II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 312

(Gastspiel des Deutschen Theaters.) Im Carl¬
1Theater hat gestern das Gesammtgastspiel des Berliner Deutschen
Theaters, dem wir mit herzlicher Freude entgegengesehen, seinen
günstigen Anfang genommen. Der Anschluß von Berlin an Wien
war klug hergestellt worden; die Gäste brachten uns als Neuheiten
die Arbeiten eines der beliebtesten Wiener Autoren, vier Ein¬
acter Dr. Arthur Schnitzler's. Der Erfolg war ein an¬
sehnlicher. Die Darsteller
wurben ausgezeichnet,
der
Dichter, der augenscheinlich von vorneherein der herzlichsten, ieter
persönlichen Sympathien des ausverkauften Hauses gewiß #rio.
sein durfte, wiederholt mit
ihnen. Die Temperatur sulbar
war also über dem Normale. Diejenigen, die nicht unter Voraus.
dem Banne dieser gesellschaftlichen Massensuggestion gestanden je das
sind, werden wohl constatiren, daß diekersten drei Stücke blos inter¬ #i es den
essirten, daß aber das letzte bombenhaft durchschlug. Es hat sich en.
eben wieder einmal gezeigt, daß Arthur Schnitzler kein Psycholog
ist, dessen Blicke über den Salonhorizont hinausreichen, wohl liend die
orgen¬
aber ein gar feiner, feuilletonistischer Spötter innerhalb der Ngnung“
Atmosphäre, die,
wenn schon nicht mit unverfälschter ehaftliche
wienerischer Schalkhaftigkeit erfüllt, so doch mit wienerisch= diese Mit¬
pariserischer Eleganz parfümirt ist. In diesem Sinne
ist ja Schnitzler ein Zweisprachiger, also ein Compromi߬
literat. Die drei Schauspiele unter den vier Komödien,
deren ganze Gemeinsamkeit in dem aufgeklebten Gesammttitel
„Lebendige Stunden“ besteht, und ertüftelt und erkünstelt,

richtige Schreibtischdramatik, der Schwank aber, der den Abend
beschloß und den Sieg brachte, ist wie ein Naturselbstabdruck der
Telephon 12801.
Welt, in der man sich geistreich und natürlich auch geistreichelnd
amüsirt. — „Lebendige Stunden.“ Ein Dichter,
Alex. Weigl’s Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
dessen Genie den Leuten, je näher sie ihm stehen, desto un¬
Ausschnitt
deutlicher sichtbar ist, erfährt, daß sich seine todkranke Mutter
vergiftete, damit der Schmerz abgekürzt werde, der sein Schaffen
„OBSERYER“
Nr. 96
steril gemacht hat. „Die Frau mit dem Dolche.“ Die
I. österr. oehördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
mondaine Frau eines dramatischen Schriftstellers gewährt ihrem Aubeter
mit dem sie in einer (gestern mit hervorragend komischen Kunstwerken
Wien, IX/1, Türkenstrasse 17.
ausgestatteten) Bildergalerie regelmäßig zusammentrifft, ein ehe¬
Filiale in Budapest: „Figyelö“-
brecherisches Stelldichein, nachdem sie die einem ebensolchen Vor¬
Vertretungen in Berlin, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris, Rom, Stockholpz.
fall entsprungene, überromantische Enistehungsgeschichte eines alt¬
italienischen Gemäldes, eine „Frau mit dem Dolche“ darstellend,
in hysterischer Ueberreizung geträumt.
„Die letzten
[Masken.“ Im Allgemeinen Krankenhause liegt der herab¬
Ausschnitt aus:
gekommene Journalist Rademacher im Sterben, der nur einen
Wallt Freis Prassg.
letzten Wunsch hegt: einem glücklicheren Jugendfreunde ins
Gesicht zu sagen, daß er, der zeitlebens Unterdrückte, der Ueber¬
vom: 1/,77/ U
zählige und Verachtete, doch reicher gewesen sei, wie der gefeierte
n
Autor, denn er habe dessen Weib mit Leib und Seele besessen. Er
veranstaltet mit einem gleichfalls schwindsüchtigen Schmieren¬
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komödianten eine Generalprobe der Unterredung, unterläßtg
das Geständniß, als der Mann, den er demüthigen will, erscheint
[Carl=Theater.] Zum erstenmale ist heute
und ihm zeigt, mit welchen kleinen und erbärmlichen, bemitleidens¬
SLutsche Theater in Wien als Gast erschienen, und
werthen Mitteln der „Nachruhm“ schon bei Lebzeiten aufrecht
Haus begrüßte es in animirtester Stimmung
erhalten werden muß. — „Literatur.“ Eine unverstandene
Kunst kann nicht sympathischer aufgenommen, ihr
Frau, die sich von einem Wollhändler scheiden ließ, für einige
nicht dankbarer anerkannt werden. Das Deu
Zeit in der Bohème untertauchte und nun eine Turfbaron zum
begann mit einer Novität: Vier Einactern von
thur
Schnitzler, der bei den Berliner Directoren v
legitimen Lebensgefährten ergattern will, hat — man sieht,
und¬
lichere und gerechtere Würdigung findet als bei den B
die vier Eingeter würden am zutreffendsten „Literatur“
hnen¬
leitern Wiens. „Lebendige Stunden“, das erste Stück, ist ein
genannt — einen Roman geschrieben, der die Summe ihrer
flüchtige Skizze, die den Abschluß eines trüben Liebeslebens
bisherigen, erotischen Erfahrungen und unter Anderem auch den
erzählt: „Die Frau mit dem Dolche“, ein nicht sehr krästiges
vollständigen Briefwechsel enthält, den sie mit einem verbummelten
romantisches Schauspiel, läßt ein Gemälde lebendig
werden,
Für
um einen Roman fortzuspinnen; „Die letzten Masken“
Literaten unterhalten. Dieser hat ebenfalls diese menschlichen,
ühren
100 ins Krankenhaus, an das Sterbebett eines Journalisten, der
allzu menschlichen Documente in Romanform drucken lassen. Der
200 nach einem verpfuschten Leben seinen Jugendgenossen, einen s.
500
Herr Baron sorgt für die Lösung des Conflictes.
berühmt gewordenen Schriftsteller wiedersehen will. Unter der
1000
er dem Verleger seiner Geliebten die ganze Auflage
„letzten Maske“ erkennt er die Nichtigkeit des für bedeutender las
abkauft, um sie einstampfen zu lassen, weil er es für
Geltenden — und stirbt., Die hübscheste Gabe des Abends ist ien
Abonnen
unanständig hält, daß seine zukünftige Frau überhaupt ins
das Lustspiel „Literatur“, das die moderne Poctin mit ihrer
Abonnen
Dichten geht. Die prasselnden Witze dieses lustigen Vorganges
schlüpfrigen Phantasie und gewollten Frivolität in der an¬
wurben mit hellem Jubel aufgenommen. — Die Darstellung
muthigsten Weise verspottet. Ein Zug des heiteren Geistes der dle
n.
war eine Freude und in ihrer Vorzüglichkeit wahrlich auch eine
„Kameraden“ geht durch das Stück, welcher eigentlich von #)
Hihaltre
Molière abstammt. Die deutsche Bühne, für die so viel Stück= one
Nothwendigkeit; denn mit zweitelassigen oder unzulänglichen
wodurch
fabrikanten schreiben, hat lange kein ähnlich geistvolles Lust= Lit¬
Schausvielern wären die complieirten Sächelchen einfach
Leben d
spiel gesehen. Es ist recht bezeichnend für unsere Theaterverhält¬
unmöglich. Unter den neuen Erscheinungen interessirte die
theilung
nisse, daß der Stadt Bauernfeld's diese graziöse Arbeit eines
Wienerin Irene Triesch am meisten. Sie nähert
Wieners auf dem Umwege über Berlin geboten wird. Um die
sich da der Art der Sarah Bernhardt, dort jener der
Darstellung machten sich die Herren Reinhardt,
Odilon, und ist eine Salonschlange von tadelloser Geschmeidigkeit.
Rittner, Kayßler, Bassermann und Fräulein
Als Meister spielten namentlich Max Reinhardt, Rudolf
Triesch besonders verdient. Autor, Schauspieler und in
Beiden das Deutsche Theater wurden warm gefeiert.
Rittner, sowie Albert Bassermann, der in den
„Letzten Masken“ den literarischen Poseur und in „Literatur“
das aristokratische Pferdegigerl mit unübertrefflicher Charakteristik
gab. Solche Bassermann'sche Gestalten ließen wir uns rudelweise
gefallen.