II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 443

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tun
16.1. Lebendige Stunden Zuklus

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mente zur Last zu legen, das wenigstens fälligen politischen Weisheit einiger fortschritts= destens keinen dauernden Schaden erleiden.

gesetzt. Da melden sich die alten Schlager zum Worte: so dunkel nicht, obwohl die Stücke einander inhaltlich
Ist das Kunst? Gehört das aufs Theater? Ob es ferneliegen. Er deutet auf die vorgefasste Absicht des
Thenter am Franzensplatz.
Kunst ist, wage ich schlankweg wirklich nicht zu be¬ Dichters, an verschiedenen Beispielen zu zeigen, dass
jahen, denn von den großen Eingebungen des Ge= das Leben des Menschen in jenen Augenblicken gipfelt,
(Zum erstenmal: „Lebendige Stunden“, vier Ein¬
fühles, die uns das Größte schufen, findet sich in in denen es die höchste Energie aufbringt; das sind
acter von Arthur Schnitzler: „Lebendige Stunden“, „Die
Frau mit dem Dolche“ „Die letzten Masken“, „Literatur“.
diesen reflectorischen Dramen kaum eine Spur. Es ist gemeinhin die Augenblicke, in denen neues Leben ge¬
Aufgeführt am 1. April.)
zeugt wird oder altes erlischt, Liebe und Sierben.
bemerkenswert, wie viel der Dichter über Kunst und
das Verhältnis des Künstlerischen zum Allgemein= Diese Wahrheit ist fast banal. Schnitzler specialisiert
Dramatische Haselnüsse, den kritischen Kinnbacken
Menschlichen sprechen lässt. Auch im Wiener Cafés sie aber und erweitert sie zugleich. Er specialisiert sie,
zum Aufknacken vorgelegt! Dass sie taub sind, kann
man gewiss nicht sagen; aber durchaus Gold und „Griensteidl“ thäten die Leute besser daran, Künstler indem er sich aus der menschlichen Gemeinschaft die
zu sein, als über Kunst zu sprechen. Aber interessant schaffenden Künstler auswählt, und er erweitert sie,
Edelstein steckt auch nicht in den Schalen. Schnitzler
sind die geistreichen Einacter gewiss, und die Frage indem er bei diesen Schaffenden noch eine dritte, und
verstand sich darauf, das alte Uebel der deutschen
nach der Bühne ist keine Frage. Die Bühne ist zum zwar die höchste Lebensenergie den beiden anderen
Kritik herauszukitzeln: das Deuten, Aus= und Unter¬
Auslebenlassen da. Allem ernsten Wollen und Können zugesellt, die Energie des schaffenden Genius, die in
legen. Es war schor mancher Dichter bass erstaunt,
gewissem Sinne stärker ist als Liebe und Tod.
muss sie dienen. Das Rechte entwickelt sich von selbst;
als er erfuhr, was alles er sich gedacht habe. Schnitzler
sollte es sich nicht entwickeln, so könnte es die Bühne Die Stunden, in denen diese Kraft regiert, sind die
dagegen kann nicht staunen; er legte es darauf an
„lebendigen Stunden“.
auch nicht zwingen. Die Bühne soll überall hin ge¬
mit seinen Fragezeichen und Gedankenstrichen. Das
Das erste einactige Schauspiel — es führt den
Verdienst, die Gehirnfunctionen seiner Zuschauer langen, in die Kirche wie ins Spital. Ha, welch be¬
Namen des Cyklus — ist eine theoretische Vorrede.
mannigfach zu beschäftigen, kann ihm übrigens nicht friedigtes Entsetzen der Alten! Mit Schnitzlers
Ein junger Dichter hieng mit ganzem Herzen an seiner
bestritten werden. Seine vier Einacter haben wenig deittm Einacter sind wir ja wirklich mitten im
Herzenskunst, drei von ihnen sind überwiegend Ge= Allgemeinen Krankenhause. „Haben wir es nicht kranken Mutter. Der Anblick des geliebten Wesens,
vankenkunst — wenn dies Begriff überhaupt existiert. immer schon gesagt, dass die Moderne nur die das so litt und dem Tode entgegensiechte, lähmte seit
Sie sind ergrübelte, meht der Wissenschaft als der Nachtseiten, des Lebens aufsucht, dass sie Jahren seine Schaffenskraft. Die Mutterliebe sah es,
Poesie nahestehende Probleme; der vierte ist eine uns im Dunste des Armen= und Krankenhauses er= und heimlich befreite sie den Sohn, kürzte sie die Zeit
brillante Posse — im Stil zwischen „Jugend“, und sticken lässt?!“ Zwar hat Schnitzlers Einacter=Dichtung, des Siechthums freiwillig. ab. Der Sohn, dem von
„Simplicissimus“. Die trockene Problematik der drei wie früher darzulegen versucht wurde, mit Ibsen oder dem Freunde der Mutter das tragische Geheimnis ent¬
ernsten Einacter unterscheidet sich von der Ibsens auch Hauptmann gar nichts gemein, und das Wort hüllt wird, droht zu erliegen; aber vor die Wahl ge¬
im Grunde des Wesens; Ibsen ist der profunde „modern“ wird, was es in Währheit ist, nur zur stellt, sich zu tödten oder den Zweck des Liebesopfers
nichtssagenden Bestimmung des Entstehungszeitpunktes; zu erfüllen, rafft er sich auf zu neuem Schaffen und
Dichter; lebendige Menschen, nicht Theorien,
zwar ist auch das Krankenhaus in dem Dramolet Gestalten. Die fremde Kraft in ihm, über ihm, außer
nicht lebendige Stunden mit Menschen, die
ihm: der Genius, zeigt ihm den Weg zu seinem
uns trotz dieser Stunden fremd bleiben, schafft „Die letzten Masken“ Nebensache — aber wenn die
Rechte, zu seiner Pflicht. Der alie Freund der Mutter,
er, dringt mit dem Seherblicke in ihr Geheimstes, und Entrüsteten Recht haben wollen, so mögen sie immer¬
ein nüchterner Beamter, ist vor dieser ihm unbekannten
hin Recht haben; das schadet nicht.
das Problem ist bei ihm ein Resultat. In Schnitzlers
„Lebendige Stunden“ heißt der erste der vier fremden Kraft von Grauen erfüllt, er sieht in der
Einactern ist das Gedankenspiel voraus gegeben, noth¬
dürftig wird es mit ein bisschen Dichtung in Scene Einacter und der ganze Cyklus. Der Gesammttitel ist Ueberwindung von Liebe und Tod durch eine höhere