II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 370

16.1. Lebendige Stundenzykins
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hat einige begabte Schreiber, die gegeben haben, was sie hatten.
Es war nicht allzuviel; denn den Dichtern des betriebsamen
und tüchtigen Herrn Abrahamson — so heisst nämlich in
Wahrheit des Deutschen Theaters Leiter — gab kein Gott
zu sagen, was sie leiden, sondern die Localchronik der Zeitung
gab ihnen das zu sagen, was andere litten. Nun will der Geschmack
wieder Leitartikeldramatiker: die Brieux und Otto Ernst —
oder Feuilletondichter. Veränderte Windrichtung. Für die kaum
gemachten Berühmtheiten war es freilich ein arger Sturm, der
sie aus dem Hause der Literaturgeschichte, in dem sie sich schon
so wohnlich eingerichtet hatten, hinwegblics.
Warum der rasche Wechsel? Wollte man mit ausführender,
historischer Genauigkeit antworten, so müsste man wiederum
die ganze Geschichte des neudeutschen Realismus schildern
und könnte jetzt, da der Begeisterungsrausch in bösen Katzen¬
jammer sich auflöste, leicht Unrecht thun. Das soll vermieden
werden. Deshalb nur einige andeutende Sätze.
Die Erfolge Hauptmanns und seiner Officiere, Uster¬
officiere und Gemeinen waren niemals die Erfolge von Dra¬
matikern, sondern nur Bühnenerfolge. Der Unterschied wurde
nicht beachtet, aber er ist sehr bedeutend. Dramatiker sein
ist eine unzerstörbare Eigenschaft, Bühnenerfolge beruhen auf
Arbeit, einem glücklichen Einfalle, manchmal sogar auf dem blossen
Zufalle. Die dramatischen Qualitäten fehlten nun allen den
Novellisten, die vom Ruhm und Lohn Thaliens gelockt wurden
und ihne Erzühlungen und Gegenstandsschilderungen in Acte
und Scenen gliederten. Wenn sie dennoch durch mehrere Jahre
als Dramatiker gelten konnten, so verdanken sie das dem Erfolge
und diesen verdanken sie wiederum dem Milieu.
Das Milieu, das sie für die deutsche Bühne entdeckten
(richtiger gesagt: für diese Generation wiederum entdeckten), war
neu. Das deutsche Theaterstück hatte bisher in keinem Raume
gespielt, sondern in einer unmöglichen Gesellschaffe, die aus
der französischen Conversationskomödie übernommen war. Die
Menschen hatten selten einen Beruf, niemals die Sprache eines
Berufes und das eigenthümliche Wesen desselben. Ihre Worte
waren bewegte Luft, nicht mehr. Das classicierende Epigonendrama
war vollends zeit- und raumlos, nicht auf irgendeinen festen
Grund gebaut. Erst im Milieustücke hatte der Zuschauer das Gefühl,
auf sicherem, wenn auch eng umgrenztem Boden zu stehen.
Dazu kam erregte Neugier und die Befriedigung socialer Momente.
Wie mochte es wohl bei den Arbeitern, den kleinen Beamten,
den Officieren, Lehrern, Geistlichen, Kaufleuten aussehen? Am
stärksten war die Erregung bei den Proletarierstücken, weil es
sich bei ihnen überdies so nett gruseln liess. Verdient wurde
rasch und leicht — es war Aufschwungszeit — nun wollte man
abends hungerblasse Gesichter sehen, in leeren Töpfen schnüffeln,
Gaunersprache hören, sich an bitteren Anklagen gegen die
Reichen und den Staat erquicken. Des Enterbten Anblick freut
den Erben. Und schaden konnte die Sache nicht: fürs reich
werden war die Börse da und für den Schutz des-Reichthums
der Staat.
Nun wurde dem Gelüste Rechnung getragen. Proletäfter-
dramen, nur die besten seien genannt: =Die Weber-, Bartel