II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 562

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vom:
2/7 1103
Stadttheater.
„Lebendige Stunden“. Dieser Einakter=Zyklus
Schnitzlers wurde bereits in der vergangenen Sommer¬
saison von einem Burgtheater=Ensemble an unserer
Bühne in mustergiltiger Weise aufgeführt — wenigstens
gezieht sich dies auf das Schauspiel „Die letzten und großer Geschicklichkeit durchgearbeitet bis in die
Rasken“ und das Lustspiel „Literatur“ vollkommen, feinsten Details. Herr Hoppé hätte als Weihgast
vährend in dem Schauspiel „Die Frau mit dem noch mehr süße Liebenswürdigkeit gebraucht; diese
Für Dolche“ unter der mangelhaften und primitiven Deko= Gestalt entwaffnet eben Rademacher durch das über¬
cation der gute Eindruck der Darstellung herab=fließende Wohlwollen, welches zugleich einen Stich
ins Kraftlose, Weibische besitzt.
gestimmt wurde wie diesmal. In einzelnen Leistungen
nun läßt sich ganz gut ein Vergleich ziehen, welcher
Das Lustspiel „Literatur" muß gerade noch einmal
keineswegs zu Ungunsten unserer Schauspielkräfte aus=so flott gespielt werden, als es der Fall war, und
Abfällt; der allgemeine Eindruck steht allerdings weit ferner schreit das Stück noch nach ein paar kräftigen
Abhinter der Wirkung des Burgtheater=Ensembles, da Stücken. Den Grundton der drei Charaktere haben
das Spieltempo diesmal viel zu langsam genommen
Frl. Hahn (Margarethe) und die Herren Varndal
wurde und die Sicherheit in den Rollen leider keine (Klemens) und Hoppé (Gilbert) richtig getroffen.
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hjvollkommene war. Es wundert uns nicht, wenn sich Nur sollte Herr Varndal noch mehr übertriebene
we Direktor und Regisseur bei dem geringen Interesse Eleganz und komischen Adelstolz und Herr Hoppé
Leunseres Publikums für diese literarischen Neuheiten mehr lächerliches Künstler=Uebermenschentum zur Schau
th nicht bewogen fühlen, einen besonderen Aufwand zur tragen. Die Einakter wurden mit vielem Beifall
Inszenierung zu entfalten und es sich mit einem ausgenommen.
1.
bloßen Markieren der Dinge genügen lassen. Der
Gemäldesaal in dem Schauspiel „Die Frau mit dem
Dolche“ hat aber doch an die Phantasie des Zuschauers
allzu große Anforderungen gestellt. Es ist schwer an
einer Provinzbühne in diesem Falle eine stilgerechte
Dekoration aufzubringen, immerhin aber sollte der
Stimmung des Werkes, wenn man es schon aufführt,
mehr Rechnung getragen werden, damit die ohnedies
etwas schwer zu erkennende Tendenz des Stückes von
der dekadenten Wiedergeburt der Dinge, nicht durch
äußerliche Lächerlichkeiten total verwischt wird. Die
Darstellung selbst war klar und exakt. Frl. Hahn
hat die Romantik des Werkes richtig erfaßt und den
Versen edlen und kräftigen Ausdruck verliehen. Die
Seelenwandlung vor dem Bilde, durch welchen eben
der Unterschied zwischen dem Heroismus von Einst
und der Dekadenze der Gegenwart zum Ausdruck
kommen soll, ist durch den Dichter an und für sich
schon sehr verschleiert und in zu knappen Worten
ausgedrückt worden. Den Schluß der Geschichte kann
sich jeder seinem inneren Bedürfnisse nach zurecht
legen. Frl. Hahn scheint der romantischen Seite zu
huldigen und auch zum Dolche greifen zu wollen,
um die Ehre ihres Gatten zu rächen. Wenigstens in
ihrem Abgange war ein ähnlicher Entschluß zu er¬
blicken. Im Sinne des Dichters jedoch liegt nach
unserer Auffassung die Ueberwindung dieses tragischen
Konfliktes. Pauline geht und verspricht zu Leonhard
noch einmal zu kommen, um noch einmal und wohl
zum letzten Male glücklich mit ihm zu sein. Darin
liegt die Idee der Dekadenz: Nicht widerstehen zu
können. Aus allem war jedoch zu erkennen, daß
Frl. Hahn bestrebt war, dem Charakter der Pauline
gerecht zu werden. Herr Gerhard war als Leonhard
ebenfalls sehr gut, doch hätte er sich vor den allzu
heftigen Gefühlsausbrüchen hüten sollen. Anerkennung
gebürt ferner dem Remigio des Herrn Varndal.
Das Schauspiel „Die letzten Masken“ hätte
schieden noch eine tiefere Wirkung ausgeübt, wenn
Herr Kneidinger den Journalisten Rademacher
mit seiner schroffen verbissenen Herbheit und Welt¬
verachtung gespielt hätte, wie sie vom Dichter haar¬
scharf vorgezeichnet sind; so aber hat Herr Kneidinger
den Rademacher zu einem weichherzigen alten Einleger
gemacht, dem die harten Anklagen und der eherne
Widerstand, den er selbst als Sterbender nicht ver¬
läßt, gar nicht in den Mund gepaßt haben. Herrn
Kneidinger würde die richtige Charakteristik des Rade¬
macher nicht die geringsten Schwierigkeiten bereiten.]
Schade, daß er sich so in der Auffassung irrte. Eine
vorzügliche Leistung bot Herr Gerhard als Jackwert.
Er war allerdings etwas kraß, aber mit Konsequenz