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16.1. Lebendige Stunden—Zuklus
68 —
eine papierene Welt günstiger Rezensionen, durch die er
„gemacht" wurde. Aber noch mehr! Er will ihm sagen,
wie lächerlich er gewesen, er, der gefeierte Schriftsteller,
dessen geliebtes Weib die — Geliebte des armen Journa¬
listen gewesen ist, der nun verlassen sterben soll im Spitale.
Ja, das alles will er ihm sagen, — Lächerlichkeit tötet! ..
Und Weihgast kommt, und Rademacher — schweigt ..
Nichts von alledem, was er ihm sagen und in einer, mit
einem kranken Schauspieler wohleinstudierten, hochdra¬
matischen Szene vorhalten wollte, kommt über seine Lippen.
Er stirbt schweigend und jener schmerzvoll=gellende Vor¬
wurf mit ihm. Er stirbt unerlöst, unglücklich, wie er ge¬
lebt. Ja, wenn er ein Schriftsteller, wie Weihgast, gewe¬
sen wäre und aus seinen großen Schmerzen hätte die klei¬
nen Lieder machen können! ... So wird mit ihm ein
großes, gewaltiges Seelendrama, eine ganze pessimistische
Bibliothek zu Grabe getragen, — einer von jenen Hun¬
derten, in denen im Anfang, wenn sie unter die Journa¬
listen gehen, immer ein gutes Stück von einem Konrad
Bolz steckt, bis das Leben einen Schmok oder einen Rade¬
macher aus ihnen macht ...
Den Aktschluß des Abends bildet „Literatur",
eine köstliche Satire auf jenes Durchschnitts=Literatentum,
das in seiner psychischen Leichtlebigkeit, wie schon einmal
gesagt, zu jener bewußten Umwertung greift wie ein an¬
derer zum Glase. „Literatur“ — der Titel ist ein Hohn¬
gelächter über jene „Dichter“, die den Zeisigen gleichen,
weil sie auch nur zur Zeit der Brunst singen, aber auch ein
Hohngelächter über jene geistig Blindgeborenen oder Er¬
blindeten, für die das Literatentum ein nicht „standesge¬
mäßes" Gewerbe ist. Beide Kategorien sind in drei köst¬
lichen Typen auf die Bühne gestellt. Margarete und Gil¬
bert, die beide aus ihrem gemeinsamen Liebesverhältnisse
den unvermeidlichen Roman herausschreiben, in dem sie ihre
gegenseitigen Liebesbriefe der Oeffentlichkeit übergeben, —
wie Wäsche, die auf dem Gartenzann zum Trocknen aufge¬
hängt wird. Und dann dieser — offenbar durch jahrhun¬
dertelang betriebene Inzucht seines Stammbaumes —
degenerierte Baron! Das sind menschliche Wahrheiten, die
unmittelbar aus dem modernen Leben herausgehoben sind.
16.1. Lebendige Stunden—Zuklus
68 —
eine papierene Welt günstiger Rezensionen, durch die er
„gemacht" wurde. Aber noch mehr! Er will ihm sagen,
wie lächerlich er gewesen, er, der gefeierte Schriftsteller,
dessen geliebtes Weib die — Geliebte des armen Journa¬
listen gewesen ist, der nun verlassen sterben soll im Spitale.
Ja, das alles will er ihm sagen, — Lächerlichkeit tötet! ..
Und Weihgast kommt, und Rademacher — schweigt ..
Nichts von alledem, was er ihm sagen und in einer, mit
einem kranken Schauspieler wohleinstudierten, hochdra¬
matischen Szene vorhalten wollte, kommt über seine Lippen.
Er stirbt schweigend und jener schmerzvoll=gellende Vor¬
wurf mit ihm. Er stirbt unerlöst, unglücklich, wie er ge¬
lebt. Ja, wenn er ein Schriftsteller, wie Weihgast, gewe¬
sen wäre und aus seinen großen Schmerzen hätte die klei¬
nen Lieder machen können! ... So wird mit ihm ein
großes, gewaltiges Seelendrama, eine ganze pessimistische
Bibliothek zu Grabe getragen, — einer von jenen Hun¬
derten, in denen im Anfang, wenn sie unter die Journa¬
listen gehen, immer ein gutes Stück von einem Konrad
Bolz steckt, bis das Leben einen Schmok oder einen Rade¬
macher aus ihnen macht ...
Den Aktschluß des Abends bildet „Literatur",
eine köstliche Satire auf jenes Durchschnitts=Literatentum,
das in seiner psychischen Leichtlebigkeit, wie schon einmal
gesagt, zu jener bewußten Umwertung greift wie ein an¬
derer zum Glase. „Literatur“ — der Titel ist ein Hohn¬
gelächter über jene „Dichter“, die den Zeisigen gleichen,
weil sie auch nur zur Zeit der Brunst singen, aber auch ein
Hohngelächter über jene geistig Blindgeborenen oder Er¬
blindeten, für die das Literatentum ein nicht „standesge¬
mäßes" Gewerbe ist. Beide Kategorien sind in drei köst¬
lichen Typen auf die Bühne gestellt. Margarete und Gil¬
bert, die beide aus ihrem gemeinsamen Liebesverhältnisse
den unvermeidlichen Roman herausschreiben, in dem sie ihre
gegenseitigen Liebesbriefe der Oeffentlichkeit übergeben, —
wie Wäsche, die auf dem Gartenzann zum Trocknen aufge¬
hängt wird. Und dann dieser — offenbar durch jahrhun¬
dertelang betriebene Inzucht seines Stammbaumes —
degenerierte Baron! Das sind menschliche Wahrheiten, die
unmittelbar aus dem modernen Leben herausgehoben sind.