II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 503

H
16.1. Lebendige Stunden Zuklus box 21/3
iger Leuen
inneren Mängel noch oft wiederkehren, ja wir glauben, daß sie em Zugstück
des Schau vielhauses werden, wenn die Direction sich enschließt, das erste
Stück zu streichen, das in seiner Formlosigkeit einen bedenklichen Schatten
über die ganze erste Hälfte des Premièrenabens geworfen hat.
Die lebendigen Stunden in dem ersten gleichnamigen Stücke besiehen!
in den Erinnerungen an die todie Mutter Heinrichs, in denen sich dieser und
Anton Hausdorfer, ein pensionirter Beamter, ergehen. In einem lang¬
aihmigen Dialog wird gesagt, daß Heinrich ein Dichter wäre,
daß sein Vaier seine Mutter einer Geliebten wegen ver¬
lassen, und daß seitdem Anton Hausdorfer der Freund von
Heinrichs Mutter gewesen. Schließlich erfahren wir, daß die Mutter ihre 2
langwierigen Leiden durch Morphium ein Ende gemacht, und zwar Heinri#“
wegen, weil dieser, wie er sagt, von dem Anblick seiner kranken Mulker
sich derart niedergedrückt fühlt, daß es ihm nicht mehr möglich ist, etwas
Ordentliches zu schaffen. Daß eine Mutter dieses Opfer bringt, ist begreif¬
lich. Seelisch vergriffen ist dagegen dieser Heinrich, der sich wie ein Ganzer
geberdet und noch nicht einmal ein Halber ist. Er ist eins jener Pfeuda 1
talente, die einmal in ihrem Leben, meist aus lyrischen Anlässen, etwa
fertig bringen, und dann für alle Zeiten ausgeschöpft sind. Er ist eine
jener Schwächlinge, die für ihre schöpferische Impotenz in jedem Falle
eine andere Entschuldigung zur Hand haben. Deshalb wird er auch nach
dem Tode seiner Mutter so wenig leisten wie vorher. Und wenn er
sich Hausdorfer gegenüber als Titan aufspielen will und etwas
Großes zu leisten verspricht, zugleich aber die Einschränkung macht
daß er sich erschießen müsse, wenn es ihm nicht gelänge, so fällt
dieser Chracter in seiner Unklarheit vollkommen auseinander.
In der „„rau mit dem Dolche“ führt Schnitzler uns in das Reich des
Glaubers an die Seelenwanderung. Pauline und Leonhard treffen sich!
in einer Gemäldeausstellung, in der ein Bild „Die Frau mit dem Dolche“
hängt. Die Aehnlichkeit zwischen dem Gemälde und Pauline ist auffallend.
Pauline versinkt in Erinnerungen, und diese Erinnerungen werden zu den
lebendigen Stunden, die in der folgenden Seene theatralisch wirksam dar¬
gestellt sind. Paola, die italienische Pauline aus dem Jahre 1530. hat sich
in der Abwesenheit ihres Gatten, des Malers Remigio,
ohne tiefere E¬
dessen Schüler Lionardo hingegeben;
Deßhalb haßt
rein aus fleischlicher Lust.
pfindung
und ersticht
vorüber
der Rausch
Lionardo, als
ihn, als dieser den heimgekehrten Gaten angreift, der den undank¬
baren Schüler nur mit Verachtung zur Thüre hinausweist und es ver¬
schmäht, demselben den erbetenen Todesstos zu geben. Paola steht immer
noch mit hocherhobenem Dolche da und blickt starr auf den am Boden¬
liedenden Lionardo; sie giebt dem Gatten die letzte Inspiration zu einem
Gemälde, dessen Abschluß ihm seither nicht recht gelingen wollte. Die Scene,
deren Fabel übrigens Hebbels Tagebüchern entnommen ist, giebt d
Entstehungsgeschichte des Bildes „Die Frau mu dem Dolche“ und gestette#
zugleich einen Ausblick auf das Ende des Liebesverhältnisses der ver¬
heiratheten Pauline mit dem jungen Leonhard. — In den „letzten
Masken“ erkennen wit die „lebendigen Stunden“ in der Scene zwischen
dem kranken Journalisten Rademacher und dem kranken Schauspieler
Jackwerth. Rademacher hat mit seinem großen Talente nichts er¬
reicht. Das Leben führte ihn abwärts, während es seinen Jugend¬
gespielen, den Dichter Weihgast emportrua. Verbissen und mit der
Wel zerfallen, seten wir ihn todtkrank in dem Krankenhause.
Die Erfolge Weihgasts lassen ihm keine Ruhe, er möchte diesen vernichten,
er möchte ihm sagen, daß er schon vor ihm sein Weib besessen. Alles was
er auf dem Herzen hat, erfahren wir in der Scene zwischen ihm und
Jackwerth; als Weihgaft aber kommt und ihm freundlich entgegentritt,
— Auch
schweigt Rademacher und mimint sein Geheimniß mi ins Grab.
der
die Figur des Rademacher ist verzeichnet. Ein Mensch,
und einen anderen Grund hat
nur aus niederem Neid —
seinen Mitmenschen vernichten will,
nicht
Rademacher
wer¬
Bühne dargestellt zu
ist nicht würdig, auf der
den. Rademackers Vorhaben hätte tiefer motivirt werden müssen.
Denn auch der Umstand, daß er schließlich sein Vorhaben nicht ausführt,
kann ihn nicht rehabilitiren. Die lebendigen Stunden in dem heiteren
und sehr amüsanten Stück „Litteratur“, das ja für Leivzig nicht mehr
neu war, besiehen in den Erinnerungen, die der Schrifisteller Gilbert in
dem Blaustrumpf Margareihe wachrun. Sie sprechen von ihrer Münchener
Zeit, sagen sich Malicen, compromutren sich, kurz sie entpuppen sich nach
und nach als Lit eraturlumpen allerersten Ranges, die ihre angemaßte
Größe und ihre Ueberzeugungen an den Nagel hängen, so oft nur
die äußeren Verhältnisse es als angebracht erscheinen lassen. Die Probleme
gehen in diesem Stück nicht in die Tiefe und geben Schnitzler keinen Anlaß
zu strancheln. Die Charaktere sind scharf gesehen und friich und flott hin¬
geworfen. Die Art, in der der Dichter die beiden Haupifiguren, Marga¬
rethe und Gubert, nach und nach sich selbst emtlarven läßt ist äußerst ge¬
schickt. „Luteratur“ ist das werthvollste unter den vier Stücken, und be¬
siegelte den Erfolg des Abends.
Unter den Darstellern verdient Herr Ernst Bornstedt an erster Stelle
genannt in werden. Ergab in den „Lebendigen Stunden“als Anton Hausdorfer
jenen sympathischen Menschen, den der Dichter nötvig hat, um es glaubhaft er¬
scheinen zu lassen, daß Heinrich sich über Hausdorfers Verhältniß zu seiner
Muner nicht empört. Und schließlich konnten „die letzten Masken“ nur
durch die vortreffliche Leistung des Herrn Bornstedt als Karl Rademacher
über Wasser gehalten werden. Mit einem feinen Gefühl für das
was der Dichter an dieser Figur versehen, wußte er alles Falsche!
und Niedrige zu dämpfen und zu verdecken durch die starke!
Betonung des edlen Sirebens Rademachers, sowie durch eine
an das Große reichende Resignation, mu der dieser Unglückliche, der sein
Theater und Mlusik.
Leben lang gestrebt und nichts erreicht hat, schließlich doch noch sein
Lebendige Stunden.
Schicktal trägt. — In dem gleichen Streben sehen wir Herrn Lothar
Mehnert. Er kam Herrn Bornstedt dadurch entgegen, daß er seinem
Einacter=Cyclus von Arthur Schnitzler.
ast eiwas von der Glätte und der berechnenden Liebens¬