II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 300

Vertretungen in Berlin, Chleage, d.
Ausschnitt aus:
Wissee
vora 7—777 2-
** Im Carl=Theater begann gestern die Gesell¬
schaft des Deutschen Theaters in Berlin ein Gastspiel. Man
führte vier einactige Stücke Arthur Schnitzlers zum
ersten Male auf. Es waren dies:
1. „Lebendige Stunden“, Schauspiel in einem Auf¬
zuge. — Es ist eine Art Vorspiel des Cyklus, welches die
lebendigen Stunden preist, die Stunden, in denen man das
Recht auf das Leben voll geltend macht oder in welchen das
Leben sein Recht beansprucht. Eine ältere Frau stirbt, ihr
Freund betrauert sie und kann es dem Sohne der Ver¬
Für 50 Zeitu
hlichenen nicht verzeihen, daß dieser, ein Dichter, in der
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Trauerzeit wenigstens nicht, auf das „Schaffen“ verzichten s.
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mag. Der junge Mann hat das letzte Wort und sagt dem zas
„ 1000
Alten wahr: auch dieser werde, wenn der neue Lenz ins jen
Im Geg
Land kommt, durch seine Blumen neu belebt werden.
Abonnement d
2. „Die Frau mit dem Dolche", Schauspiel in
Abonnenten fr
einem Aufzuge. — Dieses Stück führt eine Art von Seelen= dle
Der
wanderung vor. Der als Bild gemalte Titel läßt eine hyper= gg")
an¬
Inhaltsangab
nervöse Frau, die nicht recht weiß, was sie will, oder viel= iche
blätter
mehr, was sie soll, träumen oder sich in den Wahn hinein= Mit¬
wodurch ein
Leben des
reizen, die Renaissance=Dame, der sie ähnlich sieht, sei ihre
theilungen w
frühere Incarnation gewesen. Die Dame mit dem Dolche
habe sich, weil sie ihrem Gatten untreu wurde, denselben
in die Brust gestoßen. Sie träumt dies in einer unbesuchten
Galerie angesichts des Bildes und gibt — lebendige Stunden!
einem jungen Manne, dem sie bisher widerstanden, das
Versprechen, ihn zu besuchen. Ob sie sterben will oder hofft,
fort leben zu können, vermag ein prosaisches Gemüth nicht
auszudenken, der Autor aber schreibt vor: „In ihren Zügen
dic schalmchlich die ncberzengung aus, daß ein Schiaen
über ihr ist, dem sie nicht entrinnen kann.“
3. „Die letzten Masken“, Schauspiel in einem
Ausange. — Ein aller Journatig, Kritter, arm und 1¬
lassen, liegt im Spitale und hat nur, ehe es aus Sterben
geht, den einen Wunsch, einen ehemaligen Freund zus
sprechen. Er will dem hohlen Gecken sagen: daß er, der
Journalist, vor zwanzig Jahren der Geliebte seiner Fran
gewesen ist. Der Freund kommt, der Journalist aber schweigt.
Ob er den unerlaubt thörichten „Dichter“ für gestraft genug
hält oder einsieht, welche Schurkerei er in der letzten Lebens¬
stunde begehen würde, wenn er einer Frau, die ihn erhörte,
die Ehre nähme, das wird nicht gesagt.
4. „Literatur“, Schwank in einem Aufzuge. — Das
Stück geißelt gewisse Literaten, einige, vielleicht viele, und
verschafft eine gute, eine lebendige halbe Stunde. Die Ge¬
liebte eines Sportsman, dessen kleiner Finger mehr einen
Gentleman verräth als die ganze Schriftstellerin, eine Frau
von etwas Geist mit gleicher Dosis von Herz, hat eine be¬
wegte Vergangenheit hinter sich ... vielleicht auch eine
derlei Zukunft vor sich. Daraus ist heute kein Roman zu
machen, aber ein sehr witziges Lustspiel, in dem viele Worte
fröhlich knistern. Dieses Stück ist von guter Schnitzlerischer
„Literatur“ von Anno Anatol, als der Zephyr des Poeten
noch durch seinen Rosengarten der Wiener Liebe wehte.
Heute ist das kleine Blumenparterre vor Schnitzlers Bauten
nur der Vorgarten des allgemeinen Krankenhauses, und in
dem baumbesetzten Hof spazieren zumeist unheilbare Kranke:
z. B. Hypochondrie, Hysterie und Lungensucht in Nr. 1,
Nr. 2 und Nr. 3. Daß alle Figuren in Nr. 4 ganz ge¬
sund sind, möchten wir nicht behaupten, aber amusant sind
sie sehr.
Die Darstellung aller vier Stücke war recht gut. Frl. Triesch
fanden wir etwas zu flattrig, ungleich, affectirt, sicher sehr
begabt von Haus aus, jetzt aber bereits der Manier ver¬
fallen. Hingegen halten wir Herrn Bassermann für
einen der besten Bonvivants des deutschen Theaters, nicht
bloß jenes in Berlin. Schnitzler und den Darstellern wurden
reiche Ehren des Abends.
mdisie