II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 258

16.1. Lebendige Stunden zyklus
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Hanns von Zobeltitz: Aus den Berliner Theatern.
noch in seiner letzten Stunde über sich selbst raten. Ihre Schriftstellerei ist ihm ein Greuel,
hinaus Gereifter, Gewachsener. —
Das alles ist und als sie ihm gesteht, daß sie noch einen Ro¬
mit der höchsten psychologischen Feinheit und man geschrieben hat, den Roman ihres Lebens,
Klarheit, in prägnantester Kürze, ergreifend vor= der demnächst erscheinen wird, begibt er sich
geführt —
so wenig . . . und so viel! Wirklich
stracks zu dem Verleger. Inzwischen bekommt
ein Stück Menschenleben, plastisch gestaltet, voll
Frau Margarete aber Besuch. Von einem frü¬
tiefer Wahrheit! Und überaus wahr, schlicht und
heren Freunde, auch einem echten, rechten Bo¬
echt wurde die kleine Seene auch gespielt von
hemien. Er, Gilbert (Herr Rittner), hat eben¬
Herrn Max Reinhardt als Journalist und Herrn
falls einen Roman geschrieben, der demnächst er¬
Bassermann als der große Dichter Alexander
scheinen soll; er bringt ihr das erste Exemplar;
Weihgast.
es ist auch der Roman seines Lebens. Während
Die „Frau mit dem Dolche“ ist eine
sie sich zanken und wieder versöhnen, kommt zu
phantastische und wie ich schon sagte, pikante
ihrem beiderseitigen Entsetzen heraus, daß sie
Kleinigkeit, die mir hauptsächlich auf eine schau¬
beide ihre Liebesbriefe in ihre Romane einge¬
spielerische Virtnosenleistung zugeschnitten erscheint.
flochten haben — wörtlich. Es ist überwältigend
Ein Traumspiel gewissermaßen. Pauline, eine
komisch, wie das auf sie wirkt, besonders als sie
elegante junge Frau, trifft sich mit ihrem bisher
konstatieren, daß beide die glühendsten, leiden¬
platonischen Verehrer Leonhard in einer Gemälde¬
schaftdurchglühten Episteln immer erst fein säuber¬
galerie vor dem Bilde der „Frau mit dem Dolche“,
lich ins Unreine geschrieben hatten, ehe sie sie
die ihr in merkwürdiger Weise ähnlich sieht. Hier
absandten, und wie sie sich gegenseitig dabei in
hat sie eine Art Vision; sie durchlebt, als wäre
ihrer ganzen Erbärmlichkeit erkennen. Nun kommt
sie selbst diese Frau mit dem Dolche, gleichsam
Baron Clemens von dem Verleger zurück. Er
die Episode eines früheren Lebens, in der sie als
hat die ganze Auflage gekauft, läßt sie einstampfen.
Gattin eines Florentiner Renaissancekünstlers ihre
Im Vertrauen hierauf hat Gilbert die Dreistig¬
Seele zwischen einem Geliebten und ihrem Manne
keit, ihm seinen Roman zu überreichen. Aber
teilt, welch letzterem sie doch nicht mehr als ein
Entsetzen — der Baron hat doch ein Exemplar
wunderbar schönes Modell ist; als solches dient
des Romans seiner Braut zurückbehalten. Was
sie auch dem Gatten im gleichen Augenblick, in
muß er sagen, wenn er die übereinstimmenden
dem sie ihren Geliebten erdolcht, zur Vollendung
Liebesbriefe liest! Schnell entschlossen schleudert
eben seines Gemäldes, der „Frau mit dem Dolche“.
Margarete dies eine Exemplar in den Kamin,
Und als sich dann über dies Zwischenspiel der
und der gutmütige Baron ist thöricht genug,
Vorhang senkt und sich wieder hebt, sind wir
nichts zu merken, während Gilbert nur bedauert,
wieder in der modernen Gemäldegalerie; Pauline
„daß ihm dieser Schluß entgehen mußte“. Diese
ist die Frau des modernen Schriftstellers dem
knappe Inhaltsangabe kann freilich den tollen
sie auch nicht viel mehr als Modell ist bei seinem
Übermut der kleinen Posse nicht widerspiegeln,
Schaffen, und wir haben Grund zur Annahme,
in der doch eigentlich der beschränkte Aristokrat
daß sie auch heute, wie es die Renaissancefrau
der Sieger bleibt und alle Sympathien für sich
that, Herz und Seele zwischen Gatten und Cicisbeo
hat -
meisterhaft dargestellt, gehört sie zu dem
teilen wird. — Alles in allem: ein in vielen Ein¬
Lustigsten, was ich je auf der Bühne sah. —
zelheiten fein herausgearbeitetes, aber doch stark
Das Königliche Schauspielhaus brachte
erkünsteltes Virtuosenstück, das für Fräulein Irene
Mitte Februar den „Herrn von Abadessa“
Triesch wie geschaffen war.
heraus. Man sah diesem „Abenteurerstück“, wie
Es mag etwa acht Jahre her sein, daß ich
es der Verfasser, der Wiener Felix Dörmann,
diese Schauspielerin zum erstenmale im Berliner
nennt, mit besonderen Erwartungen entgegen, war
Residenztheater sah. Sie erschien mir damals
es doch kürzlich mit dem Bauernfeld=Preise ge¬
als eine blutige, ziemlich temperamentlose An¬
krönt worden. Leider hat sich die alte Erfah¬
fängerin, der ich nimmermehr eine irgendwie be¬
rung bestätigt,
daß derartige litterarische
deutende Zukunft prophezeit hätte. Wie man sich
„Krönungen“, sobald sie vor der Erstaufführung
doch täuschen kann! Denn Fräulein Triesch ist
stattfinden, sich im gefährlichen Bühnenlicht selten
inzwischen, hauptsächlich an der Frankfurter Bühne,
stichhaltig erweisen. Der „Herr von Abadessa“
wirklich zu einer sehr interessanten Schauspielerin
fand keinen rechten Erfolg.
herangewachsen — ihre „Nora“ z. B. gilt mit
Das Schauspiel führt uns in ein phantasti¬
Recht als eine hervorragende Leistung.
sches Mittelmeerreich zur Zeit etwa der Früh¬
War Fräulein Triesch in der „Frau mit
renaissance. Sein Held Valentino ist eine Con¬
dem Dolche“ die eigentliche Trägerin des etwas
dottierenatur. Er zog übers Meer, vom unge¬
verworrenen Stückes, so erst recht in dem letzten
stümen Drang nach Abenteuern, nach Krieg und
der Einakter: „Litteratur“. Auch diese Pieceist
Liebe erfüllt. Am Gestade von Abadessa findet
nichts mehr als eine Kleinigkeit, auch sie ist so
er ein heißes Mädchenherz, das sofort für ihn
pikant, daß ich sie nicht gerade meiner Tochter
entflammt, Medusa, die Braut des schwachen,
zur Lektüre empfehlen würde — aber sie ist von entnervten Fürsten. Mit Hilfe des greisen, auf
einer unbezahlbaren Drolerie. Die junge hübsche einsamem Turme hausenden Begründers der Dy¬
geschiedene Frau Margarete (Frl. Triesch) ist in die nastie, des Jutromir, der in ihm den Helden,
Münchener Boheme hineingeraten, dichtet, schreibt den gewaltigen Kämpfer erkennt, erringt er sich
Romane. Da hat sie Baron Clemens (Herr Basser= Medusa und das Reich. Aber kaum ist die Ge¬
mann) kennen gelernt; ein bissel thöricht, guter, bra= liebte sein und die Herrschaft, so überkommt ihn
per Kerl, vor allem korrekt bis in die Fingerspitzen, wieder der unwiderstehliche Drang nach dem
hat er sich von ihr einfangen lassen, wird sie hei= weiten Meere, nach neuen Fahrten, neuen Aben¬