II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 213

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16.1. Lebendige Sten zvkIus
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Theater=Korrespondenz.
der Deine Mutter hier auf dem Lehnstuhl gesessen ist und zu uns geredet
hat, oder auch geschwiegen — aber da ist sie gewesen, — da! und fir hat
gelebt, gelebt!" Darauf erwidert Heinrich, der junge Dichtersmann:
„Lebendige Stunden? Sie leben doch nicht länger als der Letzte, der sich
ihrer erinnert. Es ist nicht der schlechteste Beruf, solchen Stunden Dauer
zu verleihen, über ihre Zeit hinaus“ — durch die Kunst nämlich. Es ist
der Gegensatz des ästhetischen und des praktischen Menschen, der zwischen
Heinrich und Anton Hausdorfer zum Austrag kommt.
„Die Frau mit dem Dolche“ wirbelt allerlei Stimmungen und
Gefühle im Zuschauer aus dem Untergrund der Seele auf, ohne diese Ge¬
fühle wirklich auszulösen und klare Stimmung zu hinterlassen. Man wird
sehr verblüfft und wundert sich, aber schließlich: man weiß nicht, was soll
es bedeuten. Ich vermuthe, daß auch hier wieder der Gegensatz zwischen
dem ästhetischen und praktischen Menschen eine gewisse Rolle spielt. Die
ästhetischen Menschen sind der moderne Dichter und der Maler Remigio.
Der praktische Mensch ist in Leonhard bezugsweise Lionardo verkörpert.
Ihre praktische oder ästhetische Art entäußert sich gegenüber Pauline bezugs¬
weise Paola. Wie aber ist's mit dieser Pauline bestellt? Ist sie Objekt
der Seelenwanderung und wirklich einmal Paola gewesen? Ist die Szene
aus der Renaissance als wirklich geschehener Vorfall objektiv gemeint: Oder
ist Pauline ein hysterisches Ueberweibchen und ist jene Szene nur Paulines
Phantasie? Ist diese Pauline ernst gemeint oder ist sie Satire? Warum
gewährt sie zum Schluß dem Leonhard doch das Stelldichein? Will sie
ihren Dichtergatten durch eine erregende That zu einem neuen Werk
inspiriren, so wie der Maler Remigio nach Paolas Vergehen erst zur Voll¬
endung seines Gemäldes gelangt? Oder ist der Gedanke an die Frau mit
dem Dolche für Pauline nur Vorwand, nur Einkleidung? Daß Schnitzler
alle diese Fragen auregt, ohne eine klare Antwort zu geben, daß er allerlei
Gefühle aufregt, ohne sie auszulösen, daß wir in einem Wust ungeklärter
Stimmungen und Vermuthungen stecken bleiben — das erzeugt schließlich
ein Unlustgefühl.
„Die letzten Masken“ haben zum „Helden“ einen kleinen
Journalisten, der im Spital seine große und reine Seele verhaucht. Diesem
Helden wird noch ein anderer Held gegenübergestellt, ein „berühmter“
Dichter, der erfolggekrönte Dichter der Masse, der Tantiemenheros; Alexander
Weihgast lautet sein unsterblicher Name. Im Aufflackern eines letzten
Willens zum Leben will der arme, sterbende Journalist dem berühmten
Dichter, der vor Jahrzehnten einmal sein „Freund“ war, die Wahrheit ins
Gesicht schleudern. Er läßt also den Freund rufen, der kommt — und
wie kommt er, jeder Zoll ein „Dichter“! — Doch als er nun da ist, der