II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 262

16.1. Lebendige Stunden Zyklus
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Possische Zeitung.“
Masken“. Dem letzten Stückchen aber gehörte der volle Erfolg.
diesem Schwank „Literatur“, den ich ruhig neben die besten Lustspiele
Der neue Einakterzyklus Arthur Schnitzler's, unseres seinen
stellen möchte, die wir heute haben, hat Schnitzler sich mit einem
Poeten, dem die lustige Melancholie, der wehmüthige Uebermuth und
wahrhaft prächtigen Humor lustig gemacht über unsere literarischen
noch einige Gaben mehr gegeben sind, endete gestern Abend im
Bohémiens, über die Männlein und Weiblein mit dem felsenfesten
Deutschen Theater mit einem kräftigen Erfolge. Das erste Stück
Glauben an die eigene Bedeutung, mit der samosen Verachtung für
„Lebendige Stunden“ gab dem Zyklus, dem es den Namen gegeben
Formen, Grundsätze, Ueberzeugung und reine Wäsche, mit den großen
hat, mit einem melancholischen Auftatt zugleich den ernsteu Sinn, die
Schlagworten und den gespreizten Allüren der Kaffeehaus=Schwätzer.
beiden nächsten „Die Frau mit dem Dolche" und „Die letzten
Münchener Bohémiens scheint er zu verulken, und die ganze wackere
Masken zogen uns in den tragikomischen Maskenzug den man Leben
Zunft der unmanirlichen Gernegroße mit dem großen Mund und dem
heißt, und das letzte „Literatur", das sich anspruchslos Schwank
kleinen Talent verhöhnt er in Wahrheit. Das Stückchen ist hübsch ent¬
nannte, befreite uns von den wechselvollen, verwirrenden Gesichten durch
worfen, flott ausgeführt und mit unzähligen hübschen kleinen Pointen
ein klärendes herzliches Gelächter über uns, über unsere Narrenwelt, die
geschmückt. Es wird noch viele Menschen, die Sinn für Humor haben,
so eitel ist, sich noch einmal in Dichterträumen zu bespiegeln. War das
erfreuen und herzlich lachen machen. Es steht über Allem, was uns der
Publikum zuerst durch die Vielheit und Verschiedenheit dieser Gaben
Winter bis jetzt gebracht.
etwas benommen, so empfand es am Schlusse die Einheit der künst¬
lerischen Anschauung und es nahm die vier Stücke als vier Akte der¬
Norddeutsche Allgemeine Zeitung.“
selben Tragikomödie des Lebens. Damit hatte der Dichter seinen Zweck
erreicht. Wir müssen uns vorbehalten, auf ihre einzelnen Theile owie
Der Erfolg des gestrigen Premièren=Abends im Deutschen
auf die meist vortreffliche Aufführung noch des Näheren einzugehen.
Theater, der vier Einakter von Arthur Schnitzler unter dem
Titel „Lebendige Stunden“ brachte, bewegte sich in stark aufsteigender
„Bossische Zeitung.“
Linie. „Die Frau mit dem Dolche; fesselte, schon um der eigen¬
thümlichen Verwendung des Metempsychose=Gedankens. Am einfachsten
Aus einer Novelle von Schnitzler klingt mir der wehmüthige
und menschlich unmittelbarsten ist das dritte, im Spital spielende Srück
Satz nach, „Todte Dinge spielen das Leben“. Man kann die Vorhänge
„Die letzten Masken“ das denn auch sehr starken Beifall auslöste.
niederlassen, wenn der Frühling an die Fenster pocht, man kann die
Die Technik ist hier am sichersten. Die Charaktere sind eigenartig und
Augen vor der Sonne verschließen, und Frühling und Sonne sind nicht
zeigen wieder Schnitzler's starke Beobachtungsgabe. Die Darstellung
mehr da. Gegen alles Gegenwärtige, Lebende kann die Seele sich
war hier besonders gut. Den Vogel aber schoß das lustige letzte Stück,
wehren, nur gegen die Erinnerung nicht, die ungerufen kommt und sich
„Literatur“ ab, dank vor Allem auch der glänzenden Leistung von
nicht wegschicken läßt, das Gewesene besitzt uns, und die Todten haben
Irene Triesch, die in der Diskretion, mit der sie den ironischen Ton
stärkere Gewalt als die Lebenden. In diesen Einaktern zeigt der feine
ihrer Rolle traf. einen neuen glänzenden Beweis ihrer Künstlerschaft ab¬
Kenner der modernen Seele, von der er sich als Sentimentaler gern ver¬
legte. Schnitzler wurde sehr oft gerufen. Man verließ das Haus
führen, aber als Ironiker nicht täuschen läßt, die entgegengesetzte Ansicht
in der angenehmen Erregung, einem starken Erfolg beigewohnt zu haben.
des Lebens, das des Vergessens bedarf, um sich zu verjüngen, und die
„Norddeutsche Allgemeine Zeitung.“
Spuren, die es selbst gegraben hat, gleichmüthig wieder auslöscht.
Die
Todten haben immer unrecht, der eine erinnert sich des Dahingeschiedenen,
Von Arthur Schnitzler kamen am Sonnabend im Deutschen
um der Seele, die auch ihren konventionellen Stil hat, den Schmuck der
[Theater vier neue Einakter zur ersten Aufführung, über deren äußeren
Feierlichkeit zu geben, der K##ler dankt der Erregung ein Bild, ein
Erfolg ich bereits in der zweiten Sonntagsausgabe berichtet habe.
Lied, eine Melodie, womit er sich zugleich von ihr befreit, der Mime
„Lebendige Stunden“ betitelt Schnitzler die vier Stücke mit
schaut gar dem Sterbenden die letzte Grimasse ab, und auch das ver¬
einem gemeinsamen Namen. Menschlich am einfachsten und deshalb am
weht mit der letzten Erinnerung vor der Macht der lebendigen Stunden.
meisten unmittelbar packend ist das dritte Stück „Die letzten Masken.“
„Die letzten Masken“ enschieden den Erfolg des Abends, glänzend
Es enthält echtes Leben und wahre Empfindung und wird kraft seines
Krunden alöngend ausagführt fanden de die entsprechende Darstelleg¬
schönen Matives nachhaltig wirken.
Nach diesen drei nachdenklichen Stücken erweckte der Schwank „Literatur“
Das Schlußstück „Literatur“, ist
sozusagen das Satyrspiel nach der Tragödie. Hat Schnitzler in den
unendliches Gelächter. Wenn ein moderner Dichter selbst gegen modernen
drei ersten Einaktern den Künstler als den Träger des wahren Lebens
Unfug losgeht, gegen die seelische Schamlosigkeit der Snobs, die sich vor
hingestellt und ihm die Anschauung der Anderen als die geringwerthige
dem Publikum ausziehen müssen um zu zeigen, daß sie auch Menschen
entgegengehalten, so giebt er hier umgekehr; den Anstandsbegriffen des
sind, fallen allerdings kräftige und treffende Hiebe. Dieser ebenso wahre
guten Durchschnitts gegenüber der Künstiermoral Recht. (Folgt Inhalt.)
wie lustige Schwank war ein ungemein glücklicher Wurf und er wurde
Diese beiden Gestalten und die dritte Person des Stückes, ein alter
auch von Frl. Triesch wie den Herren Rittner und Basser¬
Bohémien, der recht unbequem zum Besuch kommt, sind mit überlegenem
mann mit verwegener Verve genommen. Alles in allem, es war ein
Humor charakterisirt. Die zahlreichen Pointen des Dialogs versetzten die
realistischer, phantastischer, ernster, lustiger, immer anregender Abend, und
so etwas können wir brauchen.
Hörer in deste Stimmung. Wie die Verlobte des Barons es fertig
bringt, die Enthüllung ihres Vorlebens zu verhindern und alle Gefahren
„Post.“
von ihrer Eheschließung abzulenken, das kann man nicht erzählen, ohne
die schönsten Pointen zu knicken, die übrigens durch die Darstellung ganz
Zu später Stunde ging der Einakter=Abend zu Ende, dem Arthur
glänzend herausgebracht wurden. Die Zuhörer geriethen oft in stürmische
Schnitzler, der liebenswürdige Dichter der Anatol=Seenen und der
Heiterkrit, und der endliche Erfolg war ungewöhnlich stark. Der Dar¬
„Liebelei“, den Gesammttitel „Lebendige Stunden“ gegeben. Die
stellung fällt auch bei den ersten drei Stücken großes Verdienst zu.
beiden letzten Stückchen das ernste Schauspiel: „Die letzten Masken“
Tägliche Rundschau.“
und der Schwank: „Literatur“ verdienen unzweifelhaft ein langes
Leben. Der Erfolg bewegte sich überhaupt in aufsteigender Linie, die
für den Autor wie für das Publikum die willkommenste ist.
Unter dem Titel des ersteren Stückleins hat Schnitzler vier Ein¬
Das
Problem des ersten Stückchens interessirte. Das zweite Schauspielchen:
alter zu einer äußerlichen Einheit zusammengefaßt, die am gestrigen
„Die Frau mit dem Dolch“ ist ein nicht neuer seenischer Einfall, in
Abend in ihren drei ersten Theilen mit Aufmerksamkeit angehört wurde,
Philosopyie getaucht. „Die letzten Masken“ brachten den ehrlichen
mit dem vierten. sehr witzigen kleinen Schwante die ausgelassenste Heiter¬
Beifall und das tolle Schwänkchen am Schluß gehört in seiner sprudelnden
keit erregte. „Lebendige Stunden“ ist eine hübsche kleine Glosse von
Laune und mit seinen vorzüglichen Vemerkungen einfach zum Amüsantesten,
Leben und Lebenlassen, von der Macht und dem Rechte des Daseins
das in diesem Genre seit langer Zeit geschrieben wurde.
gegenüber allem, was da stirbt. „Die Fran mit dem Dolche“ fücht
Schnitzler
konnte nach jedem Stückchen vor der Rampe erscheinen. Oft und be¬
mit leichtem Finger an die Idee der Seelenwanderung, an die Welt der
sonders geehrt nach dem prächtigen Humor des Schluß Schwankes. Um
Ahnungen zu rühren. „Die letzten Masken“ läßt einen heißen Haß
den unbestrittenen Erfolg des Abends machten sich neben Rudolph
vor der alltäglichen Macht, vor dem alles gleich anschauenden Angesicht
Rittner, Mar Reinhardt und Hans Fischer ganz besonders
des Lebens zu nichte werden. Schließlich „Literatur“ stellt mit
Irene Triesch und Albert Bassermann verdient, die im letzten
üppigem Spott die freie, ein wenig faule Welt der Kunst einem an¬
Stückchen in glänzendem Zusammenspiel mehrfach bei offener Scene
strengeren, aber nur äußerlichen Formen festhaltenden Klassengeiste gegen¬
applaudirt wurden.
über. Es waren sicherlich keine „unlebendigen Stunden“, die uns der
„Post.“
Abend verschaffte. Alle vier Stücklein legen Zeugniß ab von dem feinen,
auf Pointen gestellten Geiste Schnitzler's.
Es war ein Erfolg. Ein Erfolg, der mit Achtung anfing und mit
„Tägliche Rundschau.“
herzlicher Zustimmung endete. Schnitzler hat in diesen vier Stückchen
gezeigt, was wir schon wußten, daß er Blick, Geschick und Geschmack der
Was gilt der Tod des Individuums? scheint der erste Einakter
echten Dramatiker besitzt. Das erste kleine Schauspiel ist nur ein Dialog.
„Lebendige Stunden“ zu fragen. (Folgt Inhalt.) Diese Gegenüber¬
Weit höher steht schon das zweite Stückchen: „Die Frau mit dem
stellung beider Standpunkte macht in Wahrheit das Stückchen aus, das
Dolche". (Folgt Inhalt) Es ist ein interessantes Kunststückchen, das
sich damit als ein hübsches, sinnvolles Apereu, als eine dramatisch an¬
Schnitzler hier versucht. Geistreich und mit ehrlichem Streben geht
spruchslose dem Inhalte nach nicht werthlose Plauderei kennzeichnet.
er an die Arbeit. Bedeutend als Stimmungsbild und ergreifend
„Die letzten Masken“.
in
Das Stück ist in seiner Stimmung, inner¬
seinem schlicht menschlichen Ton ist das dritte Stückchen: „Die letzten1 halb der psychologischen Begrenztheit des Einakters, vortrefflich ge¬