II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 515

Den Abschlufs bildet das reizende Lustspiel „Li¬
Stunden, deren Herzblut die Zukunft eines kleinen!
steratur“ dessen Helden zwei verbummelte Typen
Epigonengeschlechtes befruchtet; sie sind todte Stun¬
einen Literatencafék von prächtiger Naturtreue sind.
den, die durch ihre Nachwirkung auf die Zukunft zu
Es ist die Schriftstellerin Margarethe, ein Mädchen
lebendigen werden. Vier Todtengesänge ertönen aus
mit sehr viel Vergangenheit, die sich ein täppischer,
diesen vier Einactern, Todtengesänge, die doppelt
literaturfeindlicher Baron aus diesem Milien als
traurig aus dem Munde eines unbedeutenden Zwerg¬
Braut holt, und deren ehemaliger Geliebter. Ein
volkes erklingen.
Sprühregen reizendster Motive ergießt sich aus diesem
Schnitzler holt sich diesmal seine Gestalten aus
Lustspiel, das mit überwältigender Heiterkeit wirkt.
Künstlerkreisen. Die egoistische Lebenslust der Deca¬
Es wurde von Frl. Osten und den Herren
denten mit ihrem übersättigten Gefühlsleben, ihrem
[Einer und Matuna zu reicher Wirkung ge¬
Anspruche auf das berüchtigte Durchsetzen der Indi¬
bracht.
vidualität steht gleichsam als Prolog an der Spitze
Das literarisch höchst beachtenswerte Werk be¬
des Cyclus: ein Schaffender, den der Aublick seiner
ansprucht mit seiner Fülle von Gedanken und dra¬
todtgeweihten, hinsiechenden Mutter, vor allem ihr
matischer Kraft ein Interesse in weit höherem Grade
unheimlich starrer Blick die Fähigkeit zur Arbeit
als die landläufige Marktware, dem es leider hier
rauht. Die Mutter, eine geschiedene Frau, endet frei¬
nicht in wünschenswertem Maße begegnete. In der
willig ihr Leben, um ihrem Sohne wieder zu leben¬
Bekundung seines Geschmackes ehrt man schließlich
digen Stunden zu verhelfen; aus einem Briefe der
f. e.
doch nur sich selbst.
Todten an den Lebensg ossen ihrer letzten Jahre
erfährt es der so reich B# hie und rettet sich mit
Gastspiel Odilon. Am Dienstag beginnt
einem moralischen Salton ale über diesen Mord
Frl. Odilon, der Liebling der Pilsner, ein zwei¬
ins Leben zurück. Man hat nicht die Empfindung,
abendliches Gastspiel, welches die „Camelien¬
dass der Gerettete des Opfers wert sei. Das epische
dame“ (Dienstag) und die „Zwillingsschwe¬
Sujet eignete sich besser zu einer Novelle, es ist,
ster“ (Mittwoch) umfassen wird. Die Künstlerin hat
ganz in Stimmung getaucht, von ###chologisch zarter
im Frühjahr eine Tourné durch Nordamerika absol¬
Zerbrechlichkeit, und stellt seine Wirkung allein auf
viert, und namentlich mit der künstlerischen Darstel,
die Kunst der Darsteller. Herr Matuna, der Sohn,
lung dieser zwei Rollen Sensation erregt, die noch
Herr Bürger, der Testamentsvollstrecker, gaben
durch das geradezu blendend prächtige Toiletten¬
einen besch idenen Extract, wo der Dichter die Quint¬
und Schmuckbeiwerk gehoben wurde. Den Abonnen¬
essenz des Lvens fordert; es gieng vieles von den
ten bleiben ihre Logen und Sitzplätze bis Montag
Feinheiten verloren. Herr Paulmann genügte
mittags 12 Uhr reserviert.
einer kleinen Gärtnerrolle.
Mit bewegten Pelsen setzt der zweite Einacter
ein, „Die Frau mit dem Dolche“ ein Fieber¬
Herrenhaus.
traumstück. Pauline, die Gattin eines Dichters, dem
(Telephonischer Bericht des „Pilsner Tagblatt“.)
sie mit einer reichen Vergangenheit nur todtes Ob¬
Wien, 6. December.
jekt poetischer Verkörperung ist, macht ihre Ansprüche,
Nach Eröffnung der Sitzung widmet der
Subject des Lebens zu sein, in der Singabe an einen
Vicepräsident Fürst Auersperg den ver¬
Freund geltend. Der Einacter spielt in einer Bilder¬
gallerie vor „der Frau mit dem Dolche“, dem Ge¬
storbenen Herrenhausmitgliedern Graf Franz
mälde eines unbekannten Künstlers aus dem 15. Jahr¬
Thun=Hohenstein=Sardagna und dem Grafen¬
hundert. Die im Innersten ihrer Seele zermarterte Belcredi warm empfundene Nachrufe, die das
Frau sitzt neben ihrem Geliebten nieder, eine Fieber¬
Haus stehend anhört.
phautasie erzählt ihr und uns die Entstehungsge¬
Sodann wird das Gesetz, betreffend die
schichte dieses Bildes, welche, ebenso wie dieses die
Festsetzung der Tageszeiten für die Erhebung
Züge Paulinens trägt, zugleich die Geschichte Pauli= von Wechselprotesten in erster Lesung ohne
neus ist: Dem Maler Remigio ist seine Frau ein Debatte der juridisch=politischen Commission zu¬
Modell, sie spielt keine Rolle in seinem Gefühlsleben,gewiesen.
Freiherr von Helfert begründet seinen
und da er, von einer Reise heimkehrend, sie von
seinem Schüler entehrt findet und die Gattin dem
Antrag wegen Erlassung eines Gesetzes zur
Sicherung des diocletianischen Palastes in Spalato.
Buhlen einen Dolch ins Herz stößt, tritt er kühlen
Blutes an seine Staffelei und malt nach dem Leben
Der Antrag wird der Specialcommission für
Kunst= und historische Denkmale zugewiesen.
„die Frau mit dem Dolche“. — In Frl. Osten's
Das Haus nimmt sodann einstimmig das Gesetz
Darstellung der Pauline fehlte der motivierende hy¬
verständlich macht.
betreffend die Gewährung von Steuer= und
sterische Zug, der Fieberträume
Gebüren=Begünstigungen und Veräußerung ära¬
Herr Brand (Leonhard) hielt sich im Schau= und
rischer Gründe an, ferner ein Gesetz, betreffend
Traumspiel auf der Höhe; auch Herr Paulmann
sand für den Maler Remigio den zutreffenden Ton. die Gewährung von Unterstützungen aus Staats¬
mitteln zur Linderung des Nothstandes.
Das Stück, das auch in scenischer Hinsicht wesentliche
Sodann zieht das Haus das vom Abge¬
Anforderungen stellt, ist das interessanteste unter
ordnetenhause beschlossene Terminhandels¬
den vieren.
Berichterstatter
gesetz in Verhandlung
Das ergreifendste sind „Die letzten Mas¬
Freiherr von Berger beschäftigt sich insbe¬
ken“. Es spielt im Krankenhause, seine Helden, ein
sondere mit dem Abänderungsantrag des § 12
Journalist und ein Schauspieler, sind Todescandi¬
und verweist auf die Zufallsmajorität, mit der
daten. Jeuer, ein nicht zur Geltung Gekommener,
dieser im Abgeordnetenhause angenommen wurde.
fühlt das pathologische Bedürfnis, noch vor dem Tode
Er empfiehlt die Annahme des § 12 in der
seinen mit Erfolgen gekrönten Collegen Alexander Weih¬
Herrenhausfassung.— Minoritätsberichterstat¬
gast, dessen Frau seine Geliebte war, dessen Kinder, seine
Kinder und dessen Erfolge seine Erfolge sind, zu sehenter Prinz Ferdinand Lobkowitz beantragt
und durch die Wucht der Anklagen zu vernichten. die Annahme der Abgeordnetenhausfassung. Er
Und da Weihgast kömmt, ist es die Geschichte von wendet sich gegen den Vorwurf, mit Rücksicht
dem Greise, der den Tod gerufen. Ein prächtiges, auf äußere Einflüsse seine Ueberzeugung ge¬
erschütterndes Duo: Dieser Sterbende, der dem Leben=sändert zu haben. Er verweist darauf, dass
viele Abgeordnete gegen den Antrag Schöpfer
den das Leben schenkt und dieser von Selbstbewusst¬
nur im Interesse der rascheren Erledigung der
sein durchsättigte Ehrenmann mit der ausgehöhlten
Vorlage gestimmt haben. — Graf Kuefstein
Ehre, der „morgen noch leben muss“. Die Darstellung
bittet, das Haus möge ein ähnliches Entgegen¬
war eine treffliche. — Der Journalist Rademacher
kommen zeigen, wie das Abgeordnetenhaus.
fand in Herrn Hartig einen vorzüglichen Inter¬
Gerade die Abgeordnetenhausfassung treffe den
preten, unterstützt von gleich tüchtigen Leistungen der
nichtofficiellen Terminhandel mehr als die
Herren Einer (Weihgast) und Brand (Schauspie¬
Herrenhausvorlage.
ler Jackwerth).