II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 626

16.1. Lebendige Stunden Zyklus box 21/5
Telephon 12801.
* Minm trntrnirereernnnen
O l. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
6
Wien, I., Concordiaplatz 4.
6
Tessing=Theater.
Vertretungen
Neu einstudiert: „Lebendige Stunden“, vier Einakter
G in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
von Arthur Schnitzler.
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
M. J. Die neue Ernte scheint leider keinen guten Geschmack zu ver¬
(Quellenangabe ohne Gewahr.)
heißen. Sonst würde der Direktor des Lessing=Theaters sich schwerlich

dazu entschließen, zum zweiten Male einen älteren Jahrgang aus
Ausschnitt aus:
#ung, Berlin
dem Keller zu holen. Dieser Repetitionskursus, der mit dem
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„Tal des Lebens“ beganu, brachte uns gestern Schnitzlers seit
3 1908
sechs Jahren bekannten Einakterzyklus „Lebendige Stunden“.
E vom:

Nicht doch, der Zyklus ist ja zersprengt. Denn das erste Drama, das
den symbolischen Titel deutete,
ist inzwischen kurzerhand
Theater und Musik. 1977.
gestrichen worden. Dafür wurde der Puppenspieler“
Im Lessing=Theater wurden gestern abend Arthur Schnitzlers
„Lebendige Stunden“ mit sehr starkem Erfolg wieder auf¬
genommen. Das melancholische Herbstück, das unserem geist¬
reichsten und literarisch dauerhaftesten Einakter=Cyklus den
gleichfalls ein alter Bekannter, an den Anfang gesetzt. Das braucht
nun definitiv durch den in¬
Namen gegeben hat,
weiter nicht tragisch genommen zu werden. Denn Einakter, die sich
teressanten, vor allem schauspielerisch lohnenderen „Puppen¬
auf der Bühne zusammenfinden, pflegen meist in wilder Ehe zu¬
(pieler“ ersetzt worden. Auch das folgende Schauspiel „Die
leben, und das Gesetz, das ihre Gemeinschaft zum Schein abstempelt,
Frau mit dem Dolche“ obgleich durch lebhaften Beifall
heißt der Zufall.
anerkannt, hätte ich gerne ersetzt gesehen. Seelenwanderung,
Schnitzlers Grazie, die dem Pathos und der Flachheit gleich fern!
in diesem Falle aus einem modernen Museum zu einer
zu bleiben weiß, ist vor dem Schicksal des Veraltens geschützt.
Renaissancerevision, ist ein dankbares Motiv, aber gerade wenn es
Gerade seine kleineren Bühnenwerke können eine Wiederholung alter
*
sich vor unseren Augen versinnlicht, erstickt es die angeregte Phantasie.
Eindrücke am besten vertragen, ohne zu enttäuschen. Gestern ver=
Auch wenn das Lessingtheater seine Maschinerie gewandter handhabte,
sagte nur das Schauspiel „Die letzten Masken“, die Spitalszene,
sie drückt zu stark auf diesen dramatischen Einfall, setzt ihn zu
in der ein Entgleister seine Nache an dem erfolgreichen Rivalen
langsam und umständlich auseinander. Eine Bühnenminute kann
eine Ewigkeit veranschaulichen; werden aber zehn Minuten hinterher
so künstlich vorbereitet, um zum Schlusse auch auf diesen
für einen Augenblick halluzinatorischer Abwesenheit ausgegeben,
letzten Trumpf in der Verklärung der Todesstunde zu verzichten.
so kann mein Verstand allenfalls zustimmen, während meine
Albert Bassermann mag an diesem lauen Erfolge die Schuld
Phantasie sich weigert. Ein anderes Vergehen gegen die
tragen. Denn er hat sich verleiten lassen, die salbungsvolle Nichtigkeit
poetische Illusion verschuldet die mangelhafte Sprechkunst,
des Glückskindes allzu aufdringlich zu karikieren. Zum Ausgleich ließ
musikalische Leben des
wenn alles auf das sinnliche,
er seine Kunst in den beiden anderen Rollen, die er beibehalten hat,
Verses ankommt. Herr Stieler, der sich im ersten Stück
desto verschwenderischer leuchten, Als „Puppenspieler“, der sich als
durch seine schlichte Herzlichkeit ausgezeichnet hatte, eben¬
Schicksalslenker seiner Mitmenschen aufspielt, um seine Ohnmacht an
so wie seine Partnerin Frau Hofmann hat nie einen Vers
einem rührsamen Exempel zu erkennen. Vor allem aber als
sprechen können, und Herr Decarli, vom Dresdener Hoftheater er¬
fendaler Sportsman in der köstlichen Satire „Literatur", deren
zogen, spricht wieder den Vers so reinlich, daß er sich auch von aller
Bosheiten gestern so herzlich wie am ersten Tage belacht wurden.
Bestimmtheit des Affekts gereinigt hat. Der Dialog der beiden folgenden
Die lässige Grazie dieses Aristokraten, der seine bedächtige Ruhe auch
Stücke: „Die letzten Masken“ und Litteratur“ der geistigste,
anregendste, funkelndste, den ein deutscher Dramatiker unserer Zeit
im Moment der Erregung nicht einbüßt, spielt ihm so leicht niemand
geschrieben hat, wurde mit anderer Sicherheit und mit allen Lannen
nach. Nur ein subtiles Können darf es wagen, barbarisch und doch
von zarter Melancholie bis zur spitzbübischsten Satire wiedergegeben.#
nicht unliebenswürdig, banausisch und doch nicht lächerlich zu scheinen.
Die Hauptrollen sind in den bewährten Händen geblieben, und sief
Irene Triesch sekundiert ihrem Partner nach wie vor in diesem
können in keine besseren kommen. Herr Reicher exzellierte wieder
Einakter, der seinem Antor allein schon den spät errungenen Grillparzer¬
mit seinem sterbenden Literaten. Herr Bassermann prangte durch
Preis hätte erobern sollen. Sie nuanciert ein wenig greller als früher,
drei Stücke mit seiner geistreichen Erfindung, mit seiner unerschöpf¬
ohne die Eindringlichkeit ihrer Wirkungen zu schmälern. Die
lichen Wandelbarkeit, und Frau Triesch gab ihre entschlossene
Leidenschaft, die sie hier als gerettete und rückfällige
Wärme dazu. Die Rittnerschen Rollen hat Herr Forest geerbt, der?#
Aesthetin so launig parodiert, darf sie ohne Ironie als „Frau
sich eine würdige Nachfolge, namentlich in Literatur", mit
mit dem Dolch“ austoben. Dieses Traumstück, das nach¬
seinem bedächtigen Humor erstritt. Bis die guten neuen
denklich an das Problem der Seelenwanderung rührt, könnte
Stücke kommen, soll man es nur mit den guten älteren
in der Inszenierung
in dem theatralischen Mißvergnügen
ein kräftigeres Aufgebot an drama¬
versuchen. Es war,
dieses Winters, ein lustvoller, erfrischender, abwechslungsreicher
turgischer Phantasie vertragen. Doch seine zarte Mystik
Abend, dem man doch eine Einheit der Stimmung zuerkennen muß.
errang gestern einen lebhafteren Beifall als früher,
da
Man hört feine Dinge über Leben und Sterben, man gerät in den
der unzulängliche Liebhaber der Uraufführung jetzt von dem
angenehmen Zustand unangestrengten Sinnens man weiß nicht
erfreulich gereiften Kurt Stieler abgelöst ist. Von den
recht worüber, und damit bewährt sich gerade das dichterische Gemüt,
übrigen Ersatzmännern sind Emanuel Reicher und Karl
daß es trotz so viel Geist doch nicht zu Geist wird, daß es Un¬
Forest zu nennen. Reichers sterbender Journalist in den
ausgesprochenes, leise weiter Wirkendes in den Untergründen zurück
„Letzten Masken“ läßt die Illusion der verbitterten Seele nicht¬
behält. A. E.