16.1. Lebendige Stundenzykius
ausgekostet hätten, daß alles Weitere
jedoch Konvention und ihrer beider
nicht würdig wäre; sie scheiden also.
Als Mascha, sein Modell, kurz danach
eintritt, erkennt er in ihr, die demütig
zu ihm und zuversichtlicher zu seiner
Kunst emporblickt als er selbst, den
rechten Menschen für die besondere und
ideale Gemeinschaft, die er ersehnt. —
Das Talent Rilkes, von Maeterlinck
— wie schon der Inhalt weist — stark
beeinflußt, bethätigt sich vorwiegend in
der Charakteristik der Zustände des über¬
feinen Malers, freilich weniger durch
dessen Handlungen als durch die sorg¬
fältig analysierenden Selbstbekennt¬
nisse, in dem Abtasten des nervös
Unaussprechlichen in ihm. Hätte der
Verfasser diesen stilisierten Herrn in
die Wirklichkeit hinauszustellen ver¬
mocht und uns den Zwiespalt gezeigt,
in den die feierlich in sich selbst ver¬
wickelte, überzeugte Unnatur dann
schlechterdings hätte geraten müssen,
etwas Tragikomisches wär's viel¬
leicht geworden. So aber hat er die
Umwelt des Helden auf dessen Schnitt
zugerichtet, die Unnatur als das Natür¬
liche aufgefaßt, und da' mußte denn
im Ganzen wohl eine unfreiwillige
Karikatur des „täglichen Lebens,“ eine
künstliche Häufung mehr oder weniger
„tieser“ Ausnahmezustände entstehen.
Von Arthur Schnitzler gab man
im Deutschen Theater vier Einakter. „Le¬
bendige Stunden“ sind in Wahrheit jene,
denen die Kunst Dauer verleiht — sowird
in der ersten Skizze durch ein ziemlich
farbloses Gespräch zweier Leidtragender
erörtert. „Die Frau mit dem Dolche"er¬
weist sich als ein Versuch, das beginnende
Verhältnis einer mondänen Frau zu
dem Liebhaber, den sie in der Bilder¬
gulerie zu treffen pflegt, in mystische Be¬
ziehung mit dem Inhalt eines alten Ge¬
mäldes zu setzen. Dort, im Bilde, so sagt
ein gleichsam als Traum eingeschobenes
Zwischenspiel, ersticht den Liebhaber
die Frau, da der Gatte es zu thun
verschmäht; die That aber hält er auf
2. Januarheft 1902
box 21/3
ausgekostet hätten, daß alles Weitere
jedoch Konvention und ihrer beider
nicht würdig wäre; sie scheiden also.
Als Mascha, sein Modell, kurz danach
eintritt, erkennt er in ihr, die demütig
zu ihm und zuversichtlicher zu seiner
Kunst emporblickt als er selbst, den
rechten Menschen für die besondere und
ideale Gemeinschaft, die er ersehnt. —
Das Talent Rilkes, von Maeterlinck
— wie schon der Inhalt weist — stark
beeinflußt, bethätigt sich vorwiegend in
der Charakteristik der Zustände des über¬
feinen Malers, freilich weniger durch
dessen Handlungen als durch die sorg¬
fältig analysierenden Selbstbekennt¬
nisse, in dem Abtasten des nervös
Unaussprechlichen in ihm. Hätte der
Verfasser diesen stilisierten Herrn in
die Wirklichkeit hinauszustellen ver¬
mocht und uns den Zwiespalt gezeigt,
in den die feierlich in sich selbst ver¬
wickelte, überzeugte Unnatur dann
schlechterdings hätte geraten müssen,
etwas Tragikomisches wär's viel¬
leicht geworden. So aber hat er die
Umwelt des Helden auf dessen Schnitt
zugerichtet, die Unnatur als das Natür¬
liche aufgefaßt, und da' mußte denn
im Ganzen wohl eine unfreiwillige
Karikatur des „täglichen Lebens,“ eine
künstliche Häufung mehr oder weniger
„tieser“ Ausnahmezustände entstehen.
Von Arthur Schnitzler gab man
im Deutschen Theater vier Einakter. „Le¬
bendige Stunden“ sind in Wahrheit jene,
denen die Kunst Dauer verleiht — sowird
in der ersten Skizze durch ein ziemlich
farbloses Gespräch zweier Leidtragender
erörtert. „Die Frau mit dem Dolche"er¬
weist sich als ein Versuch, das beginnende
Verhältnis einer mondänen Frau zu
dem Liebhaber, den sie in der Bilder¬
gulerie zu treffen pflegt, in mystische Be¬
ziehung mit dem Inhalt eines alten Ge¬
mäldes zu setzen. Dort, im Bilde, so sagt
ein gleichsam als Traum eingeschobenes
Zwischenspiel, ersticht den Liebhaber
die Frau, da der Gatte es zu thun
verschmäht; die That aber hält er auf
2. Januarheft 1902
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