II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 219

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16.1. Lebendige Stunden zuklus
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Theater-Korrespondenz.
Geschäftsleute Theaterstücke. In der modernen theatralischen Welt ist dem¬
entsprechend das wirklich entscheidende Kriterium eines Theaterstückes nicht
sein dramatisch=literarischer Werth, sondern sein in Geld umzusetzender
Gefallwerth beim Publikum. Ob ein Stück aufgeführt wird und wie oft
es aufgeführt wird, hängt nie von seiner literarischen Bedeutung ab. Die
„Reiherfedern“ verschwanden klanglos. „Es lebe das Leben“ geht über
Hunderte von Theatern der ganzen Welt. Johannes Schlafs „Meister
Oelze“ bringt keine Tantième. Das „weiße Rößl“ der Herren Blumenthal
und Kadelburg hat in knappen zwei Jahren nach unwiderrufenen Zeitungs¬
berichten 600 000 Mark seinen Autoren eingebracht. Ein Publikum für
Theatervorstellungen giebt es jeder Zeit in ganz Deutschland, so lange
man im Verfolg des wirthschaftlichen Aufschwungs wohlhabend genug ist.
Theater existiren auch immer genug, da stets welche hinzugegründet werden
können. Das Wichtigste sind zugkräftige Stücke. Denn ohne die ist das
Theater kein Geschäft. Also sind doch schließlich das Wichtigste in der
Theaterwelt die Theaterschriftsteller. Auf sie allein kommt schließlich
Alles an.
Und nun erwäge man dies: In Deutschland hat jede größere Stadt
ihr eigenes Theater. Aber auch jedes kleinste Landstädtchen bis zu
2000 Einwohnern herab wird alljährlich und regelmäßig von einer reisenden
Theatergesellschaft besucht, die stets nach Möglichkeit das Neueste mitbringt.
Alle diese Theater existiren um des „Geschäftes“ willen, am letzten Ende.
Denn reicht der Gewinn nicht mehr aus, gehen sie unter allen Umständen.
zu Grunde. Auch die Hof= und Stadttheater sind keineswegs dem „Ge¬
schäft“ entzogen. Nur der Intendani kann sich halten, der gar keine oder
ganz geringe Zuschüsse braucht. Vom Gedeihen aller dieser Theater hängt
in Deutschland die Existenz von vielen Tausend Menschen ab. Da die
Theater wieder vom Erfolg des Theaterschriftstellers abhängen, so ist in
der That dieser der Herr von vielen Tausenden, deren Brotgeber. Was
will dagegen ein Krupp! Dazu kommt noch, daß solch ein Theaterschrift¬
steller niemals in die Lage kommt, den „Herrn“ hervorkehren zu müssen.
Er hat Alles zu bedeuten und doch nichts zu sagen. Er hat es also leicht,
ein über alle Maßen „beliebter“ Herr zu sein, dessen Beliebtheit durch
keinen sozialen Haß einer „ausgebeuteten Klasse“ beeinträchtigt wird.
Das also ist die wirthschaftliche Unterlage, der materielle Unterbau,
aus dem sich dann die ideologische Existenz des Theaterschriftstellers empor¬
hebt und aus dem heraus sie sich psychologisch verstehen läßt. Zum Bewußt¬
sein kommt ihm seine soziale und volkswirthschaftliche Bedeutung nicht
direkt, indem er sich sagt oder indem ihm gesagt wird: so und soviele
Tausend Menschen leben von Deiner Produktion. Direkt kommt er gar
nicht mit dieser Masse in Berührung. Zum Bewußtsein kommt ihm sein
Einfluß und seine Bedeutung durch die hohen Einnahmen und durch die
fast tägliche Namensnennung in irgend einer Zeitung. Die hohen
materiellen Einnahmen taxirt er natürlich nicht als das, was sie in Wahr¬