II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 214

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16.1. Lebendigeunden zvklus
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Theater=Korrespondenz.
Heros, da kann der Sterbende nur lachen, lächeln, sehen, schauen, sich
wundern und schweigen. „Wie armselig sind doch die Leute, die auch
morgen noch leben müssen.“
Es könnte nach meiner Inhaltsangabe so scheinen, als ob Schnitzler
in brutaler Weise die edle Seele, die in der schlechten Welt keinen Erfolg
gehabt hat und den innerlich kleinen „großen" Dichter kontrastirt, womit
natürlich ein sehr leichter moralischer Erfolg zu erzielen wäre, der aber
mit Kunst und Literatur nichts zu thun hätte. Man muß aber sehen, wie
Schnitzler seine Gestalten hinstellt! Alexander Weihgast verdient es wirk¬
lich, als Typus den unsterblichen Figuren der Weltliteratur eingereiht zu
werden. Er ist auch durchaus nicht nur komische Gestalt. Der arme Kerl
hat auch seine Sorgen und seine Tragik. Diese Tragik liegt in dem
Gegensatz zwischen seiner Selbsteinschätzung, zu der er nothwendiger Weise
durch den Beifall der Massen und die Höhe der Tantiemen geführt werden
muß = und seiner literarischen Werthlosigkeit, die allen Kennern kein Ge¬
heimniß ist.
Und wie fein und reich ist Schnitzlers Werk an Einzelzügen und
Kleinigkeiten! Wie tiefsinnig ist es begründet, daß der Journalist dem
Dichter schließlich im entscheidenden Moment wortlos gegenübersitzt! Der
eine Grund ist der, daß es der komischen Dichtergestalt gegenüber gar
keiner Rache und keines gerechten Ausgleichs bedarf. Aber es tritt noch
ein anderer Grund für Rademachers Verstummen hinzu, der in der Szeue
mit dem Schauspieler Florian Jackwerth liegt. Indem nämlich der
Jourualist im Vorgefühl seines Rachegenusses die Szene dem Dichter
gegenüber mit dem Schauspieler „probt“ — in den Journalisten steckt doch
auch gewöhnlich ein Stückchen Schauspieler —, entladet er sich seines
Zornes. Die Schauspielkunst befreit ihn von der letzten Regung des
brutalen Willens zum Leben. Es findet eine geradezu Aristotelische
Katharsis statt. Nun ist er frei: der Lebenstrieb ist todt. Die Schleier
gleiten von den Augen; die letzten Masken fallen. Er sieht dem Dichter
bis auf den Grund seiner Seele und seiner zugleich komischen und tristen
Existenz.
Auch wir sehen — mit Rademachers Augen — dem Herrn Alexander
Weihgast tief in die Seele. Der Dichter versteht es aber mit feinster Kunst,
uns diesen Herrn noch anschaulicher zu machen, indem er an unsere
Phantasie appellirt. Das ist die Stelle, an der der Jornalist sogleich nach
dem Weggang Weihgasts wie fernseherisch sagt: „Jetzt ist er unten. Jetzt
geht er durch die Allee — durch's Thor — jetzt ist er auf der Straße —
die Laternen brennen — die Wagen rollen — Leute kommen von oben ...
und unten .." Und dazwischen sehen wir die Gestalt des Tantiemen¬
heros im Cylinder und Gehpelz mit komischer und trister Grandezza
schreiten: wir sehen ihn in der Phantasie mit eindringendster Deutlichkeit.
Denn die Phantasie macht uns ja die Dinge noch anschaulicher, als die
Anschauung.