II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 589

Sich all in ein einzig Wort,
Das gäb' ich den lustigen Winden,
Sie trügen es lustig fort.
Und wie sagt Marie Ebner=Eschenbach so sehön?
Ein kleines Lied, — wie geht's nur an,
Daß es uns so erfreuen kann?
Was liegt darin? Erzähle! —
Es liegt darin ein wenig Klang,
Ein wenig Wohllaut und Gesang
Und eineganze Seele.
Die ganze Seele mit ihrem großen, geheimen Leben,
mit den tausend Erlebnissen, die sich darin vollziehen, mit
den tausend Akten und Katastrophen, die darin vor sich
gehen. Und vielleicht ist es vom rein menschlichen Stand¬
punkte gar nicht so ungerecht, diese Umwertung des inneren
Lebens als eine Art von beneidenswerter oder bedauerns¬
werter Leichtlebigkeit zu bereichnen, die nicht unähnlich ist
jener, die im Schmerze Trost sucht im Champagnerkelche
oder in der Schnapsflasche, die eine große, hoffnungslose
Liebe zu überwinden und zu ermorden imstande ist in den
Armen der Dirne ... Jawohl, jene Umwertung kann
etwas Großes oder etwas Verächtliches sein, — es kommt
auf den Menschen an, in dem sie sich vollzieht.
In den „lebenvigen Stunden“ zeigt der
Dichter an vier Fällen sowohl die Größe als auch die Ver¬
ächtlichkeit dieser Umwertung, — im ersten Akte läßt er es
sogar dem subjektiven Empfinden anheimgestellt, zwischen
Verächtlichkeit und Größe zu entscheiden. Denn wir zandern
und schwanken, ehe wir uns entscheiden, den Jüngling zu
beneiden oder zu beklagen, der das große Opfer seiner
Mutter annimmt, die sich selbst tötet, um ihrem Sohne die
Schaffensfreudigkeit wiederzugeben, die durch ihre lang¬
wierige Krankheit in mitleidende Unfruchtbarkeit versunken
war. Dem Lebenden gehört die Welt! Aber Anton Haus¬
dorfer, der Freund der bewunderungswürdigen Mutter, ist
der Meinung, daß eine Stunde des Lebens mehr werk
ist, als das schönste Gedicht. Wer wollte dieser schlichten
Meinung sein Herz so ganz verschließen?
„Die Frau mit dem Dolche“ ist eine litera¬
rische Bijoutterie von seltener Zartheit, die, um ganz aus¬
gekostet zu sein, von den feineren Nerven eines literarischen
Publikums ausgenommen sein will. Aus der Traumwelt
einer sensiblen Frau, die eben daran ist, der menschlichen
Bürde ihrer weiblichen Natur zu erliegen und einen Treu¬
bruch zu begehen, löst sich plötzlich ein Erlebnis auf trans¬
zendentalem Gebiete los. „Er“, mit dem sie eben die schiefe
Ebene betreten will, und „sie“ stehen in einem Museum
vor dem Bilde eines unbekannten Meisters: „die Frau mit
dem Dolche“ sieht ihr so merkwürdig ähnlich. Was deutet
die erhobene Hand, die den Dolch nach vollbrachter Tat
emporhält? So hat der unbekanite, vergessene Meister
dereinst seinen großen Schmerz um die Treulosigkeit seines
Weibes — umgewertet, so, in diesem grausam=schönen, ge¬
heimnisvollen Bilde, hat der Meister sein Weib verewigt,
als es den Geliebten einer schwachen Nacht ermordet hatte.
Sie liebte ihren Gatten, — und war doch schwach. Nun
war er zurückgekehrt, sie gestand und wöhlte zwischen dem
Leben ihres Geliebten und dem ihres Mannes durch den
Dolch. Und die junge, sensible, moderne Frau, die tief
versonnen vor jenem Bilde steht, kündigt plötzlich dem Ge¬
liebten die verhängnisvolle Schäferstunde an, — die mutige
Entschlossenheit der „Frau mit dem Dolche“ ist über sie ge¬
kommen . . . Sie wird sich dem Geliebten ergeben, heute
Nacht, sie kann nicht anders, sie handelt unter einem un¬
widerstehlichen Drange, — aber sie weiß: nach dieser Schä¬
ferstunde kommt das Schicksal, die Sintflut, der Dolch ..
Und doch geht sie zu ihm. Sie muß. Es ist ihr beschieden.
wie jener dort in dem goldenen Bilderrahmen des Mu¬
seums.
„Die letzten Masken“ hat Arthur Schnitzler in
Teplitz=Schönau vor dem Publikum des „Teplitz=Schönauer
Leseklubs“ selbst vorgelesen. Erinnern wir uns noch ein¬
mal an diese tief ergreifende Szene, in der uns der ideale
Realist in ein Gemach des Wiener allgemeinen Kranken¬
hauses führt. Ein Journalistenleben will dort gerade zu
Ende gehen. Der Journalist Rademacher hat viele Jahre
anderen Leuten gedient, den Ruhm anderer Leute verkün¬
digt, die Ueberzeugung anderer Leute verfochten. Journali¬
stenlos. Nun liegt er sterbend im Spitale, wie — Christus
am Kreuze, dem die schadenfrohe Menge cynisch zurief:
„Anderen hat er geholfen, sich selber kann er nicht hel¬
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