II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 263

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16.1. Lebendige unden zvkIus
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arbeitet. Das letzte Stück „Literatur“ steht rein künstlerisch am
um ihm seine Verachtung und seinen Haß ins Antlitz zu schleudern.
höchsten. Es ist eine feine, in sich abgeschlossene kleine Satire, die nicht
Folgt Inhalt). Das Leben im Krankenhaus mit der geschäftigen Gleich¬
an den psychologischen Lücken, an der Stoffvergendung oder der Stoff¬
giltigkeit der Aerzte und der Fürsorge der Wärterin ist mit wenigen
protzerei der Einakter im Allgemeinen leidet. (Folgt Inhalt.) Es liegt
Strichen vorzüglich charakterisirt. Die beiden Todeskandidaten, von
eine freie, prächtige Ironie in dem Ganzen, die, ohne den gebührlich ge¬
denen der Eine noch immer die viel zu hohe Rechnung seines Lebens
zeichneten dekadenten Bohemezuständen das Wort zu reden, dennoch dem
aufstellt und der Andere in lustigen Grimassen seine Umgebung verspottet,
Pharisäerthum scharf zu Leibe geht, es kostbar an der Nase herumführt.
rufen zugleich tragische und komische Empfindungen hervor. Eine Meister¬
leistung Schnitzlers ist aber der berühmte Dichter, der mit seiner
„National-Zeitung.“
Unsterblichkeit posirt und daneben über die Ungerechtigkeit der Welt klagt.
Denn während er vor zehn Jahren ein Führer der Modernen war, wird
Die vier einaktigen Stücke, die Arthur Schnitzler gestern im
er jetzt von dem Jüngsten bereits zum alten Eisen geworfen. In dieser
Deutschen Theater aufführen ließ, sind mit steigender Wirkung
humoristischen Auffassung der Erfolge und Kämpfe eines Schriftstellers,
vom Puhlikum sehr freundlich aufgenommen worden. Auf ein innerlich
der am Cäsarenwahn leidet und sich im Mittelpunkt der Welt sieht, liegt
zu knapp und anspruchsvoll gerathenes Schauspiel Lebendige Stunden“
eine sonnige Kraft und Selbstbefreiung, für die wir Schnitzler auf¬
folgt eine psychologische Studie „Die Lrau mit dem Dolche“ in der
richtigen Dank wissen. Einen köstlichen Griff in die Satire ohne alle
die Bedenklichkeiten des modernen Lebens den großen Leidenschaften der
ernste Beimischung hat er zum Schluß mit dem einaktigen Stück
Renaissance geistvoll gegenübergestellt werden. Hierau schloß sich eine
„Literatur“ gethan. (Folgt Inhaltsangabe). Mit allerlei geistvollen
Seene aus einem Wiener Krankenhause „Die letzten Masken“ worin
und lustigen Einfällen schnurrt dieser satirische Einakter in reizender
tragischer Ernst und komödiantenhafter Spaß keck und originell ineinander
Weise an den Zuschauern vorbei, denen literarische Auswüchse als mensch¬
greifen und der Dichter seine gestaltende Kraft in unmittelbarer Weise
liche Verschrobenheiten vorgeführt und von Grund aus lächerlich gemacht
zeigte. In dem Lustspiel „Literatur“ hat er als Beschluß des Abends
werden
eine drollige Satire auf unverstandene Frauen und literarisches Bohôme
geschaffen, die köstlich erheiternd wirkte. Der Eindruck dieser vier Dramen,
„Deutsche Zeitung.“
denen Schnitzler den Gesammtitel „Lebendige Stunden“ gegeben
Die dramatischen Zunftgenossen haben es dem Wiener Kollegen
hat, war ein so eigenartig anregender, daß wir darauf noch zurückkommen
Arthur Schnitzler über die Maßen leicht gemacht, im Deutschen
Theater mit seinem Einaktercyklus „Lebendige Stunden“ den
„National-Zeitung“.
ersten Bühnenerfolg in dieser Spielzeit zu erringen, dem die Kritik ihr
literarisches Visum ertheilen muß. Mit einer Plauderei setzte der Abend
ein. Das Thema des ersten Stückes, das dem Quartett den Titel ge¬
In den vier einaktigen Stücken, denen Arthur Schnitzler den
geben hat, klingt auch in den übrigen an. Manchmal deutlich, manch¬
Gesammttitel „Lebendige Stunden“ gegegen hat, umspannt er mit
mal nur ganz verloren. Am eindringlichsten in dem zweiten. „Die
sicherer Hand ein weites Gebiet von Stoffen und Ausdrucksmitteln. Der
Frau mit dem Dolche“ bietet auch der Schauspielerkunst nur Virtuosen¬
Dichter der „Liebelei“ fühlt sich dabei als Virtnose, der uns schnell und
aufgaben. Die tiefste Gabe des Abends waren „Die letzten Masken“
geschickt aus einer Stimmung in die andere versetzt und doch seine Per¬
eine Tragikomödie des menschlichen Sterbens, voller Humor und nach¬
sönlichkeit nicht verliert. Mit leichtem Anschlag berührt er ein Problem
denklicher Lebensphilosophie. Die Darsteller führten das Stück, das
des modernen Seelenlebens und zeigt, wie zwei Menschen, die durch ein
beste, das Schnitzler je gelungen, zu einem starken, mehr als theatra¬
gemeinsames Lebensschicksal mit einander verbunden sind, den Unterschied
lischem Erfolge. Ein Satirdrama „Literatur“ ein Schwankbild aus
ihres Temperaments und Fühlens erkennen, um wehmuthsvoll getrennte
der Münchener Vohéme voll entzückender Selbstironisirung und einem
Wege zu gehen. Dann giebt er eine interesiant durchgeführte Parallele
aus der Natue der Dinge natürlich geborenen Witz, machte den Kehraus.
zwischen moderner Empfindungsweise, die durch allerlei Bedenklichkeiten
Ein Zeitlustspiel aus der Décadenee. Es hat nicht die Fülle des Lebens
eingeschnürt wird, und den großen Leidenschaften der italienischen Re¬
und den positiven Gemüthsinhalt der Freytagschen „Journalisten“, aber
naissance, wobei ein Traumbild die Entscheidung herbeiführt. Hierauf
1 es ist als Zeitdokument nicht weniger charakteristisch und weit eleganter
giebt er sich ganz in sein Heimathgebiet zuruck und umsächen uns Mit
in der Technik, behendel im Wit, freier im Humor. Schnitzler hat
Wiener Luft, in der ihm sein erster Erfolg auf der Bühne erblüht war.
an diesem Abend doch bewiesen, daß er mehr kann als „der Menschheit.
Als Doktor der Heilkunde und Sohn eines namhaften Klinikers in der
Schnitzel kräuseln“.
Donaustadt erinnert er sich seiner Beobachtungen in den Krankenhäusern
und verwerthet sie zu einer originellen Gegenüberstellung von tragischem
„Berliner Morgenpost.“
Ernst und komödiantenhaftem Spaß. Endlich läßt er eine köstliche Sa¬
tire auf unverstandene Frauen und literarisches Zigennerthum an uns
Gleich der zweite Einakter: „Die Frau mit dem Dolche“ ist
vorüberziehen. In allen vier Stücken finden sich Berührungen mit Kunst
eine sehr interessante Arbeit. Die Scene ist sehr geschickt behandelt.
und Poesie vor, aber Schnitzler verfällt dabei nicht in die Eitelkeit
Schnitzler rührt daran an eines der größten Probleme der Natur,
des berühmten Mannes, der sich unter der Maske der Ironie selbst ver¬
an das Leben, das wir vor dem gegenwärtigen Dasein geführt, und das
herrlicht, sondern verfährt entweder bitter ernst oder greift zu vernichten¬
uns in manchen Momenten in plötzlicher Helligkeit auftaucht wie ein
dem Spott. So klingt in der Seele der Zuschauer ein vielfaches Ge¬
fernes und doch so gegenwärtiges Bild. Sehr fein ist hier ein Leben
misch von Tönen wieder, wie es nur ein wirklicher Dichter und Künstler
gegeben, geführt von einem wundersam aus der Vergangenheit in die
beherrscht, der über Farbenreichthum und Gestaltungskraft, über Leiden¬
Zukunft wirkendes Geschick.
Seenisch gelang die Phantasmagorie
schaft und Humor verfügt. Der gemeinsame Titel, den Schnitzler für
ausgezeichnet. Das Dritte: „Die letzten Masken“ ist eine bittere
diese Stücke gewählt hat und der auf das erste von ihnen noch besonders
Satire auf das halbe, schöngeistreichelnde, vom Glück in die Höhe
angewendet wird, verlangt keine tiefere Auslegung, sondern bildet mehr
gebrachte Talent. In der Figur eines kranken Komikers ist Schnitzler
ein äußeres Band, das um diese Gruppe von Dramen geschlungen ist.
eine famose Gestalt gelungen. Hans Fischer Max Reinhardt
Sie steigern sich in der Wirkung vortreßlich und enthalten dankbare Auf¬
und Albert Bassermann arbeiteten die Charaktere ungemein scharf
gaben für die Schauspieler. Offenbar hat der Dichter das Wienerthum
und plastisch heraus. Der Schlager war der Einakter „Literatur“.
in diesen kleinen Dichtungen stärkrx betont, als es bei der Darstellung
Mit einem, bei Schnitzler, der doch mehr zum Gemüthvollen und
im Deutschen Theater und vor einem norddeutschen Publikum zum Aus¬
höchstens zu einer losen Heiterkeit neigt, ganz besonders überraschenden
druck kommen konnte. Der Drang zum Leben, der Wunsch, sich selbst
Humor, mit prächtiger Elastizität und Gewandtheit in der Führung der
anzugehören, und ein fröhliches Vertrauen in die eigene Kraft treten in
Handlung, in den Wendungen und Pointen ist das ungemein amüsante
den Hauptpersonen überall hervor, in so verschiedenen Situationen sie
Lustspiel geführt. Es ist der beste Einakter unser modernen
sich auch entwickeln. In dem ersten Schauspiel, das den Sondertitel
Literatur, ein Schmuck= und Paradestückchen ersten
„Lebendige Stunden“ führt, befinden wir uns in einem Wiener Vor¬
Ranges.
ort, wo ein pensionirter Beamter in seinem Gärtchen sich in melancholi¬
schen Betrachtungen über den Tod einer Frau ergeht, die für ihn ein
„Volks-Zeitung.“
Gegenstand der Verehrung war. (Folgt Inhaltsangabe). Dies Problem
Der Wiener Bühnendichter Arthur Schnitzler dessen Dramen
wird in der Art eines Präludiums behandelt, das interessirt und den
„Liebelei" und „Freiwild“ in Berlin starke, nachhaltige Eindrücke
Zweck verfolgt, auf Späteres vorzubereiten. Kräftiger ist das zweite
hervorriefen, bot uns gestern einen Einakter=Cyklus dar. Den Abend
Schauspiel „Die Frau mit dem Dolche“ angelegt, das Wirklichkeit
eröffnete „Lebendige Stunden.“ Es folgte „Die Frau mit dem
und Traum in eigenartiger Weise zusammenbringt und sich auf einem
Dolche.“ Das kleine Drama gab Frl. Irene Triesch Gelegenheit,
fesselnden phantastischen Hintergrunde abspielt. (Folgt Inhalt). Die
zu zeigen, wie sicher sie in der Doppelrolle zwei Stilarten beherrscht.
Sinnenwirkung des Stückes mit dem Sprung über Jahrhunderte und in
„Die letzten Masken.“ Der tragische Vorgang wirkte mächtig, dank
eine ganz andere Anschauung und Gefühlswelt in ähnlicher Situation ist
der ausgezeichneten Darstellung des verbitternden Sterbenden durch Herrn
von einem Reiz. dem sich feiner gestimmte Zuschauer nicht entziehen
Reinhardt. Der letzte Einakter erschien dem Publikum als die
können. Die Empfindungen, die in den beiden folgenden Stücken aus¬
dankenswertheste Gabe des Abends. Er heißt „Literatur“ und is ein
gelöst werden, sind von allen mystischen und schwer zu deutenden Be¬
übermüthiger Schwank. „Literatur“ ist auf den gleichen Ton gestimmt,
standtheilen frei. In den „letzten Masken“ erleben wir in einem
wie Schnitzlers „Abschiedssouper,“ allein die kleine Handlung
Wiener Krankenhaus das Ende eines alten Journalisten, der an die Ber¬
wurde sehr gut erfunden und der Dialog brachte viele witzige Einfälle.
wirklichung seiner hoffnungslosen dichterischen Pläne noch jetzt glaubt und
Nach den ersten drei Einaktern applaudirte und jubelte ein Theil des
von dem brennenden Wunsch erfüllt ist, vor seinem Tode einen zu Ruhm
Publikums, zum Schluß aber wurde der Dichter einmüthig hervor¬
und Geld gekommenen Dichter, den er für seinen Gegner hält, zu sehen, i gerufen.