Fschacseennc¬
We Shasen Sienen
1
mhene
S
gefühl“ in diesem Saale. Jene Frau mit dem Dolche könnte ihr
„Feuilleton.
Porträt sein, so ähnlich ist es ihr. „Erinnern Sie sich nicht,
Leonhard?
AAAN
Ihr Mann ist ein berühmter Dramatiker und hat
Carl-Cheater.
sein Verhältniß zu ihr hramatisirt, mit allen Intimitäten, wie
— Gastspiel des Berliner „Deutschen Theaters“.
D'Annunzio zu thnn pflegt. Die ganze Welt weiß es. Aber Pauline
„Lebendige Stunden“,
vier Einakter von Arthur Schnitzler. —
sitzt in der Loge und sieht zu. „Vielleicht hat mein ganzes Leben
Ein vollständiger Schnitzler=Abend, mit vier Premièren in einer,
gar keinen andern Sinn gehabt.“ Leonhard tippt immer wieder auf
wird uns aus Berlin ins Haus geliefert. Der Weg von Wien nach
diesen Punkt, der denn doch ein wunder Punkt sein muß. Und
Wien führt über Berlin. Das ist jedenfalls ein Kuriosum unserer
eigentlich hat sie ja doch ein Gefühl für Leonhard. Es gab einen
theatralischen Tagesgeschichte. Dieses Kuriosum hat natürlich seine
Moment, als er sie wirklich haben konnte, aber sie wird es ihm nie
Kulissen und hinter diesen Kulissen geht allerlei vor. Ist allerlei
sagen, welcher es war. Und dieser Moment wird nie wiederkehren.
vorgegangen. Aber warum muß zwischen dem ersten Wiener Theater
Auch weiß ihr Mann Alles; daß sie in Gefahr war und darum
und einem der ersten Wiener Dramatiker Spannung herrschen?
jetzt abreisen will. Sie sagt ihm Alles, Alles. Adieu also, die
Wenn früher zwischen dieser Bühne und ihren einheimischen Autoren
Mittagsglocke läutet schon. „Was ist denn da Dunkles in dem
etwas gähnte, war es höchstens die Langeweile, die zur damaligen
Bilde, zu Füßen der Dame, wo sie so hinabstarrt? Eine Form,
Moderne gehörte, nicht aber eine sogenannte Kluft, die sich durch
ein todter Jüngling
Die Glocke läutet, läutet
nichts, nichts, nichts überbrücken läßt. Wir beeilen uns, dem
Was ist das? Eine Vernebelung, eine Entrückung ... es wird dunkel
und wieder hell
Dichter das Kompliment zu machen, daß wir die „Lebendigen
... sie sind Paola und Lionardo, im sechzehnten
Stunden“ lieber im Burgtheater gesehen hätten. Und das weuere
Jahrhundert, und sprechen plötzlich in Versen. Ihr Mann, der be¬
Kompliment, daß wir in Ermangelung dieser Möglichkeit auch mit
rühmte Maler Remigio, ist in Florenz, schon seit Monaten, und sie
der trefflichen Berliner Darstellung vorlieb nehmen. Dem liebens¬
hat sich mit seinem Schüler Lionardo die Zeit vertrieben. Nun er¬
würdigen Talent Schnitzler's fällt es gar nicht ein, sich in dieser
wartet sie den Gatten zurück, den Unvergleichlichen. Vergebens stellt
hübschen Tetralogie zu verleugnen. Nur das erste Stück, eine Art
ihr Liouardo vor, wie der sie doch nur als Rohstoff für seine Ge¬
Stimmungsbild, ein melancholisches Idyll, in dem der Ton für den
mälde schätze, als Erlebniß für künstlerische Gestaltung, als lebendige
Abend angeschlagen wird, muß auf Buhnenwirkung verzichten. Es ist
Stunde, die wieder aufzuwecken wäre. Nun, da Remigio naht, ist ihr
eine gesprochene Ouvertüre, Musik in Worten, deren Sinn dem
Lionardo nichts. „Zuruck an Euren Platz!“ Er will nicht von ihr
Zuschauer vermuthlich nicht recht klar wird. Die übrigen Einakter
lassen, fleht, droht, spielt auf Angst und Gefahr der Sünderin an.
sind Stimmungsbilder- von mehr geschlossener Theaterform, wenn
Augst? Gefahr? In dem Augenblicke, wo Remigio eintritt sagt sie
auch mit einer Vorliebe für verschwimmende Pointe. So recht
ihm Alles. Remigio weist Liouardo ruhig die Thur; der ist ihm eine
eigentlich lebendig sind übrigens diese lebendigen Stunden gerade
Null, nicht werth, ihn niederzustoßen. Paola wird er dann schon
nicht. In die drei ersten Stücke spielt der Tod unheimlich genug
hinrichten, wie's ihm paßt, das ist seine Privatangelegenheit. Aber
hinein, es wird auf allen Seiten gestorben, nach verschiebenen
Lionardo will nicht aus Verachtung begnadigt sein, er fordert seinen
Manieren, still=heroisch, romantisch=phantastisch, trübselig=kleinlant.
Tod, er schwört sogar, Remigio zu todten. Das soll er nicht. In
Das vierte spielt jenseits von Leben und Tod, oder doch abseits,
ihrer Angst um Remigio bohrt Paola den Dolch in Lionardo's Hals.
und ist eine übermüthige Literatursatire, ein Capriccio über Snobs
Er liegt todt zu ihren Füßen, sie starrt auf ihn nieder, den Dolch
mit tintigen Fingern.
in der Hand. Und Remigio? „War dies der Sinn? Ist mein
Das erste Stück heißt „Lebendige Stunden“. Die schwer
Gebet erhört, daß für mein Bildniß mir Erleuchtung werde?
leidende Mutter eines jungen Dichters todiet sich, um ihrem Sohne
Ja, so vollend' ich's.“ Und schließt die Thüre und geht zur
die Stimmung zum Schaffen nicht länger zu verderben. Sie betrachtet
Staffelei, und malt diese „Dame mit dem Dolche“. Er ist
sich als Berufsstörung und trinkt das Morphiunfläschchen aus. Der
Künstler, auch ihm wird Alles künstlerisches Erlebuß, jede
Sohn erfährt es von dem alten Freunde der Todten, durch einen
lebendige Stunde wird ihm ein Werk . . . und was kein Werk wird,
hinterlassenen Brief, der ihm eigentlich nicht gezeigt werden sollte.
war gar keine wirklich lebendige Stunde ... Und Pauline? Wie
Zwei Auffassungen der Sachlage stoßen nnn auf einander. Der Sohn
sie aus ihrer Hypnose erwacht, fühlt sie ein Schicksal über sich, ein
ist erschüttert, wird es aber abschütteln. „Denn mir bleibt nichts
Verhängtes, dem nicht zu entrinnen. Ja, sie wird morgen abreisen,
Anderes übrig, als mich selbst zu tödten oder den Beweis zu ver¬
aber heute Abend wird sie zu Leonhard kommen. Es scheint ihr doch
suchen, daß meine Mutter nicht vergeblich gestorben ist.“ Der treue
nicht zu genügen, daß sie immer nur die lebendige Stunde sein soll
alte Freund dagegen meint: „Was ist denn Deine ganze Schreiberei,
für Andere, ihre Liebe ein Motiv, ihr Haß ein Modell für den
und wenn Du das größte Genie bist, gegen so eine lebendige
Künstler, der sie gerade besitzt. Ja, sie wird zu Leonhard gehen.
Stunde, in der Deine Mutter hier auf dem Lehnstuhl gesessen ist
Hoffentlich wird ihr jetziger Mann sie nicht umbringen, da ihr
und zu uns geredet hat, oder auch geschwiegen
Cinquecento=Mann sie nicht umgebracht hat. Aber schöner wär's,
aber da ist sie
gewesen — da! und sie hat gelebt! gelebt!“ —
wenn er's thäte. Und praktischer, denn er könnte daraus eine neue
„Lebendige
Stunden?“ entgegnet der Dichter. „Sie leben doch nicht länger als
Tragödie machen. „Er ist der Mann Beides zu vereinigen,“ hat sie
der Setzte, der sich ihrer erinnert. Es ist nicht der schlechteste Beruf,
ja ihrem Hofmacher gesagt.
solchen Stunden Dauer zu verleihen, über ihre Zeit hinaus.
Das Ganze ist ein virtnoses Spiel mit dem Tode. Hoch¬
Ihr
Schmerz gibt Ihnen heute noch das Recht, mich mißzuverstehen. Im
romantisch, wie Viktor Hugo es zu spielen liebte. Ein nettes Hazard¬
Frühjahr, wenn Ihr Garten aufs Neue blüht, sprechen wir uns
spiel, fortwährendes „Abheben“: Sein — Nichtsein, Sein — Nicht¬
wieder. Denn auch Sie leben weiter.“ Ja wohl, das Leben schüttelt
sein. Schnitler ist Arzt, er hat auch das Buch vom Sterben ge¬
den Tod immer wieder ab. Der alte Mann wird den Garten weiter
schrieben. Die Hypnose, in die Frau Pauline verfällt, ist auch so
pflegen, auch wenn „sie“ nicht mehr drin sitzt. Der junge Dichter
ein ärztliches Motiv und sehr gut verwendet. Während des ganzen
wird versuchen, das Leben jener einst lebendigen Stunden in irgend
Trance=Zustandes wird in Jamben gesprochen.
einer unverstorbenen Form wiederzufinden. Dem Anderen ist er ein
Dann folgt das einaktige Schauspiel: „Die beiden Masken“.
Egoist, aber er pflegt doch auch nur seinen Garten weiter.
Das kann wieder nur ein Arzt geschrieben haben. Es spielt im
Lebendige Stunden, die gestorben sind, wieder lebendig machen,
Allgemeinen Krankenhaus. Zwei Todeskandidaten sind die Haupt¬
ist Dichters Beruf, Dichters Schicksal. Sein Gemüth, sein Mitleid,
personen, zwei Sekundarärzte und die Krankenwärterin thun auch mit.
seine Liebe, sein Haß, Alles ist: Dichten. Und sind denn jene Stunden
Diese Spitalsluft mit ihrer bürgerlichen Todtentanzstimmung hat
wirklich nicht mehr lebendig? Irren sie nicht, Echos gleich, durch
eine schauerliche Realität. Der eine Kandidat ist ein tuberkuloser
den Raum und kehren wieder und wieder, von Neuem hörbar?
Schauspieler und hat noch etwa acht Toge zu leben, die er haupt¬
Sichtbar sogar. Flammarion schildert einmal den Flug einer eben
sächlich mit dem „Kopiren“ der Aerzte und Patienten verbringt. Auch
vom Körper befreiten Seele durchs Weltall. Im Rückblick nach der
ein neues Engagement für Olmütz strebt er heftig an. Der andere
Erde sieht sie, je weiter sie entferut ist, desto frühere irdische Vor¬
Sterbende ist ein armer Journalist, der weiß, daß er morgen todt
gänge leibhaftig sich abspielen. Szenen der Revolution, der Blut¬
sein wird, aber heute noch einen großen, schweren, allerletzten Wunsch
hochzeit und so fort. Die Lichtstrahlen, die damals von der Erde
hat. Den berühmten Dichter Weihgast möchte er einmal sehen, seinen
ausgegangen, tragen diese Bilder noch immer lebenswahr weiter von
einstigen Freund, und möchte ihm seine ganze Verachtung ins Gesicht
Stern zu Stern. Die lebendigen Stunden von damals leben fort
schreien. Du hast Dich nur emvorgeschwindelt und bist auch nichts,
auf ewiger Wanderschaft durch den Raum. Was wir heute in dem
ganz wie ich, der ich im Schlamme verblieben bin, . . . und Deine
„neuen Stern“ des Perseus slammen sehen, ist ja schon
Frau weiß auch, daß Du ein Hohlkopf bist, und sie war zwei Jahre
vor zehntausend Jahren aufgeflammt; so lange dauerte die
meine Geliebte! Das möchte er ihm ins Gesicht röcheln, mit seinem
Reise des Bildes bis zu uns.
Das zweite Stück Schnitzler's heißt;
letzten Athem, und dann ruhig sterben. Wie inständig er den
„Die Frau mit dem Dolche.“ In einer Galerie hängt das Bildniß
Sekundarins aufleyt, ihm jetzt gleich in der Nacht den Mleihgast zu
Peiner solchen Frau, von einem unbekannten italienischen Maler, der
holen! Und der Sekundarins wird doch dringend im Haffeehaus
Zum 1530 starb. Der verliebte Leonhard hat in dem Saale ein Stell¬
erwartet. Aber er ist ein guter Kerl und thut's schließlich. Der
Hichein mit der schönen Pauline. Sie hat ein merkwürdiges „Heimats= tuberkulose Schauspieler, spielt dem Zimmerkollegen unterdessen di
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mhene
S
gefühl“ in diesem Saale. Jene Frau mit dem Dolche könnte ihr
„Feuilleton.
Porträt sein, so ähnlich ist es ihr. „Erinnern Sie sich nicht,
Leonhard?
AAAN
Ihr Mann ist ein berühmter Dramatiker und hat
Carl-Cheater.
sein Verhältniß zu ihr hramatisirt, mit allen Intimitäten, wie
— Gastspiel des Berliner „Deutschen Theaters“.
D'Annunzio zu thnn pflegt. Die ganze Welt weiß es. Aber Pauline
„Lebendige Stunden“,
vier Einakter von Arthur Schnitzler. —
sitzt in der Loge und sieht zu. „Vielleicht hat mein ganzes Leben
Ein vollständiger Schnitzler=Abend, mit vier Premièren in einer,
gar keinen andern Sinn gehabt.“ Leonhard tippt immer wieder auf
wird uns aus Berlin ins Haus geliefert. Der Weg von Wien nach
diesen Punkt, der denn doch ein wunder Punkt sein muß. Und
Wien führt über Berlin. Das ist jedenfalls ein Kuriosum unserer
eigentlich hat sie ja doch ein Gefühl für Leonhard. Es gab einen
theatralischen Tagesgeschichte. Dieses Kuriosum hat natürlich seine
Moment, als er sie wirklich haben konnte, aber sie wird es ihm nie
Kulissen und hinter diesen Kulissen geht allerlei vor. Ist allerlei
sagen, welcher es war. Und dieser Moment wird nie wiederkehren.
vorgegangen. Aber warum muß zwischen dem ersten Wiener Theater
Auch weiß ihr Mann Alles; daß sie in Gefahr war und darum
und einem der ersten Wiener Dramatiker Spannung herrschen?
jetzt abreisen will. Sie sagt ihm Alles, Alles. Adieu also, die
Wenn früher zwischen dieser Bühne und ihren einheimischen Autoren
Mittagsglocke läutet schon. „Was ist denn da Dunkles in dem
etwas gähnte, war es höchstens die Langeweile, die zur damaligen
Bilde, zu Füßen der Dame, wo sie so hinabstarrt? Eine Form,
Moderne gehörte, nicht aber eine sogenannte Kluft, die sich durch
ein todter Jüngling
Die Glocke läutet, läutet
nichts, nichts, nichts überbrücken läßt. Wir beeilen uns, dem
Was ist das? Eine Vernebelung, eine Entrückung ... es wird dunkel
und wieder hell
Dichter das Kompliment zu machen, daß wir die „Lebendigen
... sie sind Paola und Lionardo, im sechzehnten
Stunden“ lieber im Burgtheater gesehen hätten. Und das weuere
Jahrhundert, und sprechen plötzlich in Versen. Ihr Mann, der be¬
Kompliment, daß wir in Ermangelung dieser Möglichkeit auch mit
rühmte Maler Remigio, ist in Florenz, schon seit Monaten, und sie
der trefflichen Berliner Darstellung vorlieb nehmen. Dem liebens¬
hat sich mit seinem Schüler Lionardo die Zeit vertrieben. Nun er¬
würdigen Talent Schnitzler's fällt es gar nicht ein, sich in dieser
wartet sie den Gatten zurück, den Unvergleichlichen. Vergebens stellt
hübschen Tetralogie zu verleugnen. Nur das erste Stück, eine Art
ihr Liouardo vor, wie der sie doch nur als Rohstoff für seine Ge¬
Stimmungsbild, ein melancholisches Idyll, in dem der Ton für den
mälde schätze, als Erlebniß für künstlerische Gestaltung, als lebendige
Abend angeschlagen wird, muß auf Buhnenwirkung verzichten. Es ist
Stunde, die wieder aufzuwecken wäre. Nun, da Remigio naht, ist ihr
eine gesprochene Ouvertüre, Musik in Worten, deren Sinn dem
Lionardo nichts. „Zuruck an Euren Platz!“ Er will nicht von ihr
Zuschauer vermuthlich nicht recht klar wird. Die übrigen Einakter
lassen, fleht, droht, spielt auf Angst und Gefahr der Sünderin an.
sind Stimmungsbilder- von mehr geschlossener Theaterform, wenn
Augst? Gefahr? In dem Augenblicke, wo Remigio eintritt sagt sie
auch mit einer Vorliebe für verschwimmende Pointe. So recht
ihm Alles. Remigio weist Liouardo ruhig die Thur; der ist ihm eine
eigentlich lebendig sind übrigens diese lebendigen Stunden gerade
Null, nicht werth, ihn niederzustoßen. Paola wird er dann schon
nicht. In die drei ersten Stücke spielt der Tod unheimlich genug
hinrichten, wie's ihm paßt, das ist seine Privatangelegenheit. Aber
hinein, es wird auf allen Seiten gestorben, nach verschiebenen
Lionardo will nicht aus Verachtung begnadigt sein, er fordert seinen
Manieren, still=heroisch, romantisch=phantastisch, trübselig=kleinlant.
Tod, er schwört sogar, Remigio zu todten. Das soll er nicht. In
Das vierte spielt jenseits von Leben und Tod, oder doch abseits,
ihrer Angst um Remigio bohrt Paola den Dolch in Lionardo's Hals.
und ist eine übermüthige Literatursatire, ein Capriccio über Snobs
Er liegt todt zu ihren Füßen, sie starrt auf ihn nieder, den Dolch
mit tintigen Fingern.
in der Hand. Und Remigio? „War dies der Sinn? Ist mein
Das erste Stück heißt „Lebendige Stunden“. Die schwer
Gebet erhört, daß für mein Bildniß mir Erleuchtung werde?
leidende Mutter eines jungen Dichters todiet sich, um ihrem Sohne
Ja, so vollend' ich's.“ Und schließt die Thüre und geht zur
die Stimmung zum Schaffen nicht länger zu verderben. Sie betrachtet
Staffelei, und malt diese „Dame mit dem Dolche“. Er ist
sich als Berufsstörung und trinkt das Morphiunfläschchen aus. Der
Künstler, auch ihm wird Alles künstlerisches Erlebuß, jede
Sohn erfährt es von dem alten Freunde der Todten, durch einen
lebendige Stunde wird ihm ein Werk . . . und was kein Werk wird,
hinterlassenen Brief, der ihm eigentlich nicht gezeigt werden sollte.
war gar keine wirklich lebendige Stunde ... Und Pauline? Wie
Zwei Auffassungen der Sachlage stoßen nnn auf einander. Der Sohn
sie aus ihrer Hypnose erwacht, fühlt sie ein Schicksal über sich, ein
ist erschüttert, wird es aber abschütteln. „Denn mir bleibt nichts
Verhängtes, dem nicht zu entrinnen. Ja, sie wird morgen abreisen,
Anderes übrig, als mich selbst zu tödten oder den Beweis zu ver¬
aber heute Abend wird sie zu Leonhard kommen. Es scheint ihr doch
suchen, daß meine Mutter nicht vergeblich gestorben ist.“ Der treue
nicht zu genügen, daß sie immer nur die lebendige Stunde sein soll
alte Freund dagegen meint: „Was ist denn Deine ganze Schreiberei,
für Andere, ihre Liebe ein Motiv, ihr Haß ein Modell für den
und wenn Du das größte Genie bist, gegen so eine lebendige
Künstler, der sie gerade besitzt. Ja, sie wird zu Leonhard gehen.
Stunde, in der Deine Mutter hier auf dem Lehnstuhl gesessen ist
Hoffentlich wird ihr jetziger Mann sie nicht umbringen, da ihr
und zu uns geredet hat, oder auch geschwiegen
Cinquecento=Mann sie nicht umgebracht hat. Aber schöner wär's,
aber da ist sie
gewesen — da! und sie hat gelebt! gelebt!“ —
wenn er's thäte. Und praktischer, denn er könnte daraus eine neue
„Lebendige
Stunden?“ entgegnet der Dichter. „Sie leben doch nicht länger als
Tragödie machen. „Er ist der Mann Beides zu vereinigen,“ hat sie
der Setzte, der sich ihrer erinnert. Es ist nicht der schlechteste Beruf,
ja ihrem Hofmacher gesagt.
solchen Stunden Dauer zu verleihen, über ihre Zeit hinaus.
Das Ganze ist ein virtnoses Spiel mit dem Tode. Hoch¬
Ihr
Schmerz gibt Ihnen heute noch das Recht, mich mißzuverstehen. Im
romantisch, wie Viktor Hugo es zu spielen liebte. Ein nettes Hazard¬
Frühjahr, wenn Ihr Garten aufs Neue blüht, sprechen wir uns
spiel, fortwährendes „Abheben“: Sein — Nichtsein, Sein — Nicht¬
wieder. Denn auch Sie leben weiter.“ Ja wohl, das Leben schüttelt
sein. Schnitler ist Arzt, er hat auch das Buch vom Sterben ge¬
den Tod immer wieder ab. Der alte Mann wird den Garten weiter
schrieben. Die Hypnose, in die Frau Pauline verfällt, ist auch so
pflegen, auch wenn „sie“ nicht mehr drin sitzt. Der junge Dichter
ein ärztliches Motiv und sehr gut verwendet. Während des ganzen
wird versuchen, das Leben jener einst lebendigen Stunden in irgend
Trance=Zustandes wird in Jamben gesprochen.
einer unverstorbenen Form wiederzufinden. Dem Anderen ist er ein
Dann folgt das einaktige Schauspiel: „Die beiden Masken“.
Egoist, aber er pflegt doch auch nur seinen Garten weiter.
Das kann wieder nur ein Arzt geschrieben haben. Es spielt im
Lebendige Stunden, die gestorben sind, wieder lebendig machen,
Allgemeinen Krankenhaus. Zwei Todeskandidaten sind die Haupt¬
ist Dichters Beruf, Dichters Schicksal. Sein Gemüth, sein Mitleid,
personen, zwei Sekundarärzte und die Krankenwärterin thun auch mit.
seine Liebe, sein Haß, Alles ist: Dichten. Und sind denn jene Stunden
Diese Spitalsluft mit ihrer bürgerlichen Todtentanzstimmung hat
wirklich nicht mehr lebendig? Irren sie nicht, Echos gleich, durch
eine schauerliche Realität. Der eine Kandidat ist ein tuberkuloser
den Raum und kehren wieder und wieder, von Neuem hörbar?
Schauspieler und hat noch etwa acht Toge zu leben, die er haupt¬
Sichtbar sogar. Flammarion schildert einmal den Flug einer eben
sächlich mit dem „Kopiren“ der Aerzte und Patienten verbringt. Auch
vom Körper befreiten Seele durchs Weltall. Im Rückblick nach der
ein neues Engagement für Olmütz strebt er heftig an. Der andere
Erde sieht sie, je weiter sie entferut ist, desto frühere irdische Vor¬
Sterbende ist ein armer Journalist, der weiß, daß er morgen todt
gänge leibhaftig sich abspielen. Szenen der Revolution, der Blut¬
sein wird, aber heute noch einen großen, schweren, allerletzten Wunsch
hochzeit und so fort. Die Lichtstrahlen, die damals von der Erde
hat. Den berühmten Dichter Weihgast möchte er einmal sehen, seinen
ausgegangen, tragen diese Bilder noch immer lebenswahr weiter von
einstigen Freund, und möchte ihm seine ganze Verachtung ins Gesicht
Stern zu Stern. Die lebendigen Stunden von damals leben fort
schreien. Du hast Dich nur emvorgeschwindelt und bist auch nichts,
auf ewiger Wanderschaft durch den Raum. Was wir heute in dem
ganz wie ich, der ich im Schlamme verblieben bin, . . . und Deine
„neuen Stern“ des Perseus slammen sehen, ist ja schon
Frau weiß auch, daß Du ein Hohlkopf bist, und sie war zwei Jahre
vor zehntausend Jahren aufgeflammt; so lange dauerte die
meine Geliebte! Das möchte er ihm ins Gesicht röcheln, mit seinem
Reise des Bildes bis zu uns.
Das zweite Stück Schnitzler's heißt;
letzten Athem, und dann ruhig sterben. Wie inständig er den
„Die Frau mit dem Dolche.“ In einer Galerie hängt das Bildniß
Sekundarins aufleyt, ihm jetzt gleich in der Nacht den Mleihgast zu
Peiner solchen Frau, von einem unbekannten italienischen Maler, der
holen! Und der Sekundarins wird doch dringend im Haffeehaus
Zum 1530 starb. Der verliebte Leonhard hat in dem Saale ein Stell¬
erwartet. Aber er ist ein guter Kerl und thut's schließlich. Der
Hichein mit der schönen Pauline. Sie hat ein merkwürdiges „Heimats= tuberkulose Schauspieler, spielt dem Zimmerkollegen unterdessen di