16.1. Lebendige Stunden zyklus
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Aus den Berliner Theatern.
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wichtige Gestalt, die der Gattin Richard Völker= ihn emporgetragen. Der Kranke haßt ihn; er hat
lingks, einer so minderwertigen Schauspielerin, ihn immer durchschaut. Durchschaut wie nur noch
wie es Fräulein Tilly Böttcher ist, anvertraut,
eine, Weihgasts eigene Frau. Die und der arme
hat mich staunen gemacht. —
Journalist haben einst zusammengehalten, an¬
Das Deutsche Theater hat mit gewohntem
gewidert von der Leere und Nichtigkeit des großen
Gl## dieser Campagne sich übrigens noch ein
Dichters, sie haben sich geliebt. Und nun, in
zweites Repertoirestück gesichert: „Lebendige Stun¬
der Todesstunde, möchte der Sterbende dem Feinde
den“ von Arthur Schnitzler. Vier Einakter, kleine
das alles ins Gesicht schleudern, ihm sagen: „bilde
Momentbilder gleichsam, Ausschnitte aus dem
dir nichts ein! Deine ganze Größe ist eitel
Leben.
Trug und Schwindel! Und ich hab' ja schon
Es sind Arbeiten von sehr ungleichem Wert.
hundert Male Lust gehabt, es dir ins Gesicht zu
Der erste Einakter, der dem Ganzen den Namen
schreien, wenn wir einmal zufällig auf der Straße
gab, ist so unbedeutend, daß ich über ihn schweigend
uns begegneten und du die Gnade hattest, ein
hinweggehen kann. Zwei andere haben ein Ge¬
freundliches Wort an mich zu richten!“ Der Arzt
meinsames: sie sind sehr pikant, dabei frisch und geht selbst, Herrn Weihgast herbeizuholen. In
Scenenbild aus „Der Herr von Abadessa.“ I. Akt. (Kgl Schauspielhaus.)
lebendig. Eines der Stücke aber ist meines Er¬
der Zeit, bis er kommt, sonnt sich der Kranke
achtens eine kleine, überaus feine Musterleistung.
im Vorgefühl seiner letzten Aussprache; mit einem
Ich meine „Die letzten Masken.“
Schauspieler, der mit ihm dasselbe Zimmer teilt,
Wir sind im Hospital. Der Journalist Karl
spielt er gleichsam durch, was er dem Gehaßten
Redemacher steht vor seiner Sterbestunde; es ist
sagen, wie er ihn richten will. Und dann, als
ihm schlecht gegangen im Leben, er muß froh sein,
der große Mann endlich da ist, als sie bei ein¬
daß er im Krankenhause ein Unterkommen ge¬
ander sitzen
da schmilzt in der Seele des
funden hat. Er weiß, daß sein letztes Stündchen
Sterbenden jedes Rachegefühl dahin. So klein,
ihm bevorsteht, er hat nur noch einen Wunsch.
so bemitleidenswert erscheint ihm der berühmte
Einen Jugendfreund möchte er noch einmal wieder¬
Dichter —
mag er noch so herablassend sich ge¬
sehn: Alexander Weihgast. Der ist inzwischen ein
bärden — daß er verstummt. Vor seinem geistigen
berühmter Autor geworden, verehrt, bewundert,
Auge sind auch die letzten Masken gefallen. Nur
gehätschelt — der große Mann; trotzdem er
still vor sich hinlächeln kann er noch über die
eigentlich nichts kann, eine taube Nuß ist, haben, nichtige Eitelkeit dieses Menschen — und so stirbt
die Tagesmode und seine bewegliche Geschicklichkeit er, als jener endlich gegangen ist, stirbt als ein
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Aus den Berliner Theatern.
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wichtige Gestalt, die der Gattin Richard Völker= ihn emporgetragen. Der Kranke haßt ihn; er hat
lingks, einer so minderwertigen Schauspielerin, ihn immer durchschaut. Durchschaut wie nur noch
wie es Fräulein Tilly Böttcher ist, anvertraut,
eine, Weihgasts eigene Frau. Die und der arme
hat mich staunen gemacht. —
Journalist haben einst zusammengehalten, an¬
Das Deutsche Theater hat mit gewohntem
gewidert von der Leere und Nichtigkeit des großen
Gl## dieser Campagne sich übrigens noch ein
Dichters, sie haben sich geliebt. Und nun, in
zweites Repertoirestück gesichert: „Lebendige Stun¬
der Todesstunde, möchte der Sterbende dem Feinde
den“ von Arthur Schnitzler. Vier Einakter, kleine
das alles ins Gesicht schleudern, ihm sagen: „bilde
Momentbilder gleichsam, Ausschnitte aus dem
dir nichts ein! Deine ganze Größe ist eitel
Leben.
Trug und Schwindel! Und ich hab' ja schon
Es sind Arbeiten von sehr ungleichem Wert.
hundert Male Lust gehabt, es dir ins Gesicht zu
Der erste Einakter, der dem Ganzen den Namen
schreien, wenn wir einmal zufällig auf der Straße
gab, ist so unbedeutend, daß ich über ihn schweigend
uns begegneten und du die Gnade hattest, ein
hinweggehen kann. Zwei andere haben ein Ge¬
freundliches Wort an mich zu richten!“ Der Arzt
meinsames: sie sind sehr pikant, dabei frisch und geht selbst, Herrn Weihgast herbeizuholen. In
Scenenbild aus „Der Herr von Abadessa.“ I. Akt. (Kgl Schauspielhaus.)
lebendig. Eines der Stücke aber ist meines Er¬
der Zeit, bis er kommt, sonnt sich der Kranke
achtens eine kleine, überaus feine Musterleistung.
im Vorgefühl seiner letzten Aussprache; mit einem
Ich meine „Die letzten Masken.“
Schauspieler, der mit ihm dasselbe Zimmer teilt,
Wir sind im Hospital. Der Journalist Karl
spielt er gleichsam durch, was er dem Gehaßten
Redemacher steht vor seiner Sterbestunde; es ist
sagen, wie er ihn richten will. Und dann, als
ihm schlecht gegangen im Leben, er muß froh sein,
der große Mann endlich da ist, als sie bei ein¬
daß er im Krankenhause ein Unterkommen ge¬
ander sitzen
da schmilzt in der Seele des
funden hat. Er weiß, daß sein letztes Stündchen
Sterbenden jedes Rachegefühl dahin. So klein,
ihm bevorsteht, er hat nur noch einen Wunsch.
so bemitleidenswert erscheint ihm der berühmte
Einen Jugendfreund möchte er noch einmal wieder¬
Dichter —
mag er noch so herablassend sich ge¬
sehn: Alexander Weihgast. Der ist inzwischen ein
bärden — daß er verstummt. Vor seinem geistigen
berühmter Autor geworden, verehrt, bewundert,
Auge sind auch die letzten Masken gefallen. Nur
gehätschelt — der große Mann; trotzdem er
still vor sich hinlächeln kann er noch über die
eigentlich nichts kann, eine taube Nuß ist, haben, nichtige Eitelkeit dieses Menschen — und so stirbt
die Tagesmode und seine bewegliche Geschicklichkeit er, als jener endlich gegangen ist, stirbt als ein