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16.1. Lebendige Stundenzyklus
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ier zugrunde geht.“ Diese Probe hatte Schnitzler
sehr gern, die „Lebendigen Stunden“, um ihrer herbstlichen
derblich ist. Vielleicht gerade aus Lust an der Gefahr,
hen, das war mein Gefühl. Er hätte mich aber
Wehmut und Stille willen, wenn sie auch freilich auf
am Verderben. Das ist doch absurd, wird man
ht gebraucht, denn in ihm ist jene wunderbare Un¬
lyrischen Füßen leiser gehen, als es im Theater, will man
sagen. Man lese aber Edgar Poe nach, der gern die
der ganz ehrlichen Menschen, die sich niemals be¬
wirken, erlaubt ist. Aber die „Frau mit dem Dolche“ ziehe
Macht zeigt, die das Absurde über den Menschen hat,
bei keinem Erfolge verweilen, sondern unerbittlich
ich noch vor, weil sie an unsere tiefsten Stimmungen rührt.
und wie sie ihn stößt, eben das zu tun, was die Ver¬
das Höchste zu fordern entschlossen sind. Vom
Freilich fragt das Publikum am Ende, was sie denn
nunft ihn vermeiden heißt. Wer sich über einen Abgrund
zum „Schleier der Beatrice", welch ein Wegl
eigentlich „bedeuten“, was das Ganze heißen soll, und es
neigt, den zieht es herab. Die Heiligen, welche die Sünde
siß dieser Dichter mit sich gerungen, wie vielem muß
will, daß wir ihm den Sinn bei Heller und Pfennig vor¬
erkennen, werden von ihren Lockungen am heftigsten heim¬
agt, wie unablässig muß er sich ausgebildet haben!
rechnen und herausbezahlen sollen. Worauf ich schon
gesucht. Wie sollen wir uns das erklären? Wie sollen wir
sollte wirklich meinen: schon aus Nespekt vor dieser
voriges Jahr geantwortet habe: Wenn ich das könnte,
es uns überhaupt erklären, wenn unser Gefühl begehrt, was
Arbeit allein, aus Verehrung einer so reinen
wäre er kein Dichter und es wäre kein Gedicht. Wie es
unsere Vernunst uns versagt? Wir meinen dann wohl
ischen Gesinnung hätte man ihm dankbar zu¬
einem nun aber meistens passiert, wenn mar sich vergißt
(einen Ausdruck von Barrés anzuwenden), es seien die
in müssen. Doch sind die Menschen ein wunderlich
und einmal etwas Gescheites sagt, habe ich dadurch manche
Toten in uns, die mächtiger sind, als wir selbst. Es ist
cht und immer noch den alten Ephesiern gleich,
Leute sehr aufgebracht und sie haben mich ausgelacht. Ich
irgend ein fürchterlicher Urgroßvater in mir, der mmer
rmodoros, ihren wackersten Mann, aus der Stadt
kann ihnen jedoch nur wiederholen, daß es wirklich das
noch nicht sterben will und dessen ich mich nicht erwehren
mit den Worten: „Von uns soll keiner der wackerste
Amt der Poesie war, ist und sein wird, Unaussprechliches.
kann. Der regt mein Blut auf und reißt mich zu Taten
der, wenn schon, dann anderswo und bei anderen.“
da es sich mit Worten nicht mitteilen läßt, uns an einem
hin, denen meine Vernunft längst entwachsen ist. Daher
erzählt uns Heraklit und fügt, der Grobian, hinzu:
Beispiele, an einem Falle zu zeigen, der uns, was nun
alle die Gespenstergeschichten von Familien, in welchen eine
täten darum die Ephesier, wenn sie sich alle, Mann
einmal nicht gesagt werden kann, wenigstens fühlen läßt.
grauenhafte Tat, einmal verübt, so blutig auf allen Nach¬
kann, aufhängen uund den Unmündigen ihre Stadt
Wer mir das nicht glauben will, schlage seinen Hebbel nach,
kommen liegt, daß sie immer wieder wiederholt wird; man
assen würden.
wo geschrieben steht: „Wehe dem Dichter, dessen Werk man
erinnere sich etwa der „Elixiere des Teufels“. Wir lachen
Die „Lebendigen Stunden“ kennt man ja von der
im gemeinen Verstande kapieren kann! Er ist entweder
aufgeklärt darüber, aber wer ist unter uns, der nicht am
ihmen Aufführung her, die Brahm voriges Jahr im
hellen Tage schon mit solchen Gespenstern gerungen hätte?
nichts oder hat wenigstens nichts gemacht." Oder er
heater gegeben hat. Von den vier in der Stimmung,
Und schließlich geschieht mit jenem Pater Medardus auch nur
erinnere sich, daß Goethe die Kunst „eine, Vermittlerin des
ne so wechselnden und doch geistig so fest zusammen¬
genau dasselbe, wie mit dem Coupeau in „L'Assommoir“.
Unaussprechlichen“ genannt und darum resolut gesagt hat:
senen Akten wird der letzte dem Publikum immer am
Von hier ist es nun gar nicht mehr weit und wir fühlen
„Je inkommensurabler und für den Verstand unfaßlicher
gefallen; wie da Weltmann, Literat und Dilettantin
eine poetische Produktion, desto besser.“
jenen verruchten Urgroßvater so stark in uns, daß wir uns
iter durcheinander schlingen und ironisch umeinander
einbilden, wir selbst hätten damals seine Tat verübt: wir
Die „Frau mit dem Dolch“ schlägt manches an, was
, das ist in der Tat charmant, mag dabei die
hätten schon einmal in einer anderen Zeit in anderer#
wohl jeder einmal gespürt hat, wenn man sich sonst auch
htigkeit auch ein bißchen verschoben sein, da doch im
Gestalt gelebt. Und vielleicht bilden wir uns das nicht
gern beeilt, von solchen unheimlichen Stimmungen los¬
,seien wir nur aufrichtig, meistens der verbummelte
bloß ein. Es gibt Menschen, die darauf schwören. Aber¬
zukommen. Wir tun oft, was für uns gar keinen Sinn hat,
ent immer noch erträglicher ist als ein alberner
freilich, wir raffen uns auf, wir fühlen, daß wir
was uns auch nicht einmal Freude macht, was wir eigentlich
pkrat, was der Dichter selbst wohl auch ganz gut weiß.
uns dem nicht hingeben dürfen, ohne über die
gär nicht wollen, wovon wir uns geheimnisvoll gewarnt
stärkste ist der dritte, die „Letzten Masken“, wo die
Grenzen zu geraten. Wir spielen nur manchmal
fühlen, wovor wir eher zurückschauern. Aber es reizt uns
Verwilderung eines raté so grausam neben die
damit ein wenig. Wir schließen die Augen und
Der Verstand zählt uns die Folgen vor. Wir sehen ein
Erstarrung eines Günstlings gestellt wird, daß wir
dämmern ein. Und dann erinnern wir uns. Aber plötzlich
er hat Recht; wir beschließen, ihm zu gehorchen. Es hilft aber
am Ende ganz entsetzt sagen: Verunglücken oder
tönen die Glocken wieder, die Frau mit dem Dolche erwacht,
alles nichts; wir tun es doch, oder eigenklich müßte man
seren, es wird einem die Wahl schwer, das eine bringt
Paola ist wieder zur Pauline geworden, es war nur ein
fast sagen: es wird doch mit uns getan. Es ist stärker als
Menschen ebenso herab als das andere! Der liebste ist
Traum. Aber freilich: Was ist Wahrheit, was ist Traum?
wir: es reizt uns. Es reizt uns, obwohl es uns gar nicht
die „Frau mit dem Dolch“. Ich habe auch den ersten
freut, obwohl es uns gefährlich und verderblich ist.!
Hermann Bahr.
Vielleicht gerade: weil es uns gefährlich und ver¬
KMe
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16.1. Lebendige Stundenzyklus
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ier zugrunde geht.“ Diese Probe hatte Schnitzler
sehr gern, die „Lebendigen Stunden“, um ihrer herbstlichen
derblich ist. Vielleicht gerade aus Lust an der Gefahr,
hen, das war mein Gefühl. Er hätte mich aber
Wehmut und Stille willen, wenn sie auch freilich auf
am Verderben. Das ist doch absurd, wird man
ht gebraucht, denn in ihm ist jene wunderbare Un¬
lyrischen Füßen leiser gehen, als es im Theater, will man
sagen. Man lese aber Edgar Poe nach, der gern die
der ganz ehrlichen Menschen, die sich niemals be¬
wirken, erlaubt ist. Aber die „Frau mit dem Dolche“ ziehe
Macht zeigt, die das Absurde über den Menschen hat,
bei keinem Erfolge verweilen, sondern unerbittlich
ich noch vor, weil sie an unsere tiefsten Stimmungen rührt.
und wie sie ihn stößt, eben das zu tun, was die Ver¬
das Höchste zu fordern entschlossen sind. Vom
Freilich fragt das Publikum am Ende, was sie denn
nunft ihn vermeiden heißt. Wer sich über einen Abgrund
zum „Schleier der Beatrice", welch ein Wegl
eigentlich „bedeuten“, was das Ganze heißen soll, und es
neigt, den zieht es herab. Die Heiligen, welche die Sünde
siß dieser Dichter mit sich gerungen, wie vielem muß
will, daß wir ihm den Sinn bei Heller und Pfennig vor¬
erkennen, werden von ihren Lockungen am heftigsten heim¬
agt, wie unablässig muß er sich ausgebildet haben!
rechnen und herausbezahlen sollen. Worauf ich schon
gesucht. Wie sollen wir uns das erklären? Wie sollen wir
sollte wirklich meinen: schon aus Nespekt vor dieser
voriges Jahr geantwortet habe: Wenn ich das könnte,
es uns überhaupt erklären, wenn unser Gefühl begehrt, was
Arbeit allein, aus Verehrung einer so reinen
wäre er kein Dichter und es wäre kein Gedicht. Wie es
unsere Vernunst uns versagt? Wir meinen dann wohl
ischen Gesinnung hätte man ihm dankbar zu¬
einem nun aber meistens passiert, wenn mar sich vergißt
(einen Ausdruck von Barrés anzuwenden), es seien die
in müssen. Doch sind die Menschen ein wunderlich
und einmal etwas Gescheites sagt, habe ich dadurch manche
Toten in uns, die mächtiger sind, als wir selbst. Es ist
cht und immer noch den alten Ephesiern gleich,
Leute sehr aufgebracht und sie haben mich ausgelacht. Ich
irgend ein fürchterlicher Urgroßvater in mir, der mmer
rmodoros, ihren wackersten Mann, aus der Stadt
kann ihnen jedoch nur wiederholen, daß es wirklich das
noch nicht sterben will und dessen ich mich nicht erwehren
mit den Worten: „Von uns soll keiner der wackerste
Amt der Poesie war, ist und sein wird, Unaussprechliches.
kann. Der regt mein Blut auf und reißt mich zu Taten
der, wenn schon, dann anderswo und bei anderen.“
da es sich mit Worten nicht mitteilen läßt, uns an einem
hin, denen meine Vernunft längst entwachsen ist. Daher
erzählt uns Heraklit und fügt, der Grobian, hinzu:
Beispiele, an einem Falle zu zeigen, der uns, was nun
alle die Gespenstergeschichten von Familien, in welchen eine
täten darum die Ephesier, wenn sie sich alle, Mann
einmal nicht gesagt werden kann, wenigstens fühlen läßt.
grauenhafte Tat, einmal verübt, so blutig auf allen Nach¬
kann, aufhängen uund den Unmündigen ihre Stadt
Wer mir das nicht glauben will, schlage seinen Hebbel nach,
kommen liegt, daß sie immer wieder wiederholt wird; man
assen würden.
wo geschrieben steht: „Wehe dem Dichter, dessen Werk man
erinnere sich etwa der „Elixiere des Teufels“. Wir lachen
Die „Lebendigen Stunden“ kennt man ja von der
im gemeinen Verstande kapieren kann! Er ist entweder
aufgeklärt darüber, aber wer ist unter uns, der nicht am
ihmen Aufführung her, die Brahm voriges Jahr im
hellen Tage schon mit solchen Gespenstern gerungen hätte?
nichts oder hat wenigstens nichts gemacht." Oder er
heater gegeben hat. Von den vier in der Stimmung,
Und schließlich geschieht mit jenem Pater Medardus auch nur
erinnere sich, daß Goethe die Kunst „eine, Vermittlerin des
ne so wechselnden und doch geistig so fest zusammen¬
genau dasselbe, wie mit dem Coupeau in „L'Assommoir“.
Unaussprechlichen“ genannt und darum resolut gesagt hat:
senen Akten wird der letzte dem Publikum immer am
Von hier ist es nun gar nicht mehr weit und wir fühlen
„Je inkommensurabler und für den Verstand unfaßlicher
gefallen; wie da Weltmann, Literat und Dilettantin
eine poetische Produktion, desto besser.“
jenen verruchten Urgroßvater so stark in uns, daß wir uns
iter durcheinander schlingen und ironisch umeinander
einbilden, wir selbst hätten damals seine Tat verübt: wir
Die „Frau mit dem Dolch“ schlägt manches an, was
, das ist in der Tat charmant, mag dabei die
hätten schon einmal in einer anderen Zeit in anderer#
wohl jeder einmal gespürt hat, wenn man sich sonst auch
htigkeit auch ein bißchen verschoben sein, da doch im
Gestalt gelebt. Und vielleicht bilden wir uns das nicht
gern beeilt, von solchen unheimlichen Stimmungen los¬
,seien wir nur aufrichtig, meistens der verbummelte
bloß ein. Es gibt Menschen, die darauf schwören. Aber¬
zukommen. Wir tun oft, was für uns gar keinen Sinn hat,
ent immer noch erträglicher ist als ein alberner
freilich, wir raffen uns auf, wir fühlen, daß wir
was uns auch nicht einmal Freude macht, was wir eigentlich
pkrat, was der Dichter selbst wohl auch ganz gut weiß.
uns dem nicht hingeben dürfen, ohne über die
gär nicht wollen, wovon wir uns geheimnisvoll gewarnt
stärkste ist der dritte, die „Letzten Masken“, wo die
Grenzen zu geraten. Wir spielen nur manchmal
fühlen, wovor wir eher zurückschauern. Aber es reizt uns
Verwilderung eines raté so grausam neben die
damit ein wenig. Wir schließen die Augen und
Der Verstand zählt uns die Folgen vor. Wir sehen ein
Erstarrung eines Günstlings gestellt wird, daß wir
dämmern ein. Und dann erinnern wir uns. Aber plötzlich
er hat Recht; wir beschließen, ihm zu gehorchen. Es hilft aber
am Ende ganz entsetzt sagen: Verunglücken oder
tönen die Glocken wieder, die Frau mit dem Dolche erwacht,
alles nichts; wir tun es doch, oder eigenklich müßte man
seren, es wird einem die Wahl schwer, das eine bringt
Paola ist wieder zur Pauline geworden, es war nur ein
fast sagen: es wird doch mit uns getan. Es ist stärker als
Menschen ebenso herab als das andere! Der liebste ist
Traum. Aber freilich: Was ist Wahrheit, was ist Traum?
wir: es reizt uns. Es reizt uns, obwohl es uns gar nicht
die „Frau mit dem Dolch“. Ich habe auch den ersten
freut, obwohl es uns gefährlich und verderblich ist.!
Hermann Bahr.
Vielleicht gerade: weil es uns gefährlich und ver¬
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