II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 226

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16.1. Lebendige Stunden—Zyklus
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Vater trieben einst Derartiges. Die Technik des heißen Atems läßt sich auch
so darstellen: Sudermann zündet vor den Zuschauern Briketts an und thut zu
wissen, daß er eine Knallerbse dazwischengesteckt; daß also eine Explosion erfolgen
müsse: aber die Explosion erfolgt immer noch nicht.
Der Ehebruch droht enthüllt zu werden. Verschärfungen, dauernder Art:
der Gatte ist eine brutale Natur. Zweitens: er ist der beste Freund des Ehe¬
brechers. Drittens: die Ehebrecherin ist schwer herzkrank. Wenn es jetzt zum
Klappen kommt —.
Es kommt nicht. Alles wird verteilt, die Spannung longsam ausgekitzelt.
Im ersten Akt nur eine Andeutung: Vielleicht ... eines Tages! Im zweiten
Akt erwähnt eine Zeitung den Fall; jetzt kommt es zum Kl—. Nein, es kommt
nicht zum Klappen. Der zweite Akt schließt mit der Frage der Gräsin: „Mir
scheint, unsre Stunde hat geschlagen.“ Worauf Baron Richard Völkerlingk ihr
zuflüstert: „Noch nicht.“
Im zweiten Akt geschieht die Explosion noch nicht. Aber sehr wird um
die Erbse herumgekramt. Mit dem Ehebrecher Völkerlingk spricht man über das
Zeitungsblatt. Verschärfung: im Reichstag ist just eine Ehedebatte, — nun, Völker¬
lingk soll Sprecher sein. Weiter. Alle haben das Blatt geleseu, nur die schuldige
Gräfin nicht, nur ihr Mann nicht. Jetzt wird tropfenweis auf die Briketts
Petroleum gegossen, nahe bei der Erbse. Das verhängnisvolle Blatt liegt sichtbar
auf ihrem Schreibtisch, — doch unter Kreuzband. Kleine Erbse: sie erfährt es;
durch die betrogene Gattin selbst, ihre Todfeindin. Verschärfung der Herzschlags¬
gefahr. Ein Petrolspritzer in die Nähe der Haupterbse: Der betrogne Eheman
ist in fröhlicher Kneipstimmung, spricht von zugesandten Zeitungen, —
die er ungelesen ins Feuer warf. Noch nicht! Er fragt den Freund, ob ein
gewisser Meixner (das ist der Enthüller des Ehebruchs) nicht vor Jahren sein
Sekretär war, — — da wird das Gespräch abgelenkt. Noch nicht!
Stärkerer Spritzer. Der eigene Sohn des Ehebrechers giebt dem Ehemann
Kenntnis von . . . nun bloß von einem Angriff in einem Zeitungsblatt. Zufällig,
um seine Duellbroschüre befragt, äußert er ahnungslos (in Gegenwart des eigenen
Vaters): ein Schuldiger müsse sein eigener Richter werden. Kommt es nun zum
Klappen? Beate ist nicht zugegen, war unwohl geworden. Als der Gatte jetzt seinen
Freund in Erregung fragt, was für ein Angriff das ist; als der Freund just zu
antworten im Begriff steht, tritt sie zufällig ein, — „Beate erscheint links.“ Kommt
es jetzt zum Klappen? Kurz vor dem Aktschluß?
Der Freund murmelt jenes: „Noch nicht.“ Die Pause dauert fünfzehn
Minuten.
II.
Aber nach der Pause, im dritten Akt. Nein! Der Ehemann weiß noch immer
nichts. Er spricht ganz ruhig von seinem Freunde. Nur einmal äußert er: „Uebrigens
merkwürdig, daß er noch nicht da ist.“ Es sei merkwürdig, meint er, daß er noch
nicht da sei. (Aber der Freund arbeitet just an der Rede, die er morgen über den
Ehebruch im Allgemeinen halten soll!!!) Ein zweitesmal äußert der Graf, es falle
ihm auf, daß seine Frau so blaß sei. Daß sie so blaß sei; auf falle es ihm.
Doch, Leser, er ahnt nichts. Verschärfung: der Graf betont just in diesem Augen¬