II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 591


dessen geliebtes Weib die — Geliebte des armen Journa¬)
listen gewesen ist, der nun verlassen sterben soll im Spitale.
Ja, das alles will er ihm sagen, — Lächerlichkeit tötet! ..
Und Weihgast kommt, und Rademacher — schweigt ..
Nichts von alledem, was er ihm sagen und in einer, mit
einem kranken Schauspieller wohleinstudierten, hochdra¬
matischen Szene vorhalten wollte, kommt über seine Lippen.
Er stirbt schweigend und jener schmerzvoll=gellende Vor¬
wurf mit ihm. Er stirbt unerlöst, unglücklich, wie er ge¬
lebt. Ja, wenn er ein Schriftsteller, wie Weihgast, gewe¬
sen wäre und aus seinen großen Schmerzen hätte die klei¬
nen Lieder machen können! ... So wird mit ihm ein
großes, gewaltiges Seelendrama, eine ganze pessimistische
Bibliothek zu Grabe getragen, — einer von jenen Hun¬
derten, in denen. Anfang, wenn sie unter die Journa¬
listen gehen, immer ein gutes Stück von einem Konrad
Bolz steckt, bis das Leben einen Schmok oder einen Rade¬
macher aus ihnen macht ...
Den Aktschluß des Abends bildet „Literatur“
eine köstliche Satire auf jenes Durchschnitts=Literatentum,
das in seiner psychischen Leichtlebigkeit, wie schon e#al
gesagt, zu jener bewußten Umwertung greift wie ein an¬
derer zum Glase. „Literatur“ — der Titel ist ein Hahn¬
gelächter über jene „Dichter", die den Zeisigen gleichen,
weil sie auch nur zur Zeit der Brunst singen, aber auch ein
Hohngelächter über jene geistig Blindgeborenen oder Er¬
blindeten, für die das Literatentum ein nicht „standesge¬
mäßes“ Gewerbe ist. Beide Kategorien sind in drei köst¬
lichen Typen auf die Bühne gestellt. Margarete und Gil¬
bert, die beide aus ihrem gemeinsamen Liebesverhältnisse
den unvermeidlichen Roman herausschreiben, in dem sie ihre
gegenseitigen Liebesbriefe der Oeffentlichkeit übergeben, —
wie Wäsche, die auf dem Gartenzaun zum Trocknen aufge¬
hängt wird. Und dann dieser — offenbar durch jahrhun¬
dertelang betriebene Inzucht seines Stammbaumes —
degenerierte Baron! Das sind menschliche Wahrheiten, die
unmittelbar aus dem modernen Leben herausgehoben sind.
Eine Skizzierung des Inhaltes hieße, aus dem lebens¬
vollen Gebilde, an dem jeder Zoll Geist, tiefe Beobachtung,
künstlerische Gestaltungskraft ist, das tote Gerippe heraus¬
schälen.
Die Darstellung und insbesondere auch die gedanken¬
volle Regie des Herrn Julius Haller hat die vier bedeu¬
tenden Akte sehr würdig herausgebracht. Frau Rosa Mül¬
ler=Raul ließ mit der Titelrolle in der „Frau mit dem
Dolche“ und als Margarete in „Literatur“ zwei schöne
Enthüllungen ihres großen, künstlerischen Könnens sehen.
Herr Julius Haller war als Hausdorfer in dem ersten
Akte von imponierender Gestaltungskraft und schwang sich
als Rademacher in den „Letzten Masken“ zur vollen Höhe
seiner genialen Charakterisierung empor. Den Schauspieler
Jackwerth gab Herr Adolf Suchanek in einer wirklich
so geistvollen Charakterstudie, daß es fast unbegreiflich ist,
wieso ihm im letzten Akte die Figur des Gilbert, wenn auch
keineswegs in der Maske, so doch in ihrer inneren Anlage
stark mißlingen konnte. Dieser Gilbert ist nicht, wie ihn
Herr Suchanek auffaßte, ein Kerl voller Selbstironie, der in
einem fort über sich selber kritisch lächelt, — nein, der
Mann ist voll Selbstbewußtsein, glaubt an sich und seine
literarische Sendung, ist also im Grunde eine naive Na¬
tur. Auffallend schön und mit einigen sehr gediegenen, per¬
sönlichen Nuancen charakterisierte Herr Karl Matuna
den Clemens. Herr Franz Tichy war als Weihgast und
Remigio ein gediegener Darsteller, desgleichen Herr Ernst
Hellbach als Heinrich in den „Lebendigen Stunden“
und als Leonhard in der „Frau mit dem Dolche“, nur hätte
vielleicht in dem ersten Akte ein kleine Zügelung in der pa¬
thetischen Deklamation natürlicher gewirkt. Die Charge
der Frau Marie Gröbmaier und des Herrn Carlo
Berger waren sehr ansprechend.
—ch.
I„Die Schützenliesel“, Operette in 3 Akten bau=Leo“
Stein und Karl Lindau. Musik von Edm. Eisler.] Endlich
wieder eine Operette und noch dazu eine Neuaufführung
Eislers „Schützenliesel“ hat in Wien glänzend gefallen und
wird in unausgesetzter Reihenfolge in Wien aufgeführt.
Einen Lobeshymnus können wir trotzdem auf dieses Werk¬
chen nicht singen, obzwar der Komponist von „Bruder
Straubinger“ mit gewaltsamen Anstrengungen einen
höheren Flug zu nehmen sich bemühte. Stellenweise ge¬
lingt ihm das sogar ganz gut, meistens aber hat er sich, da
er der Sonne allzusehr nahte, die Flügel verbrannt und
stürzte lendenlahm hernieder in die gewöhnlichen Bahnenss