II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 398

Desberichte u Personalnachrichten
Wenn, N7, Türkenstresse 12.
Pillale in Budapestt „Pipelde —
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Ausschnitt aus:
vom: 7 — 3 7272.
Thesen. Herr Forst gab den alten Herrn mit über= ihn mit banalen Trostesworten und enthüllt ihm seine
raschender Einfachheit und Schlichtheit des Tones und eigene Lage und Unzufriedenkeit. Da erfaßt den
in vortrefflicher Maske, besonders gut gelang ihm der Sterbenden ein Ekel und er läßt den „Freund“ wieder
Feuilleton.
tiese Schmerz über die anscheinende Gefühlsroheit deshinweggehen, ohne seinen Vorsatz ausgeführt zu haben.
jungen Dichters, welcher sich glücklich schätzt, seinen! In der Schilderung des Hospitals und einiger Neben¬
Schmerz durch dichterische Arbeit überwinden zu können.
personen, namentlich eines schwindsüchtigen Komikers
Diese Figur, die an Goethe'sche Lebensweisheit erinnern
ist Schnitzler außerordentlich glücklich. Der Schluß
Deutsches Schanspielhaus.
soll, ist so wenig temperamentvoll ausgearbeitet, daß
wirkt überraschend und effectvoll, ob er psychologisch
der Darsteller Herr Schroth seine ganze künstlerische
einwandfrei ist, will ich hier nicht untersuchen. Mir
(„Lebendige Stunden“.)
Kraft aufbieten mußte, um sie wahrscheinlich und
erscheint er etwas künstlich gemacht. Das Publicum
Bei Arthur Schnitzler, dem Wiener Antor, der sympathisch zu machen. Das Publicum verhielt sich.
schien mehr an dem brillanten Spiel der Darsteller
20 Zentum schon so manche erfolgreiche Stücke geschrieben, habe
zum Schluß sehr reservirt. Es applaudirten, wie mir
als an dem peinlichen Sujet des Stückes Interesse zu
schien, nur jene Leute, deren Händeklatschen man nach
nehmen.
ich stets die, Empfindung gehabt, daß er ein brillanter
Herrn Nhil's Leistung als sterbender
jedem Fallen des Vorhanges zu hören gewohnt ist.
phantasievoller, Plauderer, ein trefssicherer dramatischer
Journalist verdient um so mehr als bedeutend hervor¬
Der zweite Einacter
Antor, ein geistvoller Schriftsteller, ein geschmeidiger
springt von Ibsen zur
gehoben zu werden, da das Charakterbild nur durch
Aupasser an alle Stimmungen und Richtungen der
modernsten Literaturlanne,
zur indischen Seelen¬
seine Ausmalung der Details interessiren konnte. Sehr
Ii Gegens Literatur ist, auch ein kluger Erkenner Dessen, was
wanderungslehre über, aber ohne diese poetisch und
fein und decent gab Herr Brahm die tragikomische
eMaut unreh, das Publicum im Allgemeinen interessirt, aber niemals
philosophisch auszuschöpfen. Es ist wieder der kluge
Rolle des schwindsüchtigen Schauspielers. Ein lebens¬
kuten wei di ein Poct, ein Poet in dem Sinne, daß er aus innerer
volles Bild zeichnete Herr Montor in der Figur des
Mann, der eine actuelle Mode zum Aufputz seines
elementarer Anschauung herausschafftt, unbekümmert
poetischen Einfalles benutzt. Der Titel lautet: „Die
eitlen hohlköpfigen. Dichters. Herr Schroth als
Wter „OBshr darum, ob seine subjectiven Stimmungen Widerhall
Frau mit dem Dolche“. In einer Gemäldegalerie
Secundärarzt und in kleineren Rollen Herr Andresen
angabe ale bei Deuen da draußen finden. Ich kann mich ja in
hängt ein so betiteltes Bild aus der italienischen
und Frl. Löge (Krankenwärterin) vervollständigten
der Ingeajn dieser Beurtheilung- der Schnitzler'schen Individualität
Renaissancezeit, dessen Autor unbekannt ist. Vor
das Ensemble. Das Publicum rief die Darsteller
eine #chafeirren, aber manche äußerlichen Symptome sprechen
diesem Bilde treffen sich eine junge Frau und ein
ies In- uud doch für meine Anschauung. Ein dichterischer Erfolg,
junger Mann, welcher sie liebt. Die Frau ist die
Der vierte Einacter „Literatur“ ist ein Schwank,
en werken 1„ welcher unmittelbar die Herzen des Publicums erregt,
Gattin eines großen Dichters, welcher ebenfalls dem
der ziemlich frivoler Natur ist, aber durch die sprühende
tiefe Theilnahme entzündet, ist einem Schnitzler'schen
Cynismus des Genies huldigt. Aus den Erlebnissen
Lebendigkeit des Dialogs interessirt. Eine Frau, die
Stücke niemals zu Theil geworden, dagegen hat auch
seines eigenen traurigen Ehelebens hat er ein wirkungs¬
von ihrem Manne verlassen ist und schon Manches!
Ukeines einen äußeren Mißerfolg gehabt. Dazu schreibt
volles Stück zusammengeschrieben. Die junge Frau
durchgemacht hat, hat einen Roman geschrieben, welchen
*
Schnitzler eben zu klug und zu berechnend. Seine
und der junge Mann unterhalten sich eben darüber,
sie — wiederum mit dem „Cynismus des Genies“ —
scharf ausgesprochene und genau unterscheidende In¬
und der letztere glaubt schon am Ziele seiner Liebe zu mit den zärtlichen Briefen aus einer kurz vergangenen
telligenz bewahrt ihn vor dem Allerböchsten, aber auch sein da verfällt die junge Dame plötzlich in träumerischen! Liebesepisode reichlich gespickt hat. Ihr jetziger

vor dem Trivialen. Durch die Aufführung des Ein¬
Halhschlaf, und es verwandelt sich die Scene. Die
Bräutigam, ein ganz bedeutungsloser abliger Wiener
d
acter=Cyclus Lebendige Stunden“ am gestrigen Abend
„Frau mit dem Dolch“ wird lebendig, sie betrügt
Sportsmann, hält es aber für eine Entwürdigung
ist meine Auffassung nicht erschüttert worden und das
ihren verrätherischen Gatten, einen damals beliebten
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seiner Braut, daß sie einen Roman geschrieben, und
Publicum schien ähnliche Empfindungen zu haben.
Maler, mit einem hübschen Farbenreiber, erdolcht ihn läßt die ganze Auflage bis auf ein Exemplar, das er
Keiner der vier Einacter hatte einen großen Erfolg,
aber, als der Gatte hinzukommt. Dieser faßt die un= lesen will, einstampfen. Während er die Vernichtung

angenehme Sache völlig als künstlerisches Modell auf
aber jeder wußte Interesse zu erwecken.
besorgen will, kommt der alte Liebhaber zu der Frau,
„Lebendige Stunden“ ist der Titel des ersten
und malt darauf seine Frau in dem Moment kurz
und nun kommt's heraus, daß er auch einen Roman
ü5
Einacters, zugleich aber auch der Titel des Cyclus,
nach dem Dolchstoß, deshalb die „Frau mit dem
geschrieben hat, in welchem er ebenfalls dieselben
se
ohne eine innere Berechtigung, wenigstens ist mir diese
Dolche". Das Renaissance=Bild verschwindet. Die
zärtlichen Briefe verwendet hat. Wenn die beiden
st
nicht aufgegangen, trotz angestrengten Nachdenkens.
junge Frau und der junge Mann plaudern wieder
0
Romane zu gleicher Zeit auf den Markt kommen, wird
Wenn man vier Einacter zusammenkoppelt um einen
zusammen. Sie ist der Meinung, schon früher als
die Welt gleich wissen, wer das Liebespaar der beiden
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Theaterabend zu füllen, so ist ja ein Gesammttitel
Frau des Malers gelebt zu haben, und was diese
r
Romane ist. Man kann sich den Schrecken der Frau
nothwendig, und da acceptirte Schnitzler die üble
gethan hat, wird sie auch thun. Sie bestellt den Lieb¬
denken, als sie das letzte übriggebliebene Exemplar
Sitte der modernen Novellenschreiber, den Titel einer
haber zu einem heimlichen Rendezvons. Wird sie ihn
ihres Romans in der Hand ihres heimkehrenden
Novelle als Gesammttitel vorauszustellen.
auch erdolchen? Die Seelenwanderungstheorie die in
1
Bräutigams sieht. Aber in der Schlußscene gelingt
diesem Stücke spukt, hat mit der indischen nur Aeußer¬
Dem Einacter „Lebendige Stunden“ liegt die
es ihr, das Buch zu erhaschen und in den Kamin zu

Problemfrage zu Grunde, ob die Aufopferung eines liches gemeinsam, im Grunde ist sie nur eine amüsante
werfen, indem sie Reue über ihre schriftstellerischen
Spielerei, welche die Phantasie der Zuschauer angenehm
Menschenlebens und seiner lebendigen Stunden zu
f
Anwandlungen heuchelt. Na, die Frau ist nicht gerade
Gunsten des künstlerischen Schaffens, die den geistigen
erregen soll. Auch diesem sonderbaren Drama liegt
angenehm in ihrem völlig verfaulten sittlichen Selbst¬
Inhalt früherer lebendiger Stunden verewigt, moralisch kühle Berechnung zu Grunde, so hübsch der Dialog
1
bewußtsein, für eine lustige Person mit pikantem haut
und natürlich sei. Eine ewvig kränkelnde Mutter vergistet
und die Verse im Zwischenspiel auch sind. Frau
E
goüt auf dem Theater ist sie aber ganz erheiternd.
sich, um ihrem Sohne in seinem dichterischen Schaffen
[Doré und Herr Montor in ihren Doppelrollen
Frl. Hönigsvald traf den richtigen leichtfertigen!
kein störendes Hinderniß zu sein. Ihr Geliebter in ihrer
trugen zu dem Erfolg des Stückes wesentlich bei. Die
Ton in der Darstellung des decadenten Frauenzimmers.
kleine Rolle des italienischen Malers spielte Herr
späteren Lebenszeit weiß um diese Aufopferung, der
Mit arazösem Humor wußte sie die pikanten Pointen
Sohn nicht. Ein Gespräch zwischen Beiden, in welchem
[Nhil mit gewohnter Sicherheit.
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des Dialogs wiederzugeben. Desgleichen war Herr
allmählich à la Ibsen die Vergangenheit in klarem
In seinem dritten Emacter „Masken“ ist Schnitzler
Bienefeld als abgesetzter Liebhaber in glücklichster 2
Lichte auflaucht, bildet den Inhalt des Stückes. Der wieder ganz Realist und moderner Psychologe. Ein
Laune und Herr Burg als Wiener Sportsmannje
alte Herr, obgleich er als Realist gezeichnet ist, ist der armer alter Journalist, dem das Glück nie gelächelt,
vervollständigte das flotte Ensemble auf's Glücklichste. II
Verfechter der lebendigen Stunden, die mit der Ver¬
lieat todtkrank im Spitale. Er denkt daran, wie ein
Das Publicum war froh, die erstickende schwüle
storbenen dahin geschwunden, der Sohn ist rücksichts¬
College, der lange nicht den Geist und die dichterische Atmosphäre der drei ersten Stücke hinter sich zu haben,
loser Versechter derjenigen Theorie, nach welcher die
Schaffenskraft wie er besesien hat, durch eitle Streberei
und athmete froh auf. Der Schwank „Literatur“
hatte einen durchschlagenden äußeren Erfolg.
Mutter gehandelt hat, auch dann noch, als er zum
es zu einer angenehmen Position gebracht hat. Er
Schluß die Wahrheit erfährt. Will damit der Autorlärgert sich über die dumme Eitelkeit des Collegen und
Die Herren Regisseure werden, einem Ukas der
Direction zufolge, nicht mehr auf dem Theaterprogramm
dem Cynismus des Genius das Wort reden? Ich will ihm kurz vor dem Tode noch einen bosen Streich
weiß es nicht. Die Herren scheiden ziemlich stimmungslos
spielen. Einst hatte sich ihm, dem jetzt Todtkranken,
genannt. Ob nur einer oder mehrere der Herren die
voneinander und das Stück ist aus. Interessant theil¬
die Frau des Collegen hingegeben, weil der Gatte sie
Stücke gestern in Scene gesetzt haben, weiß ich nicht,
weise gestaltet ist der Dialog, aber man wird das
anekelte. Das will er dem dummen Kerl noch erzählen,
jedenfalls haben sie ihre Pflicht vollauf gethan. Die
Gesphl nicht los, daß kein Poet, sondern ein Professor
und deshalb bittet er den Arzt, den Collegen zu holen.
größte Kunst war auf den zweiten Einacter verwandt

der Philosophie auf uns eingeredet hat. Die Figuren Als dieser erscheint, kommt der Kranke aber nicht mit
worden. Abgesehen von dem recht roh gemalten
sind nicht von Fleisch und Blut, sondern allegorisirte der Sprache heraus, der gliebe Freund“ überschüttet Pilde der „Frau mit dem Dolche“. dessen Aehnlichkeit lle
mit Frau Doré dem heiter gestimmten Publicum mit¬
Recht nicht einleuchten wollte, war die Bühne in allen
Einzelheiten sehr fein abgestimmt, namentlich in den
Verwandlungsseenen. Bei völlig verdunkeltem Hause
ging der Decorationswechsel zweimal mit großer
Promptheit vor sich. Die Pausen zwischen den
einzelnen Stücken dehnten sich dagegen wieder un¬
glaublich lange aus, sodaß die Vorstellung nicht nach
10 Uhr, wie auf dem Programm stand, sondern erst
nach 10 Uhr aus war.
Oscar Riecke.