II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 367

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16.1. Lebendige Stunden— Zyklus
steck' mich, versteck' mich!“ kreischt er, und seine Finger!
arme Witwe erkennt kaum den Umfang ihres Verlustes.
der Sonne leuchtend
umklammern das Getäfel der Wohnstube, die Pfosten der
Lautlos, in schmerzlicher Betäubung duldet sie das seichte
die unheilvolle See vol
Thür, die hölzernen Verschläge, in welche die Betten der
Mitleid, das um sie lebendig wird.
viele blutige Opfer for
armen Fischer hineingebaut sind. Dieser verzweifelte!
Diese innerlich einfachen und doch schaudererfüllten
Da Wien nicht an
Widerstand wird erst gebrochen, bis Polizei und Gen¬
Vorgänge erzählt Heyermans ohne jeglichen Schmuck des
mit diesem nur wenig
der
darmen kommen, um das gute Recht des Rheders
Wortes, ohne erläuternde Zuthat, in einer unwiderstehlich¬
werden, hat die Cen
sein Angeld gab, nachdrücklich zu unterstützen. Wie ein
knappen Beredtsamkeit und Unmittelbarkeit. Seine scharfe
Schilderung der Fische
geängstigtes Thier zur Schlachtbank wird Barend an Bord
Beobachtungsgabe concentrirt sich in der Kunst seiner
drucksform des Dichte
der „Hoffnung“ geschleppi. „Ich werde nicht wiederkehren.
Charakteristik, die Menschen, die er vorführt, sprechen wie
Fabriksarbeiter. Aber
Du wirst mich nie mehr sehen!“ ruft er, während ein
im Leben und in der Wirklichkeit. Nicht in einem Zuge
den verbotenen „Weber
Thränenstrom aus seinen Augen stürzt.:
gemahnt dieser holländische Realist an die Elendspeculanten,
den Mangel aufführ
Darauf verläuft eine Woche um die andere in ruhigem
welchs mit Noth und Pessimismus wie mit dunkeln
keiner von ihnen, der
Leben in dem armen Fischerdorf. Die „Hoffnung“, die
Schleiern spielen, um ein leeres Puppenspiel zu verhüllen.
genommen hätte. Wi
kaum zwei Monate ausbleiben sollte, kommt nicht zurück.
Er offenbart weder sein social=politisches Glaubensbekennt¬
„Probecandidat“, begeg
Immer banger und ängstlicher rücken die Harrenden an¬
niß, noch seine Ansicht über neue Systeme des gesellschaftlichen
einander und denken immer sorgenvoller an die Fern¬
Lebens der Zukunft. Wie ein Maler, der nur die Treue seiner gunst unserer Directorg
zu den wirkungsvollst
gebliebenen. So sitzen sie eines Abends um den runden
Aufnahme bewahren will, verweist er auf sein Gemälde;
Unselbstständigkeit und
Tisch, die irdene braune Theekanne geht im Kreise umher,
es ist Sache des Beschauers, die Nutzanwendung zu ziehen.
verschulden.
die Tassen klappern, blaue Wölkchen ringeln aus den
Jeder seiner Vorgänger, auch der große Revolutionär
weißen Thonpfeifen der alten Dorfinvaliden. Das Wort
Tolstoi, spricht persönlich aus seiner Darstellung, Heyer¬
Ueber die Darstell
wird immer schüchterner, denn eine Schreckensnacht wüthet
mans tritt aus dem Gedankenkreise seiner Menschen nie
wenige Worte. „Der
über der Küste, der Sturm peitscht sie, die Wellen rasen.
heraus. Er stimmt sein Stück auf den Ton der „Weber“;
Volkstheater in äußer
Auf diesen Wasserbergen, die zusammenstürzen, schwimmt
ein Genauigkeits=Schilderer wie Hauptmann, ist er voll
licus und Caligula w
die „Hoffnung“, denken die Hoffnungslosen, und sehen sich
peinlicher Sorgfalt für das Detail. Aber ungleich
und Weis
glü
an den Augen ab, was Jeder fürchtet. Auch Jo, die immer
dramatischer als sein deutscher Rivale, fügt er
rührte Fräulein San
Lachende, lacht nicht mehr. In sprachlosem Entsetzen sinkt
stärksten Theater=Acceute in die subtile Zeichnung
ruhigeren Momenten,
Kniertje auf ihr hartes Lager, ihre Finger schlingen sich
seines Milieus. Man fand, daß vor Abschluß seines
machte ihn wirkung
zum Gebete ineinander, krampfhaft bewegen sich ihre
Dramas ein rhetorischer Aufschrei wie eine Erlösung aus
Lebendigen Stunden“
Lippen, sie belastet mechanisch den Rosenkranz. „Beten ist den vorangegangenen düsteren Eindrücken wirken müsse;
das von Fräulein 2
der einzige Trost,“ ächzt die Alte. — „Ich will nicht beten?“
der Dichter ging wol absichtlich einem so tradi¬
und Bassermann
wimmert Jo in ihrer Seelenangst. — „Nicht beten?“
tionellen Effecte aus dem Wege. Wenn es auf dem Meere
wurde. — Die Darstelli
„Wenn was passirt.“ = „Es passirt nichts!“. = „Wenn,
stürmt, dann ächzt, wimmert und schreit Holz=, Eisen¬
giltige. Frau Lehm
wenn — dann bet' ich nie mehr, nie mehr!“ schreit sie
und Takelwerk der Boote; die Fischer tragen schweigend
in der von den wider
jammernd, „dann gibt's keinen Gott und keine Mutter
ihr Los, durch eine schwache Bretterwand von dem seucht¬
weiblichen Hauptrolle,
Maria!“ Und während. Jo in Seufzen und Klagen zu
kalten Tode getrennt zu sein. Auch Kniertje, die arme Witwe,
Reinhardt und B
vergehen scheint, flüstert Kniertje mit einem Blick zum
der ihre Familie in den Wellen unterging, bleibt schließlih
Zug in das beste Lich
Himmel: „Ich hofse zu Gott mit festem Vertrauen.“
wortlos vor dem Rheder, der halb Seebär, halb Fuchs
seine Scenirung erschien
Sie war doch zu vertrauensselig. Der Leichnam ihres
ihr mit nichtigen, Trostesworten zusetzt. So reich unser
für die Intentionen de
jüngeren Sohnes schwimmt entstellt ans Ufer, an den
Sprachschatz sein mag, es gibt kein Wort, das die tiefen
gesehen zu werden, von
Ohrringen des Vaters erkennt man ihn; auch Geert ist
Accente des Wehs so ausdrücken würde, wie das
spielern. Sie wird d
todt. DTie „Hoffnung“ ging mit Mann und Maus unter,
Schweigen dieser Frau, die still die Aeußerungen einer
bringen und den Letzt
der Rheder, der sein morsches Schiff trotz aller Warnungen
kläglich heuchlerischen Mildthätigkeit entgegennimmt. Draußen spieles erweisen, dem
auslaufen ließ, cassirt seine Versicherungs=Präzie ein; die aber dehnt sich das Meer nun ruhig, eben und im Strahle ordnet.