II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 597

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16.1. Lebendige Stunden zuklus
Telephen 12.801.
„OBSERVER
österr. bekördl. konz. Unternehmen für Zeltungs-Ausschaltte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
à Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Geni, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
vom: 5·FERI9Matt, Czernowit

Tbeater und Kunst.
Czernowitz, 4. Februar.
Literarischer Abend. Unsere Theaterdirektion wollte
den Versuch machen, die so oft von der Presse erhobenen
idealen Forderungen durch die Veranstaltung literarischer
Abende zu erfüllen, aber das Publikum hat durch seine
Teilnahmslosigkeit schon gelegentlich der ersten Veran¬
staltung bewiesen, wie wenig Interesse es im Theaterg
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der Literatur entgegenbringt. Vor einem kleinen Häuflein #.
von Zuschauern mußte gespielt werden, und so stellte
sich die rechte Stimmung nicht ein und die Wechse
wirkung zwischen Bühne und Zuhörern. Die Reihe der
vorgeführten Stücke bewegte sich von den Tönen einer
aus Düsternis und Erbitterung hervorgehenden Resig¬
nation zum Maliciösen und der Groteske. Da ist in
Schnitzlers „Letzten Masken“ in eng zusammengepreßten!
Szenen die kleine Kante zwischen Tod und Leben, auf
welcher dieser Dichter mit seiner Poesie und seinen An¬
schauungen sich so gern bewegt. Letzte Masken, den
Lebenden in ihren Nöten aufgezwungen, fallen, wenn
wir uns daran machen, aus ihren Reihen zu scheiden.
Karl Ridemacher, der Journalist, der nach langer auf¬
reibender und erfolgloser Arbeit im Krankenhaus seiner
letzten Stunde entgegensieht, will Abrechnung halten
mit seinem vom Glück begünstigtern Freunde, dem
Dutzenddichter Weihgast. Was er früher nicht gekonnt,
jetzt will er ihm sagen, daß er ihn stets geringgeschätzt,
daß er ihn verachtet und mir dessen eigener Frau be¬
trogen habe. Er will Rache nehmen an der Flachheit,
die ihn bemitleidet und sich für gottähnlich gehalten
hat. In aller Bitternis will Rademacher noch die einzige
Süßigkeit verkosten, die glückliche Mittelmäßigkeit zu
demütigen und sie ihres Glaubens zu berauben. Als
Weihgast jedoch in später Nachtstunde zu ihm kommt
schweigt der Sterbende. Eine Wandlung ist in ihm in¬
zwischen vorgegangen, eine letzte Erkenntnis ihm zu
Teil geworden, und wenn er spricht, so klingen seine
Worte wie von einem andern Ufer her, Worte eines
aus der Gemeinschaft der Lebenden Geschiedenen. „Was
hätte ich ihm sagen sollen? Was ist dem, der heute
stirbt, einer, der morgen noch leben wird? Haß, Liebe,
Rache und Nachruhm, das sind Sachen für Lebende..“
Schnitzler hat hier einen tragischen Endpunkt aufge¬
griffen und ist mit tiefem Begreifen letzten Lebens¬
ergebnissen nachgegangen. In einer Nußschale, welch
ein Goldgehalt an Weisheit und Psychologie.. In den
„Litzten Masken“ ist eine bittere, im „Dieb“ von
Mirbeau eine spielerische und heitere Ironie. Mit einer
eleganten Klinge berührt hier der Dichter die verschleierte
und aufgeschmückte Korruption der modernen Gesellschaft.
Lachende Wahrheiten in einem scherzhaften Einfall.
Ein Dieb aus Lebensphilosophie, ein Apostel eines noch
verfehmten Handwerks, dem er in der Reihe der Berufe
soziale Anerkennung und Berechtigung verschaffen will.