W
Bei Besprechung der ersten Aufführung von Arthur
Schnitzlers „Lebendige Stunden“ am 10. d.
ist die Verlockung sehr groß, unserem Publikum eine
tüchtige Strafpredigt zu halten. Aber dieses Publikum
ist souverän. Für das Recht seinen unberechenbaret
Launen nachzugeben, bezahlt es baar und wenn ihm
der Name Schnitzler nicht imponirt; wenn es nur für zuelusire
literarisch gelten, nicht aber es auch sein will; wenn porto.
Für
es im Theater seine Denkfunktionen nicht zu strapa=, Zahlbar
zieren beabsichtigt, sondern befriedigt ist, wenn es im Voraus.
lachen kann — so ist dies eben seine Sache. Die zite ist das
Theaterdirektion zieht daraus ihre Konsequenzen. Sie stcht es den
wartet mit demjenigen auf, was die Leutchen gontiren: ndern.
Abonn
mit französischen Schwänken, Operetten u. s. w. Das
Abonnt
athaltend die
Schlechtere, das Schlüpfrigere ist bei uns der siegreiche
Morgen¬
Feind des Guten. So ist es erklärlich, daß „Lebendige
her Zeitung“)
Inhalt Stunden“ nicht jenes volle Hans machten, wie „Ein= irthschaftliche
blät
Kodur quartierung“. Und vom Verständuis, welches die vier d. Diese Mit¬
Leben Einakter Schnitzlers beim Groß der Anwesenden
theilu fanden, schweigt des Sängers Höflichkeit, muß schweigen
es war eben nicht wahrnehmbar. Diese vier
dramatischen Bijons: „Lebendige Stunden", „Die
Frau mit dem Dolche", „Die letzten Masken“ und
„Literatur“ erzählen mit einer verblüffend scharfen
Charakteristik, daß Künstler, seien es nur Poeten,
Maler oder Schauspieler einer lebendigen Stunde
Dauer über ihre Zeit hinaus zu geben sich bemühen,
daß sie ihren Schmerz auch zu
festalten versuchen,
daß die künstlerische Schaffensl aft sie über den
Jammer der Stunde des Daseins emporhebt. Das ist
der gemeinsame Grundgedanken der vier Einatter, die
aber stofflich gar nicht zusammenhängen. „Lebendige
Stunden" und „Letzte Masken“ erschüttern; „Die
Frau mit dem Dolche“ läßt Längstvergessenes, Ererbtes
der Gedanken, mit magischem Zauber in die Gegenwart
hineinleuchten, Märchenglauben der Erwachsenen, werden
es viele nenuen, die Erbschaft des Blutes werden
Realisten sagen. Und voll sprühenden sarkastischen
Humors ist der Einakter „Literatur" Es verlohnte
den Gedankenspuren Schnitzlers zu folgen, aber unser
Publikum lehnte Schnitzler sanft ab
— man muß sich
schämen, aber es ist so — was werden ihm seine
Gedankenspuren bedeuten? Konstatiert muß jedoch
werden, daß unsere Kunstkräfte sich mit Hingebung
dieser Sache der Kunst annahmen. Erschütternd verstand
es Herr Freitag den pensionirten Beamten im
ersten Stücke darzustellen, der den Tod seiner Freundin,
die ihrem Sohn durch ihr Sterben die Freiheit des
Schaffens wiedergeben will, nicht verwinden kann;
den der Verlust der lebendigen Stunden, die der
Verkehr mit ihr ihm bot, gebeugt. Einen guten Abend
hatte Herr Bodanski. Er charakterisirte den
strebenden Journalisten (Letzte Masken) mit treffsicherer
Realistik und fand auch für den Gilbert (Literatur)
den richtigen Ton. Mit einem sicheren Odilogüber¬
mute spielte Frl. Bellau, die mit lebhaftem Applaus
empfangene, mit schönen Blumenspenden geehrte
Benefiziantin, die Margarethe in „Literatur“, da war
Temperament und auch jener überlegene Humor in
dieser Darstellung, der die Idee des Dichters erst im
rechten Lichte erscheinen läßt. Eine prächtige Figur,
die sich sehen lassen kann, war der „Clemens“ des
Herrn St. Swoboda. Herr Fleischer war in
den ersten zwei Stücken beschäftigt. Den Dichter
Heinrich sprach er schön, mit jener gedämpften Ei¬
pfindung, die eben der künstlerlischen Verwertung
der Trauer vorangeht. Als Leonhard war er
rollenunsicher. Frl. Pothy (Pauline) verdient lobende
Erwähnung. Leider zerstörte das unmögliche Bild der
Frau mit dem Dolche den ganzen Eindruck dieses
Stückes. Herrn Fischer gebührt Dank dafür, daß
er sich so sichtlich um Insceuirung und Einstudierung
bemüht. Nur das Spieltempo war ein viel zu lang¬
sames, besonders im letzten Stücke. Sein „Weihgast“
war ein Kabinetstück. Herr Stössel gab den Gärtner
mit guter Wirkung, als Schauspieler Jackwerth war
er unverstäudlich. In Abonnement werden unsere Ge¬
bildeten sich auch diese literarischen Stücke gefallen
lassen. Das ist die wahre Literaturliebe nicht. Stekel.
Alex. Weigl's Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
dee Ausschnitt
„OBSERYEF
Nr.
L. österr- behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
1105 Wien, I Concordiaplarz 4.
Vertretungen in Berlin, Budapest, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris, Rom.
Stockholm, Kristiania, St. Petersburg.
Aussennitt aus: Opasbinge Sadete
vom: 40 70 0
Theater, Künst und Literatur.
Literarischer Abend. Die unter der
Devise „Lebendige Stunden“ gestern an unserer
Bühne gegebenen, von Arthur Schnitzler
stammenden drei Einakter=Novitäten brachten eine
arge Enttäuschung. Es gibt nichts Widerlicheres,
als wenn ein Künstler — sei es auf welch'
immer Gebiete der Kunst — zum Spekulauten
wird und durch absonderliche Versuche in der
Absicht Neues, Verblüffendes, Sensationelles zu
bieten, Stoffe auf die Bühne zerrt — die in ielure
solcher Form und in solchem Kleide niemels auf Porto.
100
200
ahlbar
dem Theater eingebürgert werden können, sondern
500
höchstens in literarische, medizinische oder andere # Voruns.
900
Fachschriften gehören — wenn überhaupt Jemand ist das
ht es den
Geschmack daran finden kann. Die schon ins Un¬ zu.
siunigt, Lächerliche verrante moderne literarische
Richtung hut die Grenze überschritten, in welcher stend die
ihre Talmikunst Anspruch darauf erheben dürfte, lorgen¬
Ernst genommen zu werden und in ihrer Ver= Zeitung")
schaftliche
krüppelung klammert sie sich an den darstellenden Diese Mit¬
Künstler in der Hoffnung, daß dessen Genie solchen
Mißgeburten gerade Glieder auschmieden vermag,
auf welchen sie sich vor dem sicheren Falle auf¬
rechtzuerhalten vermögen. Auf Provinzbühnen
sind solche Experimlute doppelt schwierig, weil
da nur zu oft die Darsteller selbst auf den
eigenen Beinen nicht zu stehen vermögen. Wie
peinlich ist es wohl da für den Kritiker, immer
wieder den Stab über derlei Jammergestalten
brechen zu müssen und man kann nur über die
Kühnheit einer Bühnenleitung stannen, welche trotz
solcher peinlicher Mißerfolge immer wieder Dar¬
stellern Aufgaben zutheilt, welchen sie nicht ge¬
Fachten ##
A1
hukiler „Wir Irscll
vem Dolche“ wurde durch solche Stümperei gauz¬
unverständlich und man bedauerte Frl. v. Lin¬
den, die in ihrer ehrlichen Bemühung ans der
Rolle der „Pauline“ etwas Faßbares, Mögliches
und Erklärliches zu schaffen abselnt keine ergür
—geude Unterstützung fand. Dieses dramatische
Sezessionsbild fiel gänzlich durch. Ein krasses,
trübes Spitalbild, dessen Millien mit Tuberkeln.
geschwängert ist, bietet das Schauspiel „Die
letzten Masken“. Zwei Darsteller Herr Wil¬
helmy und Herr Pallenberg fanden darir
ein Feld, um ihre hervorragende Begabung zu
zeigen. Ihr Fleiß wäre einer besseren Sache
würdig gewesen. Wenn das so in der modernen
Bühnenliteratur fortgeht, dann können wir
nächstens vom Krankenzimmer in den Seziersaal¬
vom Seziersaal in die Gruft oder das Massen¬
grab, um dort Zeuge zu sein, wie die Würmer dies
Leichen verspeisen. Wenigsteus werden dann dier
letzten Masken vollends follen und man wird
die literarischen Würmer in ihrer
wahren Gestalt leichter erkennen. Das
letzte Stück, ein Lustspiel „Literatur“ betitelt,
hätte beinahe den Abend gerettet, weün es nicht
gar so unglaublich albern sich ausgewachsen
RRS•
Bei Besprechung der ersten Aufführung von Arthur
Schnitzlers „Lebendige Stunden“ am 10. d.
ist die Verlockung sehr groß, unserem Publikum eine
tüchtige Strafpredigt zu halten. Aber dieses Publikum
ist souverän. Für das Recht seinen unberechenbaret
Launen nachzugeben, bezahlt es baar und wenn ihm
der Name Schnitzler nicht imponirt; wenn es nur für zuelusire
literarisch gelten, nicht aber es auch sein will; wenn porto.
Für
es im Theater seine Denkfunktionen nicht zu strapa=, Zahlbar
zieren beabsichtigt, sondern befriedigt ist, wenn es im Voraus.
lachen kann — so ist dies eben seine Sache. Die zite ist das
Theaterdirektion zieht daraus ihre Konsequenzen. Sie stcht es den
wartet mit demjenigen auf, was die Leutchen gontiren: ndern.
Abonn
mit französischen Schwänken, Operetten u. s. w. Das
Abonnt
athaltend die
Schlechtere, das Schlüpfrigere ist bei uns der siegreiche
Morgen¬
Feind des Guten. So ist es erklärlich, daß „Lebendige
her Zeitung“)
Inhalt Stunden“ nicht jenes volle Hans machten, wie „Ein= irthschaftliche
blät
Kodur quartierung“. Und vom Verständuis, welches die vier d. Diese Mit¬
Leben Einakter Schnitzlers beim Groß der Anwesenden
theilu fanden, schweigt des Sängers Höflichkeit, muß schweigen
es war eben nicht wahrnehmbar. Diese vier
dramatischen Bijons: „Lebendige Stunden", „Die
Frau mit dem Dolche", „Die letzten Masken“ und
„Literatur“ erzählen mit einer verblüffend scharfen
Charakteristik, daß Künstler, seien es nur Poeten,
Maler oder Schauspieler einer lebendigen Stunde
Dauer über ihre Zeit hinaus zu geben sich bemühen,
daß sie ihren Schmerz auch zu
festalten versuchen,
daß die künstlerische Schaffensl aft sie über den
Jammer der Stunde des Daseins emporhebt. Das ist
der gemeinsame Grundgedanken der vier Einatter, die
aber stofflich gar nicht zusammenhängen. „Lebendige
Stunden" und „Letzte Masken“ erschüttern; „Die
Frau mit dem Dolche“ läßt Längstvergessenes, Ererbtes
der Gedanken, mit magischem Zauber in die Gegenwart
hineinleuchten, Märchenglauben der Erwachsenen, werden
es viele nenuen, die Erbschaft des Blutes werden
Realisten sagen. Und voll sprühenden sarkastischen
Humors ist der Einakter „Literatur" Es verlohnte
den Gedankenspuren Schnitzlers zu folgen, aber unser
Publikum lehnte Schnitzler sanft ab
— man muß sich
schämen, aber es ist so — was werden ihm seine
Gedankenspuren bedeuten? Konstatiert muß jedoch
werden, daß unsere Kunstkräfte sich mit Hingebung
dieser Sache der Kunst annahmen. Erschütternd verstand
es Herr Freitag den pensionirten Beamten im
ersten Stücke darzustellen, der den Tod seiner Freundin,
die ihrem Sohn durch ihr Sterben die Freiheit des
Schaffens wiedergeben will, nicht verwinden kann;
den der Verlust der lebendigen Stunden, die der
Verkehr mit ihr ihm bot, gebeugt. Einen guten Abend
hatte Herr Bodanski. Er charakterisirte den
strebenden Journalisten (Letzte Masken) mit treffsicherer
Realistik und fand auch für den Gilbert (Literatur)
den richtigen Ton. Mit einem sicheren Odilogüber¬
mute spielte Frl. Bellau, die mit lebhaftem Applaus
empfangene, mit schönen Blumenspenden geehrte
Benefiziantin, die Margarethe in „Literatur“, da war
Temperament und auch jener überlegene Humor in
dieser Darstellung, der die Idee des Dichters erst im
rechten Lichte erscheinen läßt. Eine prächtige Figur,
die sich sehen lassen kann, war der „Clemens“ des
Herrn St. Swoboda. Herr Fleischer war in
den ersten zwei Stücken beschäftigt. Den Dichter
Heinrich sprach er schön, mit jener gedämpften Ei¬
pfindung, die eben der künstlerlischen Verwertung
der Trauer vorangeht. Als Leonhard war er
rollenunsicher. Frl. Pothy (Pauline) verdient lobende
Erwähnung. Leider zerstörte das unmögliche Bild der
Frau mit dem Dolche den ganzen Eindruck dieses
Stückes. Herrn Fischer gebührt Dank dafür, daß
er sich so sichtlich um Insceuirung und Einstudierung
bemüht. Nur das Spieltempo war ein viel zu lang¬
sames, besonders im letzten Stücke. Sein „Weihgast“
war ein Kabinetstück. Herr Stössel gab den Gärtner
mit guter Wirkung, als Schauspieler Jackwerth war
er unverstäudlich. In Abonnement werden unsere Ge¬
bildeten sich auch diese literarischen Stücke gefallen
lassen. Das ist die wahre Literaturliebe nicht. Stekel.
Alex. Weigl's Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
dee Ausschnitt
„OBSERYEF
Nr.
L. österr- behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
1105 Wien, I Concordiaplarz 4.
Vertretungen in Berlin, Budapest, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris, Rom.
Stockholm, Kristiania, St. Petersburg.
Aussennitt aus: Opasbinge Sadete
vom: 40 70 0
Theater, Künst und Literatur.
Literarischer Abend. Die unter der
Devise „Lebendige Stunden“ gestern an unserer
Bühne gegebenen, von Arthur Schnitzler
stammenden drei Einakter=Novitäten brachten eine
arge Enttäuschung. Es gibt nichts Widerlicheres,
als wenn ein Künstler — sei es auf welch'
immer Gebiete der Kunst — zum Spekulauten
wird und durch absonderliche Versuche in der
Absicht Neues, Verblüffendes, Sensationelles zu
bieten, Stoffe auf die Bühne zerrt — die in ielure
solcher Form und in solchem Kleide niemels auf Porto.
100
200
ahlbar
dem Theater eingebürgert werden können, sondern
500
höchstens in literarische, medizinische oder andere # Voruns.
900
Fachschriften gehören — wenn überhaupt Jemand ist das
ht es den
Geschmack daran finden kann. Die schon ins Un¬ zu.
siunigt, Lächerliche verrante moderne literarische
Richtung hut die Grenze überschritten, in welcher stend die
ihre Talmikunst Anspruch darauf erheben dürfte, lorgen¬
Ernst genommen zu werden und in ihrer Ver= Zeitung")
schaftliche
krüppelung klammert sie sich an den darstellenden Diese Mit¬
Künstler in der Hoffnung, daß dessen Genie solchen
Mißgeburten gerade Glieder auschmieden vermag,
auf welchen sie sich vor dem sicheren Falle auf¬
rechtzuerhalten vermögen. Auf Provinzbühnen
sind solche Experimlute doppelt schwierig, weil
da nur zu oft die Darsteller selbst auf den
eigenen Beinen nicht zu stehen vermögen. Wie
peinlich ist es wohl da für den Kritiker, immer
wieder den Stab über derlei Jammergestalten
brechen zu müssen und man kann nur über die
Kühnheit einer Bühnenleitung stannen, welche trotz
solcher peinlicher Mißerfolge immer wieder Dar¬
stellern Aufgaben zutheilt, welchen sie nicht ge¬
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A1
hukiler „Wir Irscll
vem Dolche“ wurde durch solche Stümperei gauz¬
unverständlich und man bedauerte Frl. v. Lin¬
den, die in ihrer ehrlichen Bemühung ans der
Rolle der „Pauline“ etwas Faßbares, Mögliches
und Erklärliches zu schaffen abselnt keine ergür
—geude Unterstützung fand. Dieses dramatische
Sezessionsbild fiel gänzlich durch. Ein krasses,
trübes Spitalbild, dessen Millien mit Tuberkeln.
geschwängert ist, bietet das Schauspiel „Die
letzten Masken“. Zwei Darsteller Herr Wil¬
helmy und Herr Pallenberg fanden darir
ein Feld, um ihre hervorragende Begabung zu
zeigen. Ihr Fleiß wäre einer besseren Sache
würdig gewesen. Wenn das so in der modernen
Bühnenliteratur fortgeht, dann können wir
nächstens vom Krankenzimmer in den Seziersaal¬
vom Seziersaal in die Gruft oder das Massen¬
grab, um dort Zeuge zu sein, wie die Würmer dies
Leichen verspeisen. Wenigsteus werden dann dier
letzten Masken vollends follen und man wird
die literarischen Würmer in ihrer
wahren Gestalt leichter erkennen. Das
letzte Stück, ein Lustspiel „Literatur“ betitelt,
hätte beinahe den Abend gerettet, weün es nicht
gar so unglaublich albern sich ausgewachsen
RRS•