II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 405

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16.1. Lebendige Stunden zuklus
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„OBSERYEP“
Nr. 71
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om. 7/31777-
die Bahne und wir erleben diese Deutung in dramatischer Levendig= real gelebt hat, versch
„Aebendige Stunden“ von Ar hur Schnitzler.
keit. Die Dame des Bildes ist die Gattin eines Malers. Sie hat Gattinz die sie ohne Zwi
sich während der Abwesenheit des letzteren einem Liebhaber ergeben „Litteratur ist hinsicht
Erstaufführung im Residenztheater.
und tödtet diesen in dem Moment, wo der Gatte heimkehrt. Der
ziemlich banal hinsicht
Vier verschiedene Stücke und vier verschiedene Erfolge, resp. Mi߬
Gatte aber greift gelassen nach der Palette und vollendet nach der
mancher Einfälle des ü
erfolge. Das erste, „Lebendige Stunden“ benannt, fand eine unbe¬
heroischen Geste, in welcher die Frau vor ihm steht, das längst be¬
ührung all
stritten günstige Aufnahme. Es ist auf eine etwas forcirte Weise
gonnene Gemälde, für das er keinen rechten Ausdruck finden konnte.
Herr zuard im
geistreich und wäre Björnson besser als Schnitzler „gelegen“. Wenn
Dann wird es dunkel auf der Bühne, das Liebespaar sitzt noch immer
und Herl Stury im
es so lebhaft begrüßt wurde, so ist das dem Adel des Themas mehr als
auf dem Sopha vor dem Bild des „unbekannten Meisters aus dem
und Herr Köni
der lebendigen Gestaltung der dichterischen Absichten zu danken. Der
15. Jahrhundert" und Madame bewilligt dem Galan das Stelldich¬
dau und He
geistreiche Dialog bleibt Dialog: das abstrakt Gedachte tritt auch auf
ein, das sie ihm vorher verweigert hatte. — Wie man sieht, ist das
eine Premter
Für
der Bühne abstrakt auf. Das Thema aber, um das es sich handelt,
Stück sehr romantisch, sehr bunt und sehr — konstruirt. Auch hier
die der Herr
wird präziser durch eine episodisch eingeflochtene Erzählung als durch
ist das abstrakt Gedachte nicht lebendig geworden. Die hübsche Idee
kommt dan
das Stück selbst formulirt. Da ist nämlich von einem Musiter die
wird theatralisch aufgeputz nutd — verzettelt.
dem einen
Rede, der am offenen Sarg seines Kindes musizirt. Der Alltags¬
Der dritte Einakter nennt sich „Letzte Masken“. Hier kommt
Dolche“ ein
„ Umensch findet das empörend, künstlerisch veranlagte Naturen ver¬
echter Schnitzler und echtes Wienerthum zum Durchbruch, aber das
und das an
mögen das Thun des Musikers zu begreifen. Es gibt eben ein Leben
Zischen war hier womöglich noch stärker als bei „Die Frau mit dem¬
Gallerie nichi en
Abonnin der Idee und ein Leben in der Wirklichkeit, und wer jenes Leben
Dolche". Zwei Schriftsteller, die mit einander befreundet waren.
Abonne der Idee lebt, der entweiht seinen Schmerz nicht, wenn er ihn
haben, obschon sie beide gleichwenig Talent hatten, ein sehr ungleiches
fünstlerisch gestaltet. Ja, wäre nicht der Fall denkbar, daß ein ganz
Schicksal gehabt. Der eine ist zum Zeilenschinder herabgesunken, der
und gar ästhetisch veranlagter Mensch sich seines eigenen Lebens in
andere wurde berühmt. Ehe nun der Arme stirbt, möchte er den
Freud und Leid überhaupt nur sub specie der Kunst bewußt wäre?
Reichen noch einmal sprechen, um ihm zu sagen, wie sehr er ihn in
InhaltsDaß Jemand sein Leben als „Kunstwerk“ lebte? Jedenfalls liegt diese
seiner falschen Herrlichkeit verachtet. Aber als die Jugendfreunde sich
blättMöglichkeit dem produktiven Menschen nahe und so baut Schnitzler
dann gegenübersitzen, kommt es ganz anders. Der Reiche gesteht
wodure folgende Fabel auf. Eine alte Dame ist gestorben. Ihr Gatte ist
selbst, wie wenig er von seinem Ruhm hält und der Arme bringt kein
Leben ein Mann der Wirklichkeit, ihr Sohn ein Dichter. Jener litt darunter.
Wort des Vorwurfs über die Lippen. Jener geht und dieser stirbt.
theilundaß sie dahinsiechte, dieser trug außerdem noch den Schmerz, in seiner
Wenn sie unter sich sind, werden die Menschen, die sonst das Leben
Schaffensfähigkeit gelähmt zu sein. Und die Todte hat die Qualen
nur formell nehmen, wie jene anderen Menschen, die das Leben nur
des Sohnes errathen. Darum hat sie ihrem Siechthum ein jähes
real nehmen. Die Masken fallen und selbst jene letzte Maske muß
Ende gemacht, indem sie ein Fläschchen Morphium leerte. Nachdem
weichen, welche die Welt mit ihrem Ruhm und ihrer Verachtung um
man sie aber begraben, pflegen Gatte und Sohn eine lange Unter¬
die Schaffenden zu weben weiß: Mensch steht gegen Mensch.
redung mit einander, in welcher die beiden diametral entgegenge¬
Nach diesen drei ernsthaften Variationen des Grundthemas gibt es
setzten Arten, die Wirklichkeit aufzufassen, konfrontirt werden. Zu
dann zum Schluß noch eine heitere. Diese, obwohl stellenweise über¬
irgend einem Resultat kann diese Konfrontation natürlich nicht
residenz=theaterlich gepfeffert, wurde mit großer Heiterkeit und unbe¬
führen, da beide Standpunkte ihre subjektive Berechtigung haben. Das
strittenem Beifall aufgenommen. „Litteratur“ spielt zwischen drei
Stück klingt also in keine Lösung aus, sondern die Unterredung wird
Personen. Eine Frau, die eine Vergangenheit hat, eine Münchener
einfach abgebrochen. Es war eine undramatische Aufgabe, die dra¬
Bohéme=Vergangenheit, pendelt zwischen einem Aristokraten, den sie
matisch verarbeitet wurde. Eine poetische Doktordissertation, wenn
noch nicht hat, und einem Litteraturzigeuner, den sie nicht mehr hat,
man will, kein Bühnenstück.
vergnüglich hin und her. Das Zünglein an der Waage bildet ein
Das zweite Stück, „Die Frau mit dem Dolche“ wurde zwischen
Roman, welcher nicht nur das Liebesverhältniß des Zigeuners mit der
Beifall und Zischen hin= und hergehetzt. Es spinnt den Faden des
Dame schildert, sondern auch den beiderseitigen Briefwechsel enthält
r
ersten in einer andern Garnstärke und Garnfarbe weiter fort. Wie¬
und — sowohl von ihm als von ihr geschrieben und veröffentlicht
der ist von Menschen die Rede, die das Leben mehr formell als real
wurde. Da die Brieftexte übereinstimmen, kann natürlich die Ent¬
durchleben. Ein Dichter hat eine sehr schöne, von den Männern ver¬
deckung nicht ausbleiben, wer die Helden des Romans in Wirklichkeit
götterte Frau. Und er entblödet sich nicht, das geheimste Leben dieser
gewesen sind. Zum Glück ist aber der heirathslustige Aristokrat ein
Frau und sein eigenes auf der Bühne darzustellen. Nun trifft es sich,
so werkthätiger Litteraturfeind, daß er den Roman seiner Braut
daß seine Fraui mit ihrem Liebhaber ein Rendevonz in einer Gemälde¬
einstampfen läßt und damit, unbewußt natürlich, den drohenden
gallerie hat unid dort in einer gemalten „Frau mit dem Dolche“ aus
Eklat beseitigt. Wie man sieht, ist dieser humoristische Einakter der
dem 15. Jahrhundert große Aehnlichkeit mit sich selbst entdeckt. Nach= Cyklus gewissermaßen die Gegenprobe auf die drei anderen. Eine
denklich sitzt deas Paar dem Gemälde gegenühs. Da verdunkelt sich! Frau, die das Leben keineswegs formell, sondern im Gegentheil sehr
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