II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 469

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16.1. Lebendige Stunden— zpklus
Telephon 12801.
Untreue gar nicht berührt und fordert sie nur auf, in
Alex. Weigl’s Unternehmen für Zeitungs-AusS eben dieser Stellung zu verharren, damit er sie so malen
könne. So könnte auch mein Mann handeln, denkt
Pauline. Was Grillparzer mit seinem „Traum ein
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„OBSERVER“
Leben“ in einem ganzen Drama unternommen hat, das
wird uns hier in wenigen Minuten vorgeführt: die
I. österr. behördl. conc. Buread für Zeitungsberichte u. Pers
entscheidende Wendung eines Menschenschicksals. Durch
Wien, IX/1, Türkenstrasse
diese Kürze wird es dem Zuschauer schwerer gemacht.
— Filiale in Budapest: „Figyelö“ -
sich in die Illusion vollständig einzuleben, allein das
Vertretungen in Berlin, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris,] Wesentliche der Dichtung: die Wandlung der Frau er¬
scheint vollständig motivirt.
Das dritte Stück „Die letzten Masken“ führt uns
in ein Spital. Wir haben es mit Sterbenden zu thun,
Kräger Tagl
Ausschnitt aus:
und zwar mit einem Schauspieler, der bis zum letzten
Augenblicke auch für sich selbst die Maske des Lebens
vorhält, und mit einem Journalisten, der sich und
vom: 1/2707
einem „Jugendfreund“ die Maske vom Gesicht und von
Allem, was ihn umgibt, wegreißen will, um ihm die
Wahrheit zu zeigen. Sein ganzes Leben lang hat sich
der Journalist Carl Rademacher darnach gesehnt, dem
Jugendfreund, der in werthlosen Augenblickserfolgen
sein Leben hinbringt und dessen Frau den Journalisten
Theater.
geliebt hat, die Wahrheit zu sagen. Nun, da der Ju¬
gendfreund, Alexander Weihgast, am Sterbebette Rade¬
„Lebendige Stunden“.
machers erscheint, sagt sich dieser: Wozu? Was frommt
Vier Einacter von Arthur Schnitzler, aufgeführt ihm die Wahrheit? Und was mir, der ich nur noch
im Neuen deutschen Theater am 3. Mai 1902.
wenige Athemzüge habe, die Genugthuung? Die Sce¬
Hausdorfer: Was ist denn Deine ganze
nerie ist ebenso düster, wie das Bild des verlorenen
Schreiberei, und wenn Du das größte Genie bist, was
und verlogenen Lebens, das uns da entrollt wird. Aber
ist sie denn gegen so eine Stunde, so eine lebendige
Stunde, in der Deine Mutter hier auf dem Lehnstuhl beides wir) mit realistischer Kunst und mit echt dichte¬
gesessen ist und zu uns geredet hat, ober auch ge¬
rischer Absicht gezeichnet.
schwiegen — aber da ist sie gewesen — da! und sie hat
Au tragischen Tiefen führt uns Schnitzler mit
Für
gelebt, gelebt!
dem letzten Stücke „Literatur“ an das Licht herzhafter

Heinrich: Lebendige Stunden? Sie leben doch
Heiterkeit. Margarethe, eine geschiedene Frau, hat einen
nicht länger, als der Letzte, der sich ihrer erinnert. Es
Mann aus dem High life gefunden, der sie heirathen
ist nicht der schlechteste Beruf, solchen Stunden Dauer
zu verleihen, über ihre Zeit hinaus.
will. Er verlangt nur Emes von ihr: daß sie die Lite¬
ratur fahren lasse und nicht mehr schreibe. Sie gesteht
Mit diesem Zwiegespräch gelangt die künstlerische
Abon
ihm nun, daß sie eben einen Roman vollendet hat, von
Abon Idee Schnitlers in dem ersten Einacter „Lebendige
dem sie sich viel verspricht. Im höchsten Zorn läuft er
Stunden“, der dem ganzen Abend den Namen gegeben
hat, zum Ausdruck. Diese Sätze umschreiben auch die
davon und sie muß annehmen, daß zwischen ihnen
Inha
Beiden Alles aus ist. Nun tri“ Gilbert in ihr Zimmer,
b1z ganze Handlung: eine Mutter hat sich den Tod ge¬
wod geben, um ihren Sohn, einen jungen Dichter, frei zu
ihr ehemaliger Münchener Verehrer. Er möchte sie,
Lebe machen, da sie sieht, daß er im Anblick ihrer Leiden
uatürlich nur zu freiem Zusammenleben, wieder mit sich
thei zum Schaffen unfähig ist. Hausdorfer, der Freund der
nehmen. Sie weist ihn geringschätzig ab. Gilbert, um
Mutter, hat das Geheimniß dieses Todes gegen den
ihr zu beweisen, daß er nicht, wie sie ihm immer vor¬
Willen der Mutter dem Sohn enthüllt und dieser sieht
warf, nur Kleinigkeiten zu Stande bringt, übergibt ihr
es nun als seine Lebensaufgabe an, „den Beweis zu
seinen neuesten Roman. Sie erblickt darin mit Gut¬
versuchen, daß seine Mutter nicht vergeblich gestorben
setzen, daß er in diesem Romas den intimen Brief¬
ist“. Aus den obenangeführten Worten Hausdorfers
wechsel, den er mit ihr seinerzeit geführt, veröffentlicht
ertönt in kräftigsten Accenten die Bejahung des Willens
hat. Das Entsetzen ist darum so groß, weil sie selbst in
zum Leben; was Heinrich antwortet, ist das Programm
ihrem Roman ganz dasselbe gethan hat. Nun sieht sie
des dichterischen Schaffens überhaupt, Schnitzlers ins¬
sich Gilbert versollen — aber in diesem Moment er¬
besondere. Damit ist auch die Erklärung des Titels für
scheint Clemens wieder. Gilbert wird verabschiedet und
den ganzen Abend gegeben. Man hat indessen bei
Clemens eröffnet ihr, daß er von ihrem Verleger die
diesem Werke durchaus nicht den Eindruck, als handle ganze Auflage ihres Romans aufgekauft hat und ver¬
es sich um die Feststellung von trockenen Thesen; viel= nichten ließ. Sie athmet erleichtert auf, da zeigt er
mehr wird in sehr spannender Weise die Handlung ihr das einzige Exemplar, das er dem Verderben vor¬
enthalten. Aber dieses Exemplar kann ja zum Verräther
aufgerollt, aus welcher sich der volle Einblick in die
Vergangenheit und der Ausblick auf die Zukunft ergibt.
werden, wenn er es liest und bemerkt, daß das zurück¬
gebliebene Werk Gilberts den gleichen Briefwechsel ent¬
Auch in dem zweiten Stück „Die Frau mit dem
Dolche“ wird ein Werkstätten=Problem behandelt. In hält! Rasch entschlossen reißt sie ihm das Exemplar aus
dem ersten Stück sehen wir den Dichter, der den flüch= der Hand und wirft es ins Feuer. „Wirst Du nun
glauben, daß ich Dich liebe? frägt sie den Narren, der
tigen lebendigen Stunden Dauer verleiht, indem er das
in dieser Handlung den Verzicht Margarethens auf ihr
Selbsterlebte, sei es noch so erschütternd, künstlerisch
Schriftstellertheim aus Liebe zu ihm erblickt. Man muß
überwindet. In dem zweiten Stück wird uns der Dichter
gezeigt, der in seiner Frau immer nur das Modell sieht. über die betrogenen Betrüger lachen und über diese
Was die Frau als lebendige Stunde empfunden hat,
dumme Gans Margarethe, die ein Typus dilettantischer
und abenteuerlustiger Frauen ist. Sie hätte verdient,
das — so muß sie erkennen — war für den Gatten
daß es ihr schlechter ergehe — aber Clemens verdient
nur Studie, Vorlage. Und in dieser Erkenntniß, gegen
es trotz seiner scheinbaren Vernünftigkeit und Noblesse
die sich ihr Blut und ihr Persönlichkeitsgefühl, ihr echtes
nicht besser. Am Ende ist er der richtige Mann für sie
Empfinden aufbäumen muß, gibt sie dem Drängen eines
und vielleicht wird sie, von den Thorheiten, für die sie
anderen Mannes nach, der sie eben nicht als Künstler,
kein Talent hat, geheilt und, in die Welt eines anderen
sondern als Mann liebt. Schnitzler hat, wie er im ersten
Scheins überführt, die richtige Frau für ihn sein.
Stück seine Kunst daran bewährt durch einen bloßen
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Sialog drau
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