II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 567

vom:
Theater, Kunst und Literatur.
Literarischer Abend. Die unter der
Devise „Ledendige Stunden“ gestern an unserer
Bühne gegebenen, von Arthur Schnitzler
stammenden drei Einakter=Novitäten brachten eine
Telephon 12801.
arge Enttäuschung. Es gibt nichts Widerlicheres,
als wenn ein Künstler — sei es auf welch'
Alex. Weigl’s Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
immer Gebiete der Kunst — zum Spekulanten
Dee Ausschnitt
wird und durch absonderliche Versuche in der
„OBSERVE.
Absicht Neues, Verblüffendes, Seusationelles zu
Nr. 57
4 L österr. behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
bieten, Stoffe auf die Bühne zerrt — die in telunf
Wien, I., Concondiaplatz 4.
solcher Form und in solchem Kleide niemals auf Porto.
150
Vertretungen in Berlin, Budapest, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris, Rom,
ahlba
dem Theater eingebürgert werden können, sondern
200
Stockholm, Kristiania, St. Petersburg.
Vor.
höchstens in literarische, medizinische sder andere
500
ist
000 Fachschriften gehören — wenn überhaupt Jemand
ht es
Geschmack haran finden kann. Die schon ins Un¬
gn.
Ausschnitt aus: Pressburger Zeitung
siunige, Lächerliche verraute moderne literarische
Richtung hat die Grenze überschritten, in welcher itend
ihre Talmikunst Auspruch darauf erheben därfte, lorg
vom: 7030
Ernst genommen zu werden und in ihrer Ver¬ Zeitu
krüppelung klammert sie sich an den darstellenden scha#t
Diese
Künstler in der Hoffnung, daß dessen Gente solchen
Theater.
Mißgeburten gerade Glieder auschmieden vermag,
F A 2
auf welchen sie sich vor dem sicheren Falle auf¬
810
#.
110
„Lebendige Stunden.
rechtzuerhalten vermögen. Auf Provinzbühnen
Drei Einakter von Arthur Schmitzler.
sind solche Experim ute doppelt schwierig, weil
Der gestrige „lierarische Abend“ erfreute sich
da nur zu oft die Darsteller selbst auf den
unter der tüchtigen Regie des Herrn Direkior Bla¬
eigenen Beinen nicht zu stehen vermögen. Wie
sel eines sehr guten Besuches. Wasgeboten wurde,
peinlich ist es wohl da für den Kritiker, immer
waren Neuheiten jüngster Richtung. Teri erste Ein¬
wieder den Stab über derlei Jammergestalten
akter „Die Frau mit dem Dolche“, sowie der zweite
brechen zu müssen und man kann nur über die
betitelt „Die letzten Masken“ mundeten wie sezes¬
Kühnheit einer Bühnenleitung stannen, welche trotz
sionistisch gehaltene Feuilletons, die mit Gewalt für.
solcher peinlicher Mißerfolge immer wieder Dar¬
die Bühne zurecht gelegt wurden. Ein Einakter, wo
stellern Aufgaben zutheilt, welchen sie richt ge¬
die Handlung von einer psychopathischen Erscheinung
wachsen und Das Schaufalel
t hirn üli
Für
durchschnitten wird, wo das Gemälde einer „Frau lusiven
dem Dölche“ wurde durch solche Stümperei gau¬
mit dem Dolche“ eine auf Abwege befindliche Gattinssrio.
unverständlich und man bedauerte Frl. v. Liu¬
-albar
in der Phantsie zur Ermordung ihres Buhlen voraus.
den, die in ihrer ehrlichen Bemühung aus der
reizt, die aber aus diesem Zustande erwachend dennoch
Rolle der (Pauline“ etwas Faßbares, Mögliches
das Rendezvons zusagt, ist keine Handlung, da der ist das
und Erklärliches zu schaffen absolut keine ergär¬
Abonn
Gedankengang des menschlichen Gehirnes, die Aeußer= es den
gende Anterstützung fand. Dieses dramatische
Abonn
Sezessionsbilb fiel gänzlich durch. Ein krasses.
ung des widerstrebenden Gewissens ohne Befolgung die
trübes Spitalbild, dessen Millien mit Tuberkeln
desselben eben keine That ist. Eine Szene hingegenrgen¬
Inhalt
geschwängert ist, bietet das Schauspiel „Die
in welcher die letzten Stunden eines schwindsüchtigenzitung“)
blät
letzten Masken“. Zwei Darsteller Herr Wil¬
Schriftstellers in etwas gemeinläufiger Weise pathosjaftliche
wodur.
logisch zergliedert und von einem anderen, nur noche Mit¬
helmy und Herr Pallenberg fanden darin
Leben
Tage lebenden Tuberkulosen in tragikomischer Schau¬
theilur
ein Feld, um ihre hervorragende Begabung zu
spielart begleitet werden, bictet ebenfalls teine büh¬
zeigen. Ihr Fleiß wäre einer besseren Sache
nenfähige Handlung, wozu noch der Umstand kommt,
würdig gewesen. Wenn das so in der modernen
daß die Herzenserregungen eines im Sterben befind¬
Bühnenliteratur fortgeht, dann können wir
lichen Tuberkulosen stimmlich kaum darstellbar find.
nächstens vom Krankenzimmer in den Seziersaal
Nichtsdestoweniger haben Herr Wilhelmy als
vom Seziersaal in die Gruft oder das Massen¬
sterbender Schriftsteller und Herr Pallenberg#
graß, um dort Zer
ge zu sein, wie die Würmer die
als tuberkuloser Schauspieler den Wünschen des Dich¬
Leichen verspeisen. Wenigstens werden dann die
#ters mit all' ihrem tünstlerischen Können zufrieden¬
letzten Masken vollends fallen und man wird
stellende Rechnung getragei. — Der dritte Einakter
die literarischen Würmer in ihrer
aber ist ein prächtiges Salonstück, und diese „Litera¬
wahren Gestalt leichter erkennen. Das
tur“ wird sich noch lange auf dem Repertoire erhal¬
letzte Stück, ein Lustspiel „Literatur“ betitelt,
ten. Hiezu gesellte sich ein vorzügliches Spiel der drei
hätte beinahe den Abend gerrttet, weün es nicht
Charakterrollen. An erster Stelle verdient der Baron
gar so unglaublich albern sich ausgewachsen
Clemens des Herrn Stift als brillante Leistung
haben würde. Immerhin erfreute man sich noch
hervorgehoben zu werden. Ebenfalls gut gab Frl¬
an der ganz vorzüglichen Leistung des Herrn
v. Linden die Rolle der Literatin wieder, die sich
Stift als „Clemens“ und der mit vielen feinen.,
nach bewegtem Leben den „guten“ Baron sichert.
zutreffenden Strichen schattirten Zeichnung des
Ebenso verdient Herr Jausen, der in die Rolle
Frl. v. Linden als „Margarethe“. Der Autor
des aufgegebenen Literaten einsprang, mit Ehren er¬
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Herr Schnitzler, hat mit seinen „Lebendigen
wähnt zu werden. Der gestrige „literarische Abend“
Stunden“ der neuen Bühnenltteratur keinen Dienst
brachte somit Manches und darunter auch Vorzüg¬
geleistet — oder vielleicht doch? Mag sein, daß
liches.
er auch beitrug, deren Scheinleben zu ver¬

kürzen. Die Revolniion, die sich in der mo¬
dernen Literatur vollzogen, hat anstreitig auch ihr
Gutes, manch fauler Ast wird vom Sturme weg¬
gefegt, nach der Gährung folgt die Klärung —
der Bodensatz gehört in den Rinustein.