II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 311

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Peschen
ihn liegen. So geht es bei uns einem berühmten
50 Zeit
Für
Schriftsteller! Was soll da erst aus den Kleinen us1##.
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werden? Es war ein grober Fehler des Deutschen o.
200
Volkstheaters, die Aufführung der „Lebendigen
500
Stunden“ so lange hinauszuschieben, bis dem Ver¬#
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fasser die Geduld ausging, denn das vierblättrige ist das
im des Kleeblatt hätte gewiß auch der Wiener Bühnet es den
Abonnement d Glück gebracht. Die vier Einacter
Abonnenten fr
haben 1.
den Gesammttitel „Lebendige Stunden“ der
gleichzeitig den Untertitel für das erste Stückchen tend dle
Der
bildet. In diesem dramatischen Vorwort wird dasorgen
Inhaltsangabf Leitmotiv angeschlagen, das sich durch das ganze zeitunge
blätter (71
wodurch eine
Quartett schlängelt. Es klingt also: „Lebendige battlick
Leben des I
Stunden? Sie leben doch nicht länger, als der ##e#r
theilungen wy Letzte, der sich ihrer erinnert. Es ist nicht der
schlechteste Beruf, solchen Stunden Dauer zu ver¬
leihen über ihre Zeit hinaus.“ So spricht im
ersten Stücke ein Dichter, dessen Mutter einen
Selbstmord beging,
um durch ihren Opfertod
Wie erstorbene Schaffenslust ihres Sohnes zu
erwecken. Und wir sehen in den folgenden Beispielen,
vie der Künstler aus dem Leid, das ihm oder seinen
Lieben widerfährt, seine Gebilde schöpft. Das Ereigniß
wird ihm zum „Stoff“. Schnitzler trägt den Gedanken
irnst und feierlich vor und spielt doch Fangball
damit. Denn auf den blutigen Ernst folgt das
Saiirspiel, in welchem der Dichter sich und sein¬
Leitmotiv auslacht. Eine köstliche Selbstvarodie.
In diesen Blättern wurde der Inhalt der interessanten
Vierlinge wiederholt erzählt. Wir dürfen uns daher
erlauben, kurz zu sein. Das erste Schauspiel, in
welchem die Mutter für ihren Sohn einen ähnlichen
Opfertod starb, wie einst Charlotte Stieglitz für
ihren Gatten, den Dichter Heinrich Stieglitz, ist eine
heoretische Abhandlung ohne dramatischen Nerv.
Lassen wir das Stückchen als Einleitung gelten und
sprechen wir von dem zweiten Schauspiel „Die Frau
mit dem Dolche". An diesem Capriccio ließen
die Berliner kein gutes Haar, aber wir wüßten
dafür ein neues Haarwuchsmittel. Man führe
das Stück besser auf und sorge für raschere
Verwandlungen bei offener Scene. In der Stadt,
wo Raimund zu Hause ist, schüttelt man den Kopf,
daß der Vorhang einen Einacter in drei Theile
zerstüc.. Wie würden wir wettern, wenn im „Bauer
als Millionär“ erst der Vorhang fallen müßte, um
den Helden in einen alten Mann zu verwandeln!
Es päre ja ein Leichtes, die Frau und ihren Lieb¬
haber aus der Bildergalerie in die Zeit der Re¬
naistance bei offener Seene zu versetzen. Hier wird
das Grundthema doppelt angeschlagen. Ein moderner
Dramatiker bringt die pikanten Erlebnisse mit
seiner Fra# auf das Theater und diese Frau träumt
sich in das Frorenz von vor vierhundert Jahren zurück,
wo sie als Gattin eines berühmten Malers lebt und
ehebrüchelt. Der Maler findet sie mit ihrem Lieb¬
haber, dem sie den Dolch in den Hals stößt. Der
Moser kümmert sich nicht um den todten Jüngling,
er kenmnt natürlich das Nestroy'sche Wort nicht „Ramt's
## die Todten weg, nur ka Schlamperei“; er stellt
sich vor die Staffelei und malt, von Gott erleuchtet,
die ganze Scene. Verwandlung. Die Florentinerin
ist wieder eine moderne Frau und bricht auf ihrer
Seelenwanderung neuerdings die Ehe. Warum
nicht, wenn die Männer so was nur
als
einen schönen Stoff betrachten? Erschütternd
das Drama „Die letzten Masken“, das beste in der bunten
Reihe. Auch hier verliert der Dichter sein Thema
nicht aus dem Auge. Im Spitale studirt ein
Komiker aus den verzerrten Zügen der Sterbenden
seine Fratzen. Die Hauptsache ist aber der arme
Journalist, der Nichts geworden ist,
indeß sein
Freund und Genosse immer höher stieg. Er will dem vom
Glücke begünstigten Hohlkopf in seiner letzten Stunde
die Wahrheit sagen, aber als er ihn in seiner ganzen
Nichtigkeit vor sich stehen sieht, schweigt er und
stirbt. Aus diesem Drama spritzt das Leben und aus
dem folgenden Satirspiel „Literatur“ sprüht der Witz.
Endlich ein befreiendes Lachen im Theater! Das
erste Stück wurde durch zu viel Stimmungsmacherei
erdrückt, das zweite litt an der seenischen Un¬
beholfenheit, das dritte zeigte uns Reinhardt
auf der Höhe seiner Kunst und das vierte brachte
Bassermann, der vorher ein wenig outrirt
hatte, unserem Herzen wieder näher. Herr Hofmeister
half wacker mit, indeß uns Irene Triesch erst im
letzten Einacter ausgiebig gesiel. Herr Fischer gab
einen Komiker lustig und natürlich. Wir glauben,
der Mann spielte sich selber. Arthur Schnitzler wurde
wiederholt stürmisch gerufen. Er dankte persönlsch
und so konnten wir bei den Berlinern eine Wientn
Sehenswür digkeit jubelnd begrüßen.
Alex. Weigl’s Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Ausschnitt
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„OBSERYE

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1
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Ausschnitt aus:
vom:
8710
(Gastspiel des Deutschen Theaters.) Im Carl¬
Theater hat gestern das Gesammtgastspiel des Berliner Deutschen
Theaters, dem wir mit herzlicher Freude entgegengesehen, seinen
gänstigen Anfang genommen. Der Anschluß von Berlin an Wien
war klug hergestellt worden; die Gäste brachten uns als Neuheiten
die Arbeiten eines der beliebtesten Wiener Autoren, vier Ein¬
acter Dr. Arthur Schnitzler's. Der Erfolg war ein an¬
sehnlicher. Die Darsteller wurden ausgezeichnet, der
Dichter, der augenscheinlich von vorneherein der herzlichsten, usies
persönlichen Sympathien des ausverkauften Hauses gewiß orto.
sein durfte, wiederholt mit
ihnen. Die Temperatur ahlbar
war also über dem Normale. Diejenigen, die nicht unter Voraus.
dem Banne dieser gesellschaftlichen Massensuggestion gestanden ist das
sind, werden wohl constatiren, daß diesersten drei Stücke blos inter¬ ut es den
essirten, daß aber das letzte bombenhaft durchschlug. Es hat sich en.
eben wieder einmal gezeigt, daß Arthur Schnitzler kein Psycholog
ist, dessen Blicke über den Salonhorizont hinausreichen, wohl ltend die
orgen¬
aber ein gar feiner, feuilletonistischer Spötter innerhalb der Zeitung")
Atmosphäre, die, wenn schon nicht
mit unverfälschter chaftliche
wienerischer Schalkhaftigkeit erfüllt, so doch mit wienerisch= diese Mit¬
pariserischer Eleganz parfümirt ist. In diesem Sinne
ist ja Schnitzler ein Zweisprachiger, also ein Compromi߬
literat. Die drei Schauspiele unter den vier Komödien,
deren ganze Gemeinsamkeit in dem aufgeklebten Gesammttitel
„Lebendige Stunden“ besteht, sind ertüftelt und erkünstelt,
richtige Schreibtischdramatik, der Schwank aber, der den Abend
beschloß und den Sieg brachte, ist wie ein Naturselbstabdruck der
Welt, in der man sich geistreich und natürlich auch geistreichelnd
amüsirt. — „Lebendige Stunden.“ Ein Dichter,
dessen Genie den Leuten, je näher sie ihm stehen, desto un¬
deutlicher sichtbar ist, erfährt, daß sich seine todkranke Miltter
vergiftete, damit der Schmerz abgekürzt werbe¬
steril gemacht hat. „Die F

mondalne Frau eines dramati
mit dem sie in einer (gestern
ausgestatteten) Bildergalerte
brecherisches Stelldichein, nachbe
tein ebe
fall entsprungene, überromankische Entstehungsgeschichte enes alle
italienischen Gemäldes, eine „Frau mit dem Dolche“ durstellend,
in hysterischer Ueberreizung geträumt. — „Die letzten
[Masken. Im Allgemeinen Krankenhause liegt der herab¬
gekommene Journalist Rademacher im Sterben, der nur einen
letzten Wunsch hegt: einem glücklicheren Jugendfreunde ins
Gesicht zu sagen, daß er, der zeitlebens Unterdrückte, der Ueber¬
zählige und Verachtete, doch reicher gewesen sei, wie der gefeierte,
Autor, denn er habe dessen Weib mit Leib und Seele besessen. Er
veranstaltet mit einem gleichfalls schwindsüchtigen Schmieren¬
komödianten eine Generalprobe der Unterredung, unterläßt aber
das Geständniß, als der Mann, den er demüthigen will, erscheint
und ihm zeigt, mit welchen kleinen und erbärmlichen, bemitleidens¬
werthen Mitteln der „Nachruhm“ schon bei Lebzeiten aufrecht
erhalten werden muß. — „Literatur.“ Eine unverstandene
Frau, die sich von einem Wollhändler scheiben ließ, für einige
Zeit in der Bohème untertauchte und nun einen Turfbaron zum
legitimen Lebensgefährten ergattern will, hat — man sieht,
die— vier Eingeter würden am zutreffendsten „Literatur“
genannt — einen Roman geschrieben, der die Summe ihrer
bisherigen, erotischen Erfahrungen und unter Anderem auch den
vollständigen Briefwechsel enthält, den sie mit einem verhummelten
Literaten unterhalten. Dieser hat ebenfalls diese menschlichen,