II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 520

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16.1. Lehendige Stundenz#klus
in Manier zugrunde geht.“ Diese Probe hatte Schnitzler
7 5. Lebendige Stunden. 74#4
zu bestehen, das war mein Gefühl. Er hätte mich aber
(Vler Einalter: „Lebendige Stunden", „Die Frau mit dem Dolche",
gar nicht gebraucht, denn in ihm ist jene wunderbare Un¬
„Die letzten Masken“, „Literatur" von Arthur Schnitzler. Im
geduld der ganz ehrlichen Menschen, die sich niemals be¬
Deutschen Vollstheater zum ersten Male ausgeführt am 14. März 1903).
euhigen, bei keinem Erfolge verweilen, sondern unerbittlich
Es ist jetzt eben zehn Jahre her, daß der „Anatol“
von sich das Höchste zu fordern entschlossen sind. Vim
erschien. Er hatte sogleich einen großen Erfolg: denn
„Anatol“ zum „Schleier der Jeatrice", welch ein Weg!
man wunderte und freute sich, mit welcher Anmut hier ein
Wie muß dieser Dichter mit sich gerungen, wie vielem muß
junger Wiener über alle kleinen Künste gebot, die man.
er entsagt, wie unablässig muß er sich ausgebildet haben!
sonst nür den Franzosen zugetraut hatte, und dabei seinen
Man sollte wirklich meinen: schon aus Respekt vor dieser
eigenen Ton durchzubringen, einen persönlichen Reiz zu
hohen Arbeit allein, aus Verehrung einer so reinen
behaupten wußte. Die gute Laune der Darstellung, die
künstlerischen Gesinnung hätte man ihm dankbar zu¬
Keckheit der ungezwungenen Sprache, welche doch ihre
jauchzen müssen. Doch sind die Menschen ein wunderlich
Haltung niemals verlor, ein Hauch von jener Melancholie,
Geschlecht und immer noch den alten Ephesiern gleich,
die der Wollust zu folgen pflegt, eine Nervosität, begreiflich
die Hermodoros, ihren wackersten Mann, aus der Stadt
an einem nachdenklichen, ja fast philosophischen jungen
jagten, mit den Worten: „Von uns soll keiner der wackerste
Menschen, der sich aber von der süßen Albernheit dieser
sein oder, wenn schon, dann anderswo und bei anderen.“
kleinen Mädchen nicht losmachen kann, ein leiser Spott,
Dies erzählt uns Heraklit und fügt, der Grobian, hinzu:
der sich lieber noch gegen sich selbst als gegen die anderen
Recht täten darum die Ephesier, wenn sie sich alle, Mann
wendet, dies alles war so wienerisch und doch so neu, daß
für Mann, aufhängen und den Unmündigen ihre Stadt
man sich vor Vergnügen gar nicht fassen konnte, und als
hinterlassen würden.
nun gar seine „Liebelei“ kam die freilich im dritten Akt schon
Die „Lebendigen Stunden“ kennt man ja von der
diese enge Welt einer stät schen Erotik verläßt, um ins
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angenehmen Aufführung her, die Brahm voriges Jahr im
Menschliche zu dringen, de. war er über Nacht mit einem
Carl=Theater gegeben hat. Von den vier in der Stimmung,
Male berühmt. Es war nun nur die Gefahr, daß er sich,
im Tone so wechselnden und doch geistig so fest zusammen¬
vom Erfolge verlockt, zur Manier verführen lassen und sich
gehaltenen Akten wird der letzte dem Publikum immer am
behaglich, wie mancher der jungen Pariser in jener Zeit,
besten gefallen; wie da Weltmann, Literat und Dilettantin
sozusagen als cochon triste etablieren würde; und ich
sich heiter durcheinander schlingen und ironisch umeinander
habe diese Befürchtung damals ausgesprochen, gereizter und
wiegen, das ist in der Tat charmant, mag dabei die
heftiger, als es notwendig gewesen wäre, aber eigentlich
Gerechtigkeit auch ein bißchen verschoben sein, da doch im
doch in einer guten Gesinnung: denn es galt, ihn von seiner
Leben, seien wir nur aufrichtig, meistens der verbummelte
nächsten unmittelbaren Welt weg über sich selbst, über
Skribent immer noch erträglicher ist als ein alberner
Launen und Grillen des Tages hinauszureißen und eben
Aristokrat, was der Dichter selbst wohl auch ganz gut weiß.
dadurch erst zu sich, zur Besinnung, zur Entwicklung zu
Der stärkste ist der dritie, die „Letzten Masken“, wo die
bringen. Goethe hat einmal zu Eckermann gesagt: „So
innere Verwilderung eines raté so grausam neben die
lange ein Dichter bloß seine wenigen subjektiven
innere Erstarrung eines Günstlings gestellt wird, daß wir
Empfindungen ausspricht, ist er noch keiner zu nennen;
uns am Ende ganz entsetzt sagen: Verunglücken oder
aber sobald er die Welt sich anzueignen und auszusprechen
reussieren, es wird einem die Wahl schwer, das eine bringt
weiß, ist er ein Poet. Und dann ist er unerschöpflich und
kann immer neu sein, wogegen aber eine subjektive Natur; den Menschen ebenso herab als das andere! Der liebste ist
ihr bißchen Inneres bald ausgesprochen hat und zuletzt! mir die „Frau mit dem Dolch“. Ich habe auch den ersten
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sehr gern, die „Lebendigen Stunden“,
Wehmut und Stille willen, wenn
lyrischen Füßen leiser gehen, als es in
wirken, erlaubt ist. Aber die „Frau mi
ich noch vor, weil sie an unsere tiefsten
Freilich fragt das Publikum am End
eigentlich „bedeuten“, was das Ganze
will, daß wir ihm den Sinn bei Helle
rechnen und herausbezahlen sollen.
voriges Jahr geantwortet habe: W#
wäre er kein Dichter und es wäre ke
einem nun aber meistens passiert, wen
und einmal etwas Gescheites sagt, hab
Leute sehr aufgebracht und sie haben
kann ihnen jedoch nur wiederholen,
Amt der Poesie war, ist und sein wirh
da es sich mit Worten nicht mitteilen
Beispiele, an einem Falle zu zeigen,
einmal nicht gesagt werden kann, wen
Wer mir das nicht glauben will, schlag
wo geschrieben steht: „Wehe dem Dicht
im gemeinen Verstande kapieren kann
nichts oder hat wenigstens nichts ge
erinnere sich, daß Goethe die Kunst „ei
Unaussprechlichen“ genannt und darum
„Je inkommensurabler und für den V
eine poetische Produktion, desto besser.“
Die „Frau mit dem Dolch“ schläg
wohl jeder einmal gespürt hat, wenn
gern beeilt, von solchen unheimlichen
zukommen. Wir tun oft, was für uns ge
was uns auch nicht einmal Freude macht
gar nicht wollen, wovon wir uns geh
fühlen, wovor wir eher zurückschauern.
Der Verstand zählt uns die Folgen v#
er hat Recht; wir beschließen, ihm zu gehof
alles nichts; wir tun es doch, oder eig
fast sagen: es wird doch mit uns getan.
wir: es reizt uns. Es reizt uns, obwohl
freut, obwohl es uns gefährlich un
Vielleicht gerade: weil es uns gef