II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 629

16. 1. Lebendige Stunden zyklus box 21/5
verschmäht es der Gute dennoch, sie vor der Welt zum
Gana Theater und Konzerte.
Vorschein zu bringen, denn das Leben ist nach seiner An¬
Berlin, 5. März.
schauung ein albernes Puppenspiel, und die Menschen sind
Das Lessing=Theater veranstaltete gestern zur Ab¬
nicht viel mehr wert als Puppen, die man an den Drähten
wechselung einmal wieder einen Schnitzler=Abend.
tanzen läßt. Diese Anschauung, in die Tat umgesetzt, be¬
Gegeben wurden die vier Einakter Arthur Schnitzlers:
kommt ihm aber übel, denn am Ende entpuppt er sich selbst
„Der Puppenspieler“
„Die letzten Masken“ „Die
als eine haltlose Puppe, von der Hand des Schicksals
Frau mit dem Dolche" und „Literatur“, allesamt
herumgeworfen, niedergeschlagen und zerzaust. ... In den
schnurriger Weise vereint unter dem Gesamttitel „Leben¬
„Masken“ sehen wir einen Journalisten, der noch in der
dige Stunden“, der ein einaktiges Stück Schnitzlers be¬
Todesstunde voll grenzenlosem Haß gegen den erfolg¬
zeichnet, welches gar nicht in die Erscheinung trat. Es
reicheren Rivalen, diesen zerschmettern will, aber vor dessen
paßte dieser Titel also sozusagen wie die Faust aufs Auge.
ahnungsloser Borniertheit und stupender Minderwertigkeit
Das gilt auch noch im anderen Sinne. Denn diese „leben¬
kapituliert: eine quälende, beklemmende Szene, nach
digen Stunden“, die der Verfasser höchst anspruchsvoll
deren Ende sich der Brust unwillkurlich ein
dem Publikum suggerieren will, bedeuteten ein paar ver¬
befreiender Seufzer entringt.
„Die Frau mit
lorene, tote Stunden. Die Langeweile soll ja bekanntlich
dem Dolche“ ist wohl das wirhamste der Sächelchen. Der
töten können.
Verfasser spielt hier, wie er das auch sonst so gerne tut,
Herr Schnitzler hat schon viele Einakter geschrieben. Das
mit dem Seelenwanderungsproblem und kokettiert in wider¬
Aphoristische, leise Andeutende, das gelinde Säuseln und
wärtiger Weise mit philosophischer Tiefgründigkeit. Eine
schleierhafte Vertuschen, aus dem die Phantasie des Zu¬
Frau fällt vor einem Haleriebild, vor der Dame mit dem
schauers sich doch nach Belieben alles mögliche herausholen
Dolche in hysterische Träumereien und wähnt sich tief ins
kann — das ist es, was seiner schriftstellerischen Wesenheit
Mittelalter zurückversetzt, wo ihre Seele in anderer Hülle
am besten „liegt". Zu schwächlich und seelenschwindsüchtig,
schon einmal auf Erden wandelte, suchend nach galanten
um einen großen Wurf wagen zu können, möchte er uns
Abenteuern und sich in solchen „auslebend“. Nach dem Er¬
weismachen daß er in seinen kleinen Sachen den großen
wachen findet sie natürlich ihren zum Ehebruch bereiten
Gehalt erschütternder Dramen ausschöpft und ihn gleichsam
Galan, um mit ihm den seit Jahrhunderten zerrissenen
kondensiert — eine Art dramatischer Fleischextrakt —
— in
Faden wieder festzuknüpfen. — „Litteratur“ behandelt in
Kurs bringt. Vielleicht macht er sich das auch selbst weis.
burlesk=komischer Weise die Auseinandersetzung des leichten
Dann aber ist es eine gewaltige Selbsttäuschung. Denn
Literatums mit einem kunstfeindlichen Aristokraten — ein
niemals werden raffiniert pointierte Dialoge mit in Geist¬
Stück, in dem das Wiener Kaffeehausmilieu ebenso drastisch
reichigkeit schillernden Bonmots eine dramatische Handlung
wie drollig gezeichnet ist. — Ziehen wir die Summe aus
ersetzen. Daß Schnitzler hierfür aber kein Organ besitzt,
dem gesamten „Erlebnis“ so bleibt dramatisch eine große
hat er in seinen „abendfüllenden“ Stücken, beispielsweise in
Null, gedanklich ein Konglomerat von Spitzfindigkeiten, die
dem „Zwischenspiel“ zur Genüge erkennen lassen. Wenn
in einer Sammlung „Schnitzel und Späne“ vereinigt, unter¬
dies auf allen Bühnen durchgefallene Werk mit dem
haltsamer sein würde, als in der gegebenen Form.
Grillparzerpreise gekrönt wurde, so beweist das durchans
Gespiolt wurde von den ersten Kräften der Lessingbühne
nichts für Herrn Schnitzler, vielmehr alles gegen die
meisterlich. Herr Bassermann zeigte wieder glänzend
samose Jury.
die geniale Vielseitigkeit und schöpferische Gestaltungkraft
Im „Puppenspieler“ zeigt uns der Verfasser einen seiner
seiner künstlerischen Natur, die ihresgleichen in der Gegen¬
Uebermenschen. Voll von den genialsten dichterischen Ideen
wart kaum finden dürfte. Herr Reicher war der vollendete,

charf und sicher zeichnende Charakteristiker, und Frau
Triesch verband mit ihrem warmblütigen Temperament
eine tief eindrucksvolle Innerlichkeit. Auch die Herren
Forest und Stieler, sowie Frau Hofmann standen
auf angemessener künstlerischer Höhe. Das Publikum ver¬
hielt sich teils zurückhaltend, teils sogar ablehnend. Erst
am Schluß gelangte ein lebhafter Applaus zum Durchbruch.
Paul Lerch.