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16.1. Lebendige StundenZukins
werter Leichtlebigkeit zu bezeichnen, die nicht unähnlich ist
jener, die im Schmerze Trost sucht im Champagnerkelche
oder in der Schnapsflasche, die eine große, hoffnungslose
Liebe zu überwinden und zu ermorden imstande ist in den
Armen der Dirne ... Jawohl, jene Umwertung kann
etwas Großes oder etwas Verächtliches sein, — es kommt
auf den Menschen an, in dem sie sich vollzieht.
In den „lebendigen Stunden“ zeigt der
Dichter an vier Fällen sowohl die Größe als auch die Ver¬
ächtlichkeit dieser Umwertung, — im ersten Akte läßt er es
sogar dem subjektiven Empfinden anheimgestellt, zwischen
Verächtlichkeit und Größe zu entscheiden. Denn wir zaudern
und schwanken, ehe wir uns entscheiden, den Jüngling zu
beneiden oder zu beklagen, der das große Opfer seiner
Mutter annimmt, die sich selbst tötet, um ihrem Sohne die
Schaffensfreudigkeit wiederzugeben, die durch ihre lang¬
wierige Krankheit in mitleidende Unfruchtbarkeit versunken
war. Dem Lebenden gehört die Welt! Aber Anton Haus¬
dorfer, der Freund der bewunderungswürdigen Mutter, ist
der Meinung, daß eine Stunde des Lebens mehr wert
ist, als das schönste Gedicht. Wer wollte dieser schlichten
Meinung sein Herz so ganz verschließen? —
„Die Frau mit dem Dolche“ ist eine litera¬
rische Bijoutterie von seltener Zartheit, die, um ganz aus¬
gekostet zu sein, von den feineren Nerven eines literarischen
Publikums aufgenommen sein will. Aus der Traumwelt
einer sensiblen Frau, die eben daran ist, der menschlichen
Bürde ihrer weiblichen Natur zu erliegen und einen Treu¬
bruch zu begehen, löst sich plötzlich ein Erlebnis auf trans¬
zendentalem Gebiete los. „Er“, mit dem sie eben die schiefe
Ebene betreten will, und „sie“ stehen in einem Museum
vor dem Bilde eines unbekannten Meisters: „die Frau mit
dem Dolche“ sieht ihr so merkwürdig ähnlich. Was deutet
die erhobene Hand, die den Dolch nach vollbrachter Tat
emporhält? So hat der unbekannte, vergessene Meister
dereinst seinen großen Schmerz um die Treulosigkeit seines
Weibes — umgewertet, so, in diesem grausam=schönen, ge¬
heimnisvollen Bilde, hat der Meister sein Weib verewigt,
als es den Geliebten einer schwachen Nacht ermordet hatte.
Sie liebte ihren Gatten, — und war doch schwach. Nun
16.1. Lebendige StundenZukins
werter Leichtlebigkeit zu bezeichnen, die nicht unähnlich ist
jener, die im Schmerze Trost sucht im Champagnerkelche
oder in der Schnapsflasche, die eine große, hoffnungslose
Liebe zu überwinden und zu ermorden imstande ist in den
Armen der Dirne ... Jawohl, jene Umwertung kann
etwas Großes oder etwas Verächtliches sein, — es kommt
auf den Menschen an, in dem sie sich vollzieht.
In den „lebendigen Stunden“ zeigt der
Dichter an vier Fällen sowohl die Größe als auch die Ver¬
ächtlichkeit dieser Umwertung, — im ersten Akte läßt er es
sogar dem subjektiven Empfinden anheimgestellt, zwischen
Verächtlichkeit und Größe zu entscheiden. Denn wir zaudern
und schwanken, ehe wir uns entscheiden, den Jüngling zu
beneiden oder zu beklagen, der das große Opfer seiner
Mutter annimmt, die sich selbst tötet, um ihrem Sohne die
Schaffensfreudigkeit wiederzugeben, die durch ihre lang¬
wierige Krankheit in mitleidende Unfruchtbarkeit versunken
war. Dem Lebenden gehört die Welt! Aber Anton Haus¬
dorfer, der Freund der bewunderungswürdigen Mutter, ist
der Meinung, daß eine Stunde des Lebens mehr wert
ist, als das schönste Gedicht. Wer wollte dieser schlichten
Meinung sein Herz so ganz verschließen? —
„Die Frau mit dem Dolche“ ist eine litera¬
rische Bijoutterie von seltener Zartheit, die, um ganz aus¬
gekostet zu sein, von den feineren Nerven eines literarischen
Publikums aufgenommen sein will. Aus der Traumwelt
einer sensiblen Frau, die eben daran ist, der menschlichen
Bürde ihrer weiblichen Natur zu erliegen und einen Treu¬
bruch zu begehen, löst sich plötzlich ein Erlebnis auf trans¬
zendentalem Gebiete los. „Er“, mit dem sie eben die schiefe
Ebene betreten will, und „sie“ stehen in einem Museum
vor dem Bilde eines unbekannten Meisters: „die Frau mit
dem Dolche“ sieht ihr so merkwürdig ähnlich. Was deutet
die erhobene Hand, die den Dolch nach vollbrachter Tat
emporhält? So hat der unbekannte, vergessene Meister
dereinst seinen großen Schmerz um die Treulosigkeit seines
Weibes — umgewertet, so, in diesem grausam=schönen, ge¬
heimnisvollen Bilde, hat der Meister sein Weib verewigt,
als es den Geliebten einer schwachen Nacht ermordet hatte.
Sie liebte ihren Gatten, — und war doch schwach. Nun