II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 227

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16. 1. Lebendige Stunden zyklus
SD
blick, welch ein gutes Weib sie ist. „Ach, wenn ich Dich nicht hätt' —“ äußert er.
Da tritt
Da tritt zunächst ein Herr von Brachtmann ein. Eine ernste Unterredung
steht bevor. Verschärfung: die herzkranke Gräsin wird ihr beiwohnen. Aber jetzt?
Noch nicht. „In einer Stunde" äußert jemand. Der Graf nämlich sagt: er
werde sich zum Justizrat begeben; in einer Stunde sei er zurück. Beate murmelt
für sich: „In einer Stunde!“
Just in dem Augenblicke kommt Ellen, ihr Liebling, hinein und befragt
sie über die Aufregung im Hause, „vor ihr niederknieend“. Ellen gesteht, daß sie
gar wohl bemerkt habe, wie Mutter jede Nacht an ihr Bett schlich; sie fragt:
„Wirst an mein Bett kommen — jede Nacht, jede Nacht?“ Gestern Nacht, „da
fielen Deine Thränen immer auf mein Gesicht — immerzu.“ „Mamachen, liebes,
was hast Du, sag's? Ich bin kein Kind mehr, sag's.“
So Ellen. In diesem schwersten Augenblick offenbart sie ahnungslos dem
Mutterherzen ihre Liebe zu Nori. Das Gespräch wird aber unterbrochen durch den
Eintritt des Geheimen Sanitätsrats, der in Stücken des noblen Fatzkestils immer auf¬
tritt. Er äußert: „Ja, was machen wir da? ... Hm —“ und erwähnt beiläufig zwei
Gifte, Strophantus und Digitalis; dann geht er. Tritt ein der Broschürenver¬
fasser Nori. Verschärfung: er nennt die Tante „Dich, der Inbegriff von allem
was gut und rein und heilig ist in der Welt,“ (statt zu sprechen: Tante, Du
Aas!) Auf die Erlaubnis zur Verlobung mit Ellen „stürzt“ Nori „weinend vor
ihr auf die Knie und verbirgt sein Gesicht in ihrem Schoße“. Die Gräfin
antwortet, „mit den Thränen ringend“: die Kinder mögen „Weihe“ über sich sein
lassen. Am Schluß wiederholt sie: „Noch einmal: laßt Weihe über Euch sein,
Kinder.“
Sechzig Minuten sind bald um. Es folgt bloß noch ein Besuch von Baron
Richard, dem Ehebrecher. Sie sagt zur Verschärfung ausdrücklich: „Wir müssen
darauf gefaßt sein, daß, wenn Michael hier hereintritt — und das kann jeden
Augenblick geschehen —.“ Er unterbricht sie. Und nun tritt Michael —. Nein,
er tritt noch nicht ein: man merkt, daß er draußen angekommen ist; Beate weist
ausdrücklich darauf hin, daß er draußen bereits angekommen ist; „Hörst Du den
Schlüssel?“
Nun tritt Michael ein, und eine furchtbar —. Nein! Es stellt sich her¬
aus, daß er noch nichts weiß. Verschärfung: er spricht sogar „aufleuchtend“ über
die Verlobung von Norbert und Ellen. Er ist gerührt. „Ach, Kinder, wie
könnten wir glücklich sein, wir drei,“ wenn eben der Sozialist nicht die Bosheit
angestellt. Er erzählt vor den Ehebrechern ausführlich — mit Einschaltung einer
Anekdote — wie der Besuch beim Justizrat verlief; und bittet dann den Freund,
ihm für alle Fälle das Ehrenwort zu geben, daß er den Wahrheitsbeweis des
Sozialisten ruhig erwarten könne. Baron Richard will es geben, er steht just im
Begriff, schon hat er gesagt: „Ich gebe Dir mein Ehrenwort, daß Du . . .“
Was Sudermann thun konnte, hat er gethan. Drei Akte sind ziemlich um.
Jetzt kommt es zum Klappen. Den Baron Richard unterbrechend, eilt Beate
vor, und durch ein Wort enthüllt sie — alles. Wäre sie eine Sekunde fpäter
vorgesprungen, so hätte sich Baron Richard zu Haus erschießen müssen. Eine
Sekunde! Und erschießen, sag' ich.
Katastrophe. Wutausbruch. Abflauen.