II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 470

TS
machers erscheint, sagt sich bisek Wöhik nefromme
ihm die Wahrheit? Und was mir, der ich nur noch
Vier Einacter von Arthur Schnitzler, aufgeführt
im Neuen deutschen Theater am 3. Mai 1902.
wenige Athemzüge habe, die Genugthuung? Die Sce¬
nerie ist ebenso düster, wie das Bild des verlorenen
Hausdorfer: Was ist denn Deine ganze
Schreiberei, und wenn Du das größte Genie bist, was
und verlogenen Lebens, das uns da entrollt wird. Aber
ist sie denn gegen so eine Stunde, so eine lebendige
beides wird mit realistischer Kunst und mit echt dichte¬
Stunde, in der Deine Mutter hier auf dem Lehnstuhl
rischer Absicht gezeichnet.
gesessen ist und zu uns geredet hat, oder auch ge¬
Aus tragischen Tiefen führt uns Schnitzler mit
schwiegen — aber da ist sie gewesen — dal und sie hat
Für
gelebt, gelebt!
dem letzten Stücke „Literatur“ an das Licht herzhafter
Heinrich: Lebendige Stunden? Sie leben doch
Heiterkeit. Margarethe, eine geschiedene Frau, hat einen
nicht länger, als der Letzte, der sich ihrer erinnert. Es
Mann aus dem High life gefunden, der sie heirathen
ist nicht der schlechteste Beruf, solchen Stunden Dauer
will. Er verlangt nur Eines von ihr: daß sie die Lite¬
zu verleihen, über ihre Zeit hinaus.
ratur fahren lasse und nicht mehr schreibe. Sie gesteht
Mit diesem Zwiegespräch gelangt die künstlerische
Abon
ihm nun, daß sie eben einen Roman vollendet hat, von
Abon Idee Schnitzlers in dem ersten Einacter „Lebendige
dem sie sich viel verspricht. Im höchsten Zorn läuft er
Stunden“, der dem ganzen Abend den Namen gegeben
davon und sie muß annehmen, daß zwischen ihnen
hat, zum Ausdruck. Diese Sätze umschreiben auch die
Beiden Alles aus ist. Nun tritt Gilbert in ihr Zimmer,
Inha
v1z ganze Handlung: eine Mutter hat sich den Tod ge¬
ihr ehemaliger Münchener Verehrer. Er möchte sie,
woc geben, um ihren Sohn einen jungen Dichter, frei zu
uatürlich nur zu freiem Zusammenleben, wieder mit sich
Lebe machen, da sie sieht, daß er im Anblick ihrer Leiden
nehmen. Sie weist ihn geringschätzig ab. Gilbert, um
thei zum Schaffen unfähig ist. Hausdorfer, der Freund der
ihr zu beweisen, daß er nicht, wie sie ihm immer vor¬
Mutter, hat das Geheimniß dieses Todes gegen den
warf, nur Kleinigkeiten zu Stande bringt, übergibt ihr
Willen der Mutter dem Sohn enthüllt und dieser sieht
seinen neuesten Roman. Sie erblickt darin mit Ent¬
es nun als seine Lebensaufgabe an, „den Beweis zu
setzen, daß er in diesem Roman den intimen Brief¬
versuchen, daß seine Mutter nicht vergeblich gestorben
wechsel, den er mit ihr seinerzeit geführt, veröffentlicht
ist“. Aus den obenangeführten Worten Hausdorfers
hat. Das Entsetzen ist darum so groß, weil sie selbst in
ertönt in kräftigsten Accenten die Bejahung des Willens
ihrem Roman ganz dasselbe gethan hat. Nun sieht sie
zum Leben; was Heinrich antwortet, ist das Programm
des dichterischen Schaffens überhaupt, Schnitzlers ins= sich Gilbert verfallen — aber in diesem Moment er¬
besondere. Damit ist auch die Erklärung des Titels für scheint Clemens wieder. Gilbert wird verabschiedet und
den ganzen Abend gegeben. Man hat indessen bei Clemens eröffnet ihr, daß er von ihrem Verleger die
diesem Werke durchaus nicht den Eindruck, als handle ganze Auflage ihres Romans aufgekauft hat und ver¬
es sich um die Feststellung von trockenen Thesen; viel= nichten ließ. Sie athmet erleichtert auf, da zeigt er
mehr wird in sehr spannender Weise die Handlung ihr das einzige Exemplar, das er dem Verderben vor¬
aufgerollt, aus welcher sich der volle Einblick in die enthalten. Aber dieses Exemplar kann ja zum Verräther
werden, wenn er es liest und bemerkt, daß das zurück¬
Vergangenheit und der Ausblick auf die Zukunft ergibt.
Auch in dem zweiten Stück „Die Frau mit dem gebliebene Werk Gilberts den gleichen Briefwechsel ent¬
Dolche“ wird ein Werkstätten=Problem behandelt. In hält! Rasch entschlossen reißt sie ihm das Exemplar aus
dem ersten Stück sehen wir den Dichter, der den flüch= der Hand und wirft es ins Feuer. „Wirst Du nun
tigen lebendigen Stunden Dauer verleiht, indem er das glauben, daß ich Dich liebe? frägt sie den Narren, der
in dieser Handlung den Verzicht Margarethens auf ihr
Selbsterlebte, sei es noch so erschütternd, künstlerisch
Schriftstellerthum aus Liebe zu ihm erblickt. Man muß
überwindet. In dem zweiten Stück wird uns der Dichter
gezeigt, der in seiner Frau immer nur das Modell sieht. über die betrogenen Betrüger lachen und über diese
dumme Gans Margarethe, die ein Typus dilettantischer
Was die Frau als lebendige Stunde empfunden hat,
und abenteuerlustiger Frauen ist. Sie hätte verdient,
das — so muß sie erkennen — war für den Gatten
daß es ihr schlechter ergehe — aber Clemens verdient
nur Studie, Vorlage. Und in dieser Erkenntniß, gegen
es trotz seiner scheinbaren Vernünftigkeit und Noblesse
die sich ihr Blut und ihr Persönlichkeitsgefühl, ihr echtes
nicht besser. Am Ende ist er der richtige Mann für sie
Empfinden aufbäumen muß, gibt sie dem Drängen eines
und vielleicht wird sie, von den Thorheiten, für die sie
anderen Mannes nach, der sie eben nicht als Künstler,
kein Talent hat, geheilt und, in die Welt eines anderen
sondern als Mann liebt. Schnitzler hat, wie er im ersten
Scheins überführt, die richtige Frau für ihn sein.
Stück seine Kunst daran bewährt durch einen bloßen
Das letzte Stück, von Frau Buska und den Hrrn.
Dialog dramatische Handlung zu erzeugen, in dem
John und Wymetal famos gespielt, weckte durch eine
zweiten Stück ein anderes technisches Kunststück zuwege
Fülle von Apergus und durch seine Ironie unausge¬
gebracht. Die Frau, Pauline, gelangt zur Erkenntniß
setzte Heiterkeit. „Die letzten Masken“ fanden viel
nicht etwa durch ihren Mann selbst, sondern durch einen
Beifall, aber hier regte sich auch Widerspruch. Offen¬
traumhaften Moment, in welchem sich alles plötzlich zu¬
bar von jenen Besitzern zarter Nerven, denen die Be¬
sammendrängt und ordnet, was ihr bisher nie im Lichte
kanntschaft mit dem Krankenhaus auch auf der Bühne
der Wirklichkeit erschienen ist. In einer Bildergalerie,
nicht behagt und die sich nicht gern das Herz zerbrechen
in der sie mit Leonhard, dem Manne, der sie liebt, zu¬
lassen. Für die Rademacher hatte Herr Moissi dies¬
sammentrifft, sieht sie ein Bild, das eine Frau mit einem
mal nur Aeußerlichkeiten; die ergreifende Wirkung
Dolch zeigt. Aus diesem Bild entwickelt sich ihr eine
kann da doch nur von einer bereits ausgereiften Per¬
Handlung: die Frau mit dem Dolch hat soeben ihren
sönlichkeit ausgehen. Herr Löwe als Schauspieler
Liebhaber getödtet, der Gatte, der in diesem Moment
hinzukommt und dem sie Alles gesteht, wird von ihre isah in seinem Habit viel zu wohlgenährt aus und
war für einen Todtkranken viel zu lebhaft. Viel¬
leicht hat er geglaubt, den Dichter mildern zu müssen,
allein da hat er geirrt. Er mußie tragikomisch sein,
statt komisch. Ungetheilten Beifall fand „Die Frau
mit dem Dolch“ mit Frl. Immisch und Herrn John.
Der Regie wäre zu bemerken, daß die Bühne nicht
genügend verdunkelt ist, so daß man bemerkt, wie die
Beiden weggehen und wiederkommen und wie das
Rundsopha herausgetragen wird. Das Einleitungs¬
stück hatte theils unter der Unruhe, die die Spät¬
kommenden verursachten, zu leiden, theils unter der
allzusehr gedämpften Darstellung. Bei aller gebo¬
tener Discretion muß doch bei Haushofer wie bei
Heinrich ein Durchbruch erfolgen, muß doch manches
stärker unterstrichen werden, um den Dialog zu be¬
leben und das Verständniß des Ganzen zu erleichtern.
Das gutbesuchte Haus zeigte sich übrigens den
ganzen Abend lebhaft interessirt. Es empfand doch
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Jeder, daß ein großer Dichter spreche.