II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 308

vere— ere- reneer sene
große Bestrebungen, es ist voll von Mühseligkeiten, von¬
Ideen, von realem Schaffen. Gewal ige Probleme werden
gelöst öder rastkose Hirne martern sich wenigstens gö, um
zu ergründen. Dabej mitzuhelsen, zu fördern, zuswirken,
des Dichters Aufgabe. Er ist ein spielerischer Mussicgänger,
#wenn#er in der Ecke eines Literauurkaffeehauses bleibt
und nur seine Umgebung betrachtet. Aber das ist seit einiger
#eit so Mode. Der Literat wird Ressortmensch. Maler Klecks
malt einen Maler, wie er einen Maler malt, und der
Dichter dichtet Dichter, wie sie über Dichter dichten. Man
wird zugeben mü en, daß dies zumindest eine Einseitig¬
keit ist, denn die Literatur soll ein Spiegel der Zeit
sein
und nicht blos ein Spiegel Derjenigen,
die der Zeit
einen Spiege! vorzuhalten haben.
Diese principielle Einwendung muß vorausgeschickt werden,
ehe man den Vorzügen der Schnitzler'schen Einatter Gerech¬
#tigkeit widerfahren lassen darf. Der Schwank „Literatur“
ist eine flotte Persiflage der „Bohéme“. Margarethe, eine
geschiedene Frau, hat ein Verhältniß mit einem literarischen
Jüngling, der noch im Urzustande des Havelocks und des
Calabresers ist. Sie wandert dann in die Hände eines
Barons, der sie ehelichen will. Da geschieht das, was heut¬
zutage so oft vorkommt: die abgestandene Liebe wird in
Druckerschwärze umgesetzt. Der Calabreser schreibt über sie einen
Roman, sie schreibt einen Reman über den Calabreser.
Aus Angst vor einer Entde kung durch die Gleichartigkeit der
Themen opfert Margare he ihren Roman dem Feuertode. Der
Baron, der selbstverständlich bornirt ist, und sich blos für
Pferde interessirt, nimmt dies als Liebesbeweis hin und
Margarethe darf sich beruhigt sieben Zacken auf ihre
Taschentücher sticken lassen.
In dem Schauspiele
„Die letzten Masken“ wird die Todesstunde
eines Journalisten geschildert, der sein geistiges Pfund loth¬
weise in der Zeitung verausgabt hat und elend im
allgemeinen Krankenhause zusammenbricht. Ich weiß nicht, ob
viele meiner Berufscollegen Herrn Dr. Schnitzler für diese
mitleidsvolle Regung dankbar sein werden, denn es ist nicht
sehr angenehm, den Stand, dem man angehört, öffentlich
proletarisirt zu sehen.
Das Schauspiel „Die Frau mit dem Dolche“
ist eine jener Mahnungen an die Seelenwanderung, die uns
Alle mitunter beshleicht. Buddha glaubte an sie und selbst
der ewig kritische Schovenhauer kokettirt mit ihr. Man hat
manchmal die unbestimmte Empfindung, als sei man schon
einmal auf dieser Welt gewesen, lange, lange vorher. Pauline,
die Frau eines Schriftstellers, steht mit ihrem jugendlichen
Verehrer Leonhard vor der „Frau mit dem Dolche", dem
Bilde eines unbekannten Malers aus der Renaissance. In
dem Augenblicke, da die Versuchung an sie herantritt,
fühlt Pauline, sie selbst sei einst jene Frau geresen, sie habe
mit dem gezückten Dolche den Geliebten getöbtet, und ihrem
Gatten Remigio sei aus dieser Mordthat die herrlichste
Schöpsung erstanden: die Frau mit dem Dolche. Pauline
erwacht aus ihrer hysterischen Versunkenheit und gibt ihrem
Verehrer ein Rendezvons für denselben Abend. Wozu also
die Träumerei? Daß man auch früher einmal geliebt hat,
ist keine unbekannte Thatsache. Sie ist sogar durch den
ersten Sündenfall biblisch und unwiderleglich festgestellt.
Die Rückerinnerung an das Cinquecento het wenig Sinn,
wenn sie nicht zur Warnung wird. Oder soll nur ausgebrückt
werden, daß Alles in der Zeiten Wandel sich wiederholt?
Das ist eine Weisheit, die durch ihre große Verbreitung
bereits einer Baualität ähnelt.
Die vier Einacter Schnitzler's sind im Grunde genommen
nur vier Einfälle, die wieder viele hübsche kleine Einfälle
enthalten. Graziöse Worte,
wie
in Salons
geschliffen werden, angekränkelte Gedankenblässe, feine
Stimmungen.
große dramalische Zug fehlt.
Herr Dr. Schn#er hat einen zu kurzen Athem, er wird
fertig, ehe dem Zuschauer warm geworden ist. Der Abend
brachte ein Wiedersehen mit lieben Bekannten vom Berliner
Deutschen Theater. Max Reinhardt, Rudolf Rittner,
Albert Bassermann, Friedrich Kayßler, dann Hans
Fischer und Oskar Hofmeister bilden eine tüchtige
Truppe, die auch im stärksten Feuer bestehen kann. Fräulein
Irene Triesch, welche die Margarethe und die Pauline gab,
ist eine intelligente und begabte, nur etwas zu nervöse Schau¬
spielerin. Die Mitwirkenden wurden oft gerufen, Herr Dr.
Schnitzler mit ihnen. Im Hause sah man viel „Literatur“.
Das war schließlich blos ein Act der Dankbarkeit für die vier
Acte, die ihr gewidmet worden waren.
Ltz.