf,
Hanns Fischer und Rittner.
die er mit der eben verstorbenen Mutter des jungen Dichters
So glücklich, wie das neue Jahr begann, so unglücklich schloß
Heinrich verlebt hat; die Frau war sein einziger Kamerad und
das alte: mit einem regelmäßigen Theaterskandal. Er traf die
Freund und mit ihrem Tod hat er alles verloren. Der junge
Eröffnungsvorstellung des „Trianon=Theaters“ unter seinem neuen
Heinrich tritt dem Alter mit der Spannkraft der Jugend gegenüber;
Direktor Otto Julius Bierbaum. Bisher hatte das Trianon¬
er preist sich glücklich, daß ihn sein Beruf als Dichter befähige,
Theater in einem Nebengebäude des alten Krollschen Theaters seine
den vergangenen lebendigen Stunden Dauer zu verleihen über ihre
Unterkunft gehabt und sein Reportoir fast ausschließlich mit
Zeit hinaus. — In dem zweiten Stück, „Die Frau mit dem Dolche“,
sogenannten „lebenden Liedern“ gefüllt, d. h. Liedern, die in ihrem
rührt Schnitzler an das Problem der Seelenwanderung. Die junge
Inhalt entsprechenden Kostümen und unter mimischer Darstellung
Frau Pauline, die mit ihrem Liebhaber in eine Gemäldegalerie flieht,
vorgetragen wurden. Jetzt hat man sich ein neues Theaterchen
glaubt plötzlich, in dem alten Bilde einer Frau mit einem Dolche
in der Nähe der Linden eingerichtet und, um den Bretlleitern
in der Hand sich zu erkennen. Und sie sinnt und sieht sich leben in
Wolzogen und Lilieneron einen Gegenpart bieten zu können, Bier¬
der Zeit der Renaissance. Da heißt sie Paola und hat sich,
baum als Direktor berufen, dessen litterarischem Ehrgeiz lebende
während ihr Gatte, ein Künstler, abwesend war, dem Lionardo
Lieder nicht genügten, sondern der den Hauptplatz allerlei gedanken¬
hingegeben. Der Gemahl kehrt heim und sie gesteht ihm ihre
vollen und aparten Singspielen einräumen wollte. Und die
Schuld; aber er lehnt es ab, den Schänder seiner Ehre zu strafen.
Eröffnung des neuen Trianon=Theaters fand statt, bevor noch die
Da stößt Paola selbst Lionardo den Dolch in die Brust. Ihrem
Handwerker ihre Arbeit beendet hatten und ohne daß genügend
Gatten aber giebt der Vorgang aun die Anregung zu einem Ge¬
Proben stattgefunden hatten und sie endete vor halbleerem Raum
mälde, der „Frau mit dem Dolche". Frau Pauline wacht aus
unter Hohnlachen und lautem Ulk des Pul##kums. Den lebenden
ihren Träumen auf und verabredet mit dem Liebhaber ein Stell¬
Liedern, die vorgetragen wurden, spendeteu# noch einigen Beifall.
dichein. Schnitzler ist in diesen beiden ersten Einaktern stark im
Aber eine gedankenarme, geschwollene und langweilige „dramatische
Abstrakten stecken geblieben; seine Gedanken haben keine plastische
Phantasie", „Die Dame vom Monde“, die die Vorstellung eröffnete,
Form gewonnen und alles erscheint ziemlich konstruiert. Das
drückte die Stimmung sogleich verhängnisvoll herab, und als dann
Zwischenspiel zudem, in dem Pauline und ihr Galan plötzlich als
ein von Bierbaum und Franz Blei zu einem dreiaktigen Sing¬
Paola und Remigio erscheinen, ist nichts als ein gesucht absonder¬
spiel auseinandergezerrtes Andersensches Märchen von Neuem das
wiederhokten, was in tausendfachen Rufen durch ihre gemarterte
Ungeheuerlichkeit der Thatsachen und ihres verhängnisvollen Schrittes,
Seele geklungen: „Agathe liebt ihn!“
dessen zermalmende Konsequenz sie sich nicht klar gemacht hatte.
Das Wort hatte wie ein Dolchstich ihr Herz getroffen und
Volkmar und Agathe! Dieser im Verhältnis zu Witte und
sich unter brennenden Schmerzen immer tiefer und tiefer gebohrt,
ihr in der Stellung eines Schwiegersohnes, Agathe als Tochter —
bis es auf das Bewußtsein einer nicht gestorbenen, sondern nur
Ihr Gatte vor dem lebendigen Beweise ihrer Schuld mit Blicken
willkürlich unterdrückten Leidenschaft zu dem einstigen Verlobten
mit Blicken -
er und die andere!
stieß. Und aus dieser heraus züngelte die sengende Flamme der
(Fortsetzung folgt.)
Eifersucht, ja des Hasses gegen Agathe — diese Heuchlerin! die
es so gut verstanden, unter der Marke der „Freundschaft“ und des
„künstlerischen Interesses“ ihre wahre Empfindung ihr und aller
Welt gegenüber zu verbergen!
„Vater Anser.“
Auch ihm — Volkmar?!
Bagatelle von Kooy Marinus.
Er ging — er konnte gehen — mit dieser neuen Liebe im
Herzen, bestrickt von dem Zauber dieser Circe, losgelöst, freigegeben
von ihr —
„Wir werden sogleich bei meinem Lieblingsbilde sein!“ sagte,
Ein schrilles Lachen brach über ihre Lippen. Ihre Augen
die Treppen der Galerie emporsteigend, eine junge Dame zu ihrem
glühten.
Begleiter. „Sie glauben nicht, wie unbeschreiblich ich dies Gabriel
Hätte sie Gewißheit! —
Maxsche Bild liebe. Es hat von der ersten Minute an einen
Doch wozu Gewißheit, wo das Eine gewiß war: sie gönnte
besonderen Eindruck auf mich ausgeübt, dem ich mich willenlos
ihn ihr nicht — und auch keiner anderen — ihn, der, sie empfand
hingeben mußte. Ob Sie nun meinen Geschmack teilen werden,
es nunmehr deutlicher denn je, unzertrennlich mit ihr verbunden
soll der nächste Augenblick entscheiden. Nur durch dieses Zimmer
war durch gleiche Seligkeiten und durch gleiche Schuld, er, der
noch, und wir sind am Ziel!“
Urheber des keimenden Lebens unter ihrem Herzen, mit dem sie
Die Sprecherin, in einen eleganten Pelzmantel gehüllt, stützte
den betrog, den sie Gatte nannte -
sich eine Sekunde, vom Steigen der Treppen ermüdet, auf den
Eine wahre Raserei überfiel die Unglückliche gegenübr der Arm des neben ihr stehenden jungen Mannes. Er war noch im