II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 384

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16.1. Lebendige Stun zyklus
Telephon 12801.—
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Ausschnitt
Nr. 30
„OBSERYER‘
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Ausschnitt aus:
Breslauer Zeitung
gon: 7/2 /771-
H. H—r. Lobe=Theater. „Lebendige Skunden.“ Der
Schnitzlersche Einattercyklus „Lebendige Stunden" (Lebendige
Stunden — Die Frau mit dem Dolche — Die letzten Masken — Litte¬
ratur) errang bei seiner gestrigen Erstaufführung im Lobe=Theater einen
starlen, ehrlichen Erfolg. Der Beifall war am lebhaftesten und nachbrück¬
lichsten nach den be den mittelsten Stücken; nach der „Frau mit dem Dolche“.
weil hier die eigenthümliche, visionäre Form der Dichtung, die auch den
Darstellenden die meiste Gelegenheit zu künstlerischem Erfolge bietet,
das Publikum fesselte, und nach den „Letzten Masken“, weil die schlichte
und herbe Tragik dieser Dichtung am meisten ergreifen und erschüttern
mochte. Das Lustspiel am Schlusse „Litteratur“ erweckte herzliche Heiter¬
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keit. — Schnitzler hat scheinbar in seinen vier Einaktern ein interessantes
100 fThema von möglichst viel Seiten angefaßt; in Wahrheit hat er dasselbe
200 1 Thema nur in verschiedener Form behandelt, während er gewisse Grund¬“
500
1000 bedingungen als gegeben voraussetzte, deren unbedingte innere Rothwendie
In
keit immerhin erst erwiesen werden müßte. Es dreht sich in den Dichtungen 4
bonnem
um das Verhältniß des Künstlers zum Leben, vielleicht auch nur um das
bonnen
Verhältniß von der Kunst zum Leben; um die oft erörterte Frage, wie weit
der Künstler alle Vorgänge des Lebens um sich und in sich künstlerisch
ahaltse nicht nur verwerthen darf, sondern muß; wie weit der Kunst, der die
lätt! Ewigkeit gehört, ein höheres Recht gebührt, als dem kurzen Leben, als
odurch
der einzelnen lebendigen Stunde. Zweifellos wird der echte Künstler für
eben
sich, um das oft gemißbrauchte Wort anzuwenden, alle Werthe des Lebens
heilung
umwerthen müssen; vielfach wird ihm nur Kunstmodell (im weitesten
Sinne) sein, was Anderen unüberwindliches Lebensschickfal scheint.
Schnitzler geht nun von der Voraussetzung aus, daß ein beständiger, uner¬
bittlicher Kampf zwischen Kunst und Leben bestehe, aus dem nur eines von
beiden siegreich hervorgehen könne, und er hält es ferner für das selbst¬
verständliche Recht, zuweilen auch nur für das Geschick der Kunst über
das Leben zu triumphiren. Beide Voraussetzungen dürften nicht einwands¬
frei sein. Wenn der Künstler auch Vieles von seinem Leben in der Kunst
aufgehen läßt, wenn auch die beste Kunst aus Selbsterlebtem, Selbst¬
empfundenen entspringen wird, so wird doch ein Kampf nicht immer nöthig
sein, so werden doch beide Begriffe nicht immer unvereinbar sein. Man
wird Goethes Wort „Spät erklingt, was früh erklang, Glück und Unglück
wird Gesang“ als Beweis citiren. Aber gerade Goethe, an dessen selbst¬
erlebter Kunst wohl Niemand zweifeln wird, ist der Beweis, daß es möglich,
ist, Kunst und Leben zu einheitlicher Harmonie zu gestalten; er war ein¬
Lebenskünstler, wie er ein in Kunst Lebender war. Das Verhältniß von
Kunst zum Leben und die Frage, ob dem Leben oder der Kunst größeres
Recht gebührt, ist ja in der letzten Zeit vielfach dramatisch behandelt worden:
zwei Dramen haben bei uns in Breslau besonders starke Wirkung gehabt:
d'Annunzios „Gioconda“ und Ibsens „Wenn wir Todien erwachen“. Der
Italiener läßt in fast allzu krasser Symbolik die Kunst das Leben besiegen,
die Staiue der Gioconda zermalmt die zarten Hände der Sylvia Settala.
Anders Ibfen. Der Bildhauer Rubet geht zu Grunde, auch künstlerisch
zu Grunde, weil ihm die „lebendigen Stunde“ nur eiee Epifode war, weil
er das Leben der Kunst opferte. — Von den Schnitzlerschen Einaktern be¬
handelt der erste, der dem Cyklus den Namen giebt, in schlichtester Form
das Recht der Kunst gegenüber dem Lehen. Eine Mutter kürzt ihr Leben
freiwillig um ein paar Jahre ab, damit ihr Sohn, ein Dichter, die
Schaffensfrende und Freiheit wiedererlangt, die er an ihrem mehrjährigen
Krankenlager verloren. Ein alter, treuester Freund der Mutter wirft