u Wiener Brief.
2 Wien, Ende März.
Wir sind schon mitten im Frühling. Das so
oft besungene „Frühlingslüsterl“ weht durch die
Straßen und bringt aus dem nahen Wiener Walde
die ganze würzige Frische mit, die da draußen da¬
heim ist. Da wird der Wiener zum Wandervogel.
Am Sonntag nachmittag stehen die Kaffeehäuser
leer, und die, die sonst in seiner dunstigen, ver¬
räucherten Atmosphare mit bewunderungswürdiger
Ausdaur vier, fünf Stunden gesessen, die fliegen
jetzt aus. Sie hhaben's ja auch so bequem! Man
tritt aus dem Haustor heraus, steigt in die Elek¬
trische und fährt für zehn Kreuzer — fortgeschrittene
Staatsbürger sagen mit Emphase zwanzig Heller
— hinaus nach Neuwaldegg, Potzlainsdorf, Grin¬
zing. Und wessen Sinn schon ins Weitere gerichtet
ist, der setzt sich auf die Stadtbahn und „reist“ nach
Preßbaum, nach Greifenstein, und wie sie alle,
die Perlen an der Donan und im Wiener Walde,
heißen. Allerdings darf man sich nicht vorstellen,
daß bei solchem „Fliegen in das Weite“ die Frie¬
gerei an sich die Hauptsache ist. Die Hauptsache
ist, daß man nachher im Gasthaus einen guten
Platz und ein frisches Bier oder einen guten Wein
bekommt. Der Wiener steigt nicht auf seine roi¬
genden Berge, um von ihrer Höhe aus den alien
Steffel zu bewundern.
Das kommt nur in den
Liedern idealistisch veranlagier Voltsdü#ter vor.
Der Wiener der Wirtlichkeit ist Sybarit durch und
durch. Er schwelgt allerdings nicht Stimmung
und Ratur; seine Schwelgerei, so bescheiden sie auch
sein mag, beschränkt sich auf einen guten Wein und
ein bischen Musik. Aber die beiden Dinge sind un¬
erläßlich, damit er in Stimmung komme. Bildet
sdann auf der Heimfahrt die Drängerei und Schie¬
berei in den bis obenan vollgepfropften Wagen
als „Grand=Hetz“ einen würdigen Abschluß, so ist
das Vergnügen vollkommen.
Natürlich ist so ein Sonntagsnachmittags=Aus¬
flug nur das Vergnügen von den sogenannten
„unieren Voltsschichten“, — der literarisch gebildete
Kommis sagt „Gevatter Schuster und Schneider“.
Das, was besser ist, oder sich besser dünkt, hat
andere Frühlingsamusements. Abbazia ist leicht
zu erreichen, der Semmering noch leichter. Man
fühlt sich unter dem Wohen des Frühlingslüsterls
erholungsbedürftig von den Gesellschaftsstrapazen,
des Winters und geht südwärts. Das tun die, die
besser sind als die Sonntagsausflügler.
Die,
die sich besser dünken, gehen — zum Trabfahren.
Da ist jetzt großes Frühlingsmeeting und dement¬
sprechende Aufregung. In den Bureaus, Sport¬
cafés, auf den Proben der Theater wird fortwäh¬
rend und erregt debattiert. Jeder, der etwas von
dieser heiligen Wissenschaft versteht, fühlt sich als
Sportsman. Selbstverständlich auch der, der nichts
davon versteht. Die Svort=Journale, die den Win¬
ter über nur von Berichten englischer und franzö¬
sischer Rennen ein kümmerliches Dasein gefristet,
erscheinen in erhöhten Auflagen. Und am Renntag
pilgert eine kleine Völkerwanderung hinunter in
den Prater zu dem Rennplatz bei der Rotunde.
Das sind auch Frühlingswanderer. Aber die eiehen
nicht ins Freie, um den Frühling zu suchen. Daß
es in dem herrlichen, wunderherrlichen Prater aus
allen Zweigen zu sprießen und zu knospen beginnt,
daß die weiten Rasenflächen sich mit warmem, fri¬
schem Grün überziehen, das sohen sie nicht. Auch
eine Wirkung des Frühlingslüfterl.
Immerhin eine solche, von der man annehmen
könnte, sie würde dem Theater schaden. Wenn die
Leute ihr Geld an der Kasse des Totalisators los
werden, haben sie keines für die des Theaters übrig.
Mit nichten. Auch die Sonntagsausflügler und die
Abbazia= und Semmeringwanderer tun dem
Theater keinen Abbruch. Im Gegenteil. Es scheint,
als sei das Frühlingslüfterl auch in die Tore der
Bühnen hineingeweht und habe hier die Winterver¬
schlafenheit aufgerüttelt. Durch unsere großen
dem Leriher Publikum viele angenehme Stunden
bereitet. FAber wir in Wien haben uns nun schon
einmal in die Rolle des Nachtretens gefunden.
Auf unseren Bühnen werden keine Talente mehr
entbeckte Höchstens eines, das eine neue Glanz¬
rolle für die Odilon oder die Hohenfels schreibt.
Sonst wird bei uns nur aufgeführt, was draußen
im Reiche die Feuerprobe des Kassenerfolges be¬
standen hat. Die „Lebendigen Stunden haben es,
folglich wurden sie auch der Ehre würdig erachtet,
einem hochwohllöblichen Wiener Publikum vorge¬
führt In werden. Nun, es war ein hübscher Er¬
folg, sogar ein literarisch werwoller.
Das Volkstheater hatte seine Frühjahrs¬
Premire, folglich mußte auch das Burgtheater eine
solcheschaben. Direktor Schleuther richtee sich von
den Lorbeeren, die ihm die Kunst der Holenfels als
„Monna Banna eingetragen, energisch in die
Höhe und tat einen Griff mitten hinem in die hei¬
mische Literatue. Aber er war augenscheinlich noch
nicht recht ausgeschlafen und griff mit gewohnter
Sicherheit daneben. DDas Volkstheater hatte Arthur
Schnitzlers „Lebendige Stunden viel zu spät auf¬
geführt, Schlenthers Errungenschaft, der Einakter¬
zukius „Zu spät“ von der Wienerin Marie della
Grazie, kam mit Rücksicht auf seine Minderwertig¬
keit noch viel zu früh. Mit diesem Einakterzuklus
war es — micht. Die Marlitt und ihr Geist
seiern darin eine selige Auferstehung. Und über
die sind wir in Wien denn doch schon hinaus. Der
süße Backsisch, der zerstreute Herr Professor, der
enisagende Hanslehrer mit Osterglockenbegleitung
haben für uns doch keine Reize mehr. In dem
einen Stücke, „Donanwellen“, ist zwar so etwas
wie „Wiener Stimmung vorhanden. Da steht
ein regelrechtes Poetenwirtshaus auf der Bühne,
eine Damenkapelle geigt da herum, ein prähistori¬
scher Fiaker redet da wienerische Töne, aber die
Heldin des Stückes, eines der beliebten verführten
und sitzengelassenen süßen Mädeln, verwässert durch
ihre Tränen die ganze Wiener Stimmung und ver¬
wandelt sie in eine hochst trübe und fade. Ein Ein¬
akter nach dem anderen wurde mit sanfter Galan¬
terie abgelehnt. Nur der vierte, „Die Mutter“,
nicht. Weil er überhaupt nicht aufgeführt wurde.
Die Sage geht, daß dem Herrn Direktor — aller¬
dings „zu spät“.— so was wie eine richtige Er¬
kenntnis überkam, und er das Stück ganz absebzte,
weil — weil Frau Mitterwurzer plötzlich unpä߬
lich geworden# Sagte der Theaterzeitel.
2 Wien, Ende März.
Wir sind schon mitten im Frühling. Das so
oft besungene „Frühlingslüsterl“ weht durch die
Straßen und bringt aus dem nahen Wiener Walde
die ganze würzige Frische mit, die da draußen da¬
heim ist. Da wird der Wiener zum Wandervogel.
Am Sonntag nachmittag stehen die Kaffeehäuser
leer, und die, die sonst in seiner dunstigen, ver¬
räucherten Atmosphare mit bewunderungswürdiger
Ausdaur vier, fünf Stunden gesessen, die fliegen
jetzt aus. Sie hhaben's ja auch so bequem! Man
tritt aus dem Haustor heraus, steigt in die Elek¬
trische und fährt für zehn Kreuzer — fortgeschrittene
Staatsbürger sagen mit Emphase zwanzig Heller
— hinaus nach Neuwaldegg, Potzlainsdorf, Grin¬
zing. Und wessen Sinn schon ins Weitere gerichtet
ist, der setzt sich auf die Stadtbahn und „reist“ nach
Preßbaum, nach Greifenstein, und wie sie alle,
die Perlen an der Donan und im Wiener Walde,
heißen. Allerdings darf man sich nicht vorstellen,
daß bei solchem „Fliegen in das Weite“ die Frie¬
gerei an sich die Hauptsache ist. Die Hauptsache
ist, daß man nachher im Gasthaus einen guten
Platz und ein frisches Bier oder einen guten Wein
bekommt. Der Wiener steigt nicht auf seine roi¬
genden Berge, um von ihrer Höhe aus den alien
Steffel zu bewundern.
Das kommt nur in den
Liedern idealistisch veranlagier Voltsdü#ter vor.
Der Wiener der Wirtlichkeit ist Sybarit durch und
durch. Er schwelgt allerdings nicht Stimmung
und Ratur; seine Schwelgerei, so bescheiden sie auch
sein mag, beschränkt sich auf einen guten Wein und
ein bischen Musik. Aber die beiden Dinge sind un¬
erläßlich, damit er in Stimmung komme. Bildet
sdann auf der Heimfahrt die Drängerei und Schie¬
berei in den bis obenan vollgepfropften Wagen
als „Grand=Hetz“ einen würdigen Abschluß, so ist
das Vergnügen vollkommen.
Natürlich ist so ein Sonntagsnachmittags=Aus¬
flug nur das Vergnügen von den sogenannten
„unieren Voltsschichten“, — der literarisch gebildete
Kommis sagt „Gevatter Schuster und Schneider“.
Das, was besser ist, oder sich besser dünkt, hat
andere Frühlingsamusements. Abbazia ist leicht
zu erreichen, der Semmering noch leichter. Man
fühlt sich unter dem Wohen des Frühlingslüsterls
erholungsbedürftig von den Gesellschaftsstrapazen,
des Winters und geht südwärts. Das tun die, die
besser sind als die Sonntagsausflügler.
Die,
die sich besser dünken, gehen — zum Trabfahren.
Da ist jetzt großes Frühlingsmeeting und dement¬
sprechende Aufregung. In den Bureaus, Sport¬
cafés, auf den Proben der Theater wird fortwäh¬
rend und erregt debattiert. Jeder, der etwas von
dieser heiligen Wissenschaft versteht, fühlt sich als
Sportsman. Selbstverständlich auch der, der nichts
davon versteht. Die Svort=Journale, die den Win¬
ter über nur von Berichten englischer und franzö¬
sischer Rennen ein kümmerliches Dasein gefristet,
erscheinen in erhöhten Auflagen. Und am Renntag
pilgert eine kleine Völkerwanderung hinunter in
den Prater zu dem Rennplatz bei der Rotunde.
Das sind auch Frühlingswanderer. Aber die eiehen
nicht ins Freie, um den Frühling zu suchen. Daß
es in dem herrlichen, wunderherrlichen Prater aus
allen Zweigen zu sprießen und zu knospen beginnt,
daß die weiten Rasenflächen sich mit warmem, fri¬
schem Grün überziehen, das sohen sie nicht. Auch
eine Wirkung des Frühlingslüfterl.
Immerhin eine solche, von der man annehmen
könnte, sie würde dem Theater schaden. Wenn die
Leute ihr Geld an der Kasse des Totalisators los
werden, haben sie keines für die des Theaters übrig.
Mit nichten. Auch die Sonntagsausflügler und die
Abbazia= und Semmeringwanderer tun dem
Theater keinen Abbruch. Im Gegenteil. Es scheint,
als sei das Frühlingslüfterl auch in die Tore der
Bühnen hineingeweht und habe hier die Winterver¬
schlafenheit aufgerüttelt. Durch unsere großen
dem Leriher Publikum viele angenehme Stunden
bereitet. FAber wir in Wien haben uns nun schon
einmal in die Rolle des Nachtretens gefunden.
Auf unseren Bühnen werden keine Talente mehr
entbeckte Höchstens eines, das eine neue Glanz¬
rolle für die Odilon oder die Hohenfels schreibt.
Sonst wird bei uns nur aufgeführt, was draußen
im Reiche die Feuerprobe des Kassenerfolges be¬
standen hat. Die „Lebendigen Stunden haben es,
folglich wurden sie auch der Ehre würdig erachtet,
einem hochwohllöblichen Wiener Publikum vorge¬
führt In werden. Nun, es war ein hübscher Er¬
folg, sogar ein literarisch werwoller.
Das Volkstheater hatte seine Frühjahrs¬
Premire, folglich mußte auch das Burgtheater eine
solcheschaben. Direktor Schleuther richtee sich von
den Lorbeeren, die ihm die Kunst der Holenfels als
„Monna Banna eingetragen, energisch in die
Höhe und tat einen Griff mitten hinem in die hei¬
mische Literatue. Aber er war augenscheinlich noch
nicht recht ausgeschlafen und griff mit gewohnter
Sicherheit daneben. DDas Volkstheater hatte Arthur
Schnitzlers „Lebendige Stunden viel zu spät auf¬
geführt, Schlenthers Errungenschaft, der Einakter¬
zukius „Zu spät“ von der Wienerin Marie della
Grazie, kam mit Rücksicht auf seine Minderwertig¬
keit noch viel zu früh. Mit diesem Einakterzuklus
war es — micht. Die Marlitt und ihr Geist
seiern darin eine selige Auferstehung. Und über
die sind wir in Wien denn doch schon hinaus. Der
süße Backsisch, der zerstreute Herr Professor, der
enisagende Hanslehrer mit Osterglockenbegleitung
haben für uns doch keine Reize mehr. In dem
einen Stücke, „Donanwellen“, ist zwar so etwas
wie „Wiener Stimmung vorhanden. Da steht
ein regelrechtes Poetenwirtshaus auf der Bühne,
eine Damenkapelle geigt da herum, ein prähistori¬
scher Fiaker redet da wienerische Töne, aber die
Heldin des Stückes, eines der beliebten verführten
und sitzengelassenen süßen Mädeln, verwässert durch
ihre Tränen die ganze Wiener Stimmung und ver¬
wandelt sie in eine hochst trübe und fade. Ein Ein¬
akter nach dem anderen wurde mit sanfter Galan¬
terie abgelehnt. Nur der vierte, „Die Mutter“,
nicht. Weil er überhaupt nicht aufgeführt wurde.
Die Sage geht, daß dem Herrn Direktor — aller¬
dings „zu spät“.— so was wie eine richtige Er¬
kenntnis überkam, und er das Stück ganz absebzte,
weil — weil Frau Mitterwurzer plötzlich unpä߬
lich geworden# Sagte der Theaterzeitel.