II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 400

16.1. Lebendige Stunden—zyklus
Mutter Freund, erfüllt von Bitterkeit, nicht vorent¬
Feuilleion.
halten will: daß sich die Theure um Heinrich's willen
das Leben genommen; daß sie gestorben ist, um dem
Sohne die Ruhe für sein künstlerisches Schaffen wieder¬
sches Schanspielhaus.
zugeben:
Hausdorser: Du wirst Dich nicht lang als Schuldiger
Montag, 10. März:
fühlen — nm! Du wirn Dich aufraffen! leben! ge¬
ebendige Stunden.
stalten!
Vier Einakter.
Heinrich: Das ist mein Recht, vielleicht sogar meine
Pflicht. Denn mir gleibt nicht Auderes übrig, als mich selbst
Von Arthur Schnitzler.
zu öten - oder den Beweis zu versuchen, daß meine Mutter
der Kunst ist heiliger Gottesdienst.
nicht vergehlich gestorben ist.
sam, er fordert furchtbare Opfer.
Er
Hausdotter: Heinrich! Vor einem Monat hat Deine
liester und Priesterinnen in Fesseln, er
Mutter no geleitt und Du kannn so reden? Für Dich
isten ihrer Göttin egoistisch, rücksichts¬
hat sie si# mgebracht und Iu gehst hin und schüttelst es
lten fanatisch. Er nimmt ihnen die
von Der ab? Und in ein paar Tugen nimmst Du's viel¬
t der Seele und heißt sie, die zarteste
leicht hin, als wär es ihre Schuldigkeit gewesen —.. Hoch¬
die verschwiegensten Erlehnisse
müthig seid Ihr!... Was ist denn Deine ganze Schreiberei,
und wenn Du das grögte Genie bist, was ist sie denn gegen
geliebten Herzens dem Papier,
so eine Stunde, so eine lebendige Stunde, in der Deine
önen anzuvertrauen und sie auf den
Mutter hier auf dem Lehnstuhl gesessen ist und zu uns ge¬
vor aller, auch des Pöbels profane
redet hat, oder auch geschwiegen —
aber da ist sie gewesen
da! und sie hat gelebt gelebt!
jungen Dichter! Ihm ist die Mutter
Heinrich: Lebendige Stunden? Sie leben doch
r für ihn gelebt. Ihn wirft keine
nicht länger als der Letzte, der sich ihrer erinnert. Es ist
zwingende Traurigkeit darnieder, wie
nicht der schlechteste Beruf, solchen Stunden Dauer
Freund, den treuen Kameraden der
zu verleihen, über ihre Zeit hinaus. — Leben Sie wohl,
Herr Hausdorfer. Der Schmerz giebt Ihnen heute noch das
h denkt nur daran, wie er die schmerz¬
Recht, mich mißzuverstehen. Im Frühjahr, wenn Ihr Garten
von seiner Seele waschen kann. Hät
auf's Neue blüht, sprechen wir uns wieder. Denn auch Sie
der Mutter Lebzeiten über ihren Tod,
*
leben weiter.“
ung von ihren und seinen Qualen
Ein anderes Beispiel! Der Dramatiker dort! Er
flieht er zu dem Rococogarten von
hat sein Weib, das ihn vergöttert, mit einer anderen
den alten Bildern der Münchener
verrathen, hat sie in Verzweiflung gestürzt und hat
bei ihnen Trost zu finden.
Er flieht
dann aus dem Allen ein Stück geschaffen und auf die
Kunst. Bei ihr wird er sich bald
Bühne gebracht. Die Gattin aber, Pauline, saß in der
kämpfen. Bei ihr wird er auch die
Loge und sah der Komödie zu. Und die Leute in der
ßheit ertragen lernen, die ihm der
Stadt wußten, daß sie die Prinzessin Maria war, von
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S
der das Schauspiel erzählte. Und sie richteten ihre
Operngucker auf sie und flüsterten. Das war der
Augenblick, wo sie den Großen, den Heißgeliebten haßte.
In dem Moment hätte sie sich in wilder Leidenschaft
dem begehrten, aber ungeliebten Manne hingeben können,
der doch den Vorzug hatte, mehr als ein Modell in ihr zu
sehen, der bereit war, die lebendigen Stunden an ihrer Seite,
ohne Angst vor den furchtbarsten Folgen, mit voller, rest¬
loser Hingebung der Seele auszukosten. Damals war
der Augenblick verpaßt. Heute kommt sie zur Gemälde¬
galerie, um Abschied von Leonhard zu nehmen. Sie
will abreisen, um sich vor einer neuen Versuchung zu
retten. Da beschwört er sie, am Abend zu ihr zu
kommen und sagt ihr alles über ihre Ehe, was sie sich
seiht schen gesagt. Aber sie kann innerlich nicht los von
dem Gatten, dessen-Genie sie gefangen hält. „Vielleicht
hat mein ganzes Leben gar keinen anderen Sinn gehabt,
als für ihn eine Gelegenheit zu sein, seinen Witz oder
meinethalben sein Genie zu zeigen.“ — Leonhard führt
Pauline zum Divan. Das Bild eines italienischen
Meisters der Renaissance ist ihnen gegenüber: Eine
Frau, die in hoch erhobener Hand einen Dolch hält.
„Ich bin es selbst. Erkennen Sie mich nicht? Und
hier im Schatten — der d#ie Jüngling — Sie —.“
Da trägt ein Ahnen, eine Art metempsychische Erinnerung
sie in die Zeit zurück, da dies Bild entstand. Der
Künstler Remigio, der es schuf, ist ihr Gatte. Sie selbst
ist Paola und Freund Leonhard: Lionardo, des Meisters
Schüler. Und das Schicksal der drei rollt sich deutlich
vor ihren Augen ab:
Remigio hatte die Gattin und das halbfertige Bild
verlassen und weilte seit einem Monat fern von ihr in
Florenz. Da führte ein Sturm der Leidenschaft sie in
die Arme des hübschen Lionardo. Aber sie fühlt für
den heimlich Umfangenen keine Liebe, nein, eher Ab¬