II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 630

16. 1. Lebendige Stunden zuklus box 21/5
galerie, wo, in einem nachgedunkelten Renaissance=Porträt: „Frau bedürftiger, einer mit
Feuilleton.
mit dem Dolche — unbekannter Meister“ eine moderne, sinnliche zweiflung —, dafür wird
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Dame sich selbst wieder erkennt, ihre einstige Erscheinungsform, ihr lange dankbar sein. Er h
Lessing=Theater.
dunkles, wogendes Schicksal vor vielen hundert Jahren. Der und das Material dazu
(Arthur Schnitzler: „Lebendige Stunden“.)
schmale Saal mit den Gemälden; die Dame und ihr Liebhaber, beide funden... (In zwei an
gefährbet (auch der jungen Renate Fuchs Liebesgeschichte begann Routinier, lächelnd und
Von Arthur Schnitzler, zu dem man wie zu einem Abenteuer
in der Pinakothek, eines Sommertags gegen Abend); dann dies Emanuel Reicher, der
geht: leicht irritiert und im Smoking —, von Arthur Schnitzler
plötzliche Wiedererkennen der Situation, diese cajochgien, dies Sich= letzten Stunden darzustellen
kommt man wie von einem Abenteuer: ein wenig verwirrt und
besinnen: „Das muß ich doch schon einmal erlebt haben“ —, und
ein Summen im Kopf und im Geunde enttäuscht. Dieser Wiener
abwehren können, daß er
wie dann aus der finsteren Goldflut der Vergangenheit das
Skeptiker, der es nicht erträgt, soltairianer zu sein, und der
voller, männlicher Spieler
Parallel=Schicksal aufleuchtet —, diese große Miniatur=Kühnheit, wahren Aengsten der Zeit.
deshalb die allzu entgöttlichte Went mit psychopathischen Wundern
die an Tiefen rührt, klingend und lockend und abweisend —, sie Journalisten Rademacher.
bevölkern möchte —, dieser Arrangeur mit den weichen Hände wird sich länger im Gedächtnis der Menschen erhalten als die
Klare Leistungen gabe
eines Arztes reizt die Epidermis unserer Einsicht und unser übrigen Szenen (die die Gestaltung von Einfällen, Aphorismen
Wünsche, weckt — mit einer Geberde — auch den Willen tieferer
Marx. Alles etwas phi
sind, mit dem Konzentrationswert einer enthüllenden Viertelstunde)
Schichten und versagt diesem Willen die Sättigung (muß sie, kraft
Charakterunterschied zwisch
In der Darstellung trug nicht „Die Frau mit dem Dolche“ deu des Komödianten jetzt gan
seiner feinen Schwäche, in die er verliebt ist, versagen). Bei Oscar
Hauptton. Irene Triesch ist nicht dazu da, seelischem Erschaue### östliche Kunst; Schule und
Wilde, in der Bibliothek mit der Aussicht auf den Green Park, sagt bannkräftige Nachhaltigkeit zu leihen. Das Sichere dieser einwands= Großen und das Sachsen
Gilbert zu Ernst: „Zigaretten haben wenigstens einen Reiz: sie lassenfreien Kompromißkünstlerin liegt in allem, was nahe der Sinnlichkeitschw Suppe und bunte
unbeiriedigt.“ Schnitzler, der Dichter, hat mehr Reize als selbst solche
liegt (was denn bei den Frauen freilich viel ist): in der Katzenhaftig¬
Ligaretten, deren Tabak englische Aitachés ihren Freunden aus
keit der großen Dame, in dem Geschmeidigen, dem feuchten Blick, den
Kai#o nach London gesandt haben —; aber das eigentliche seiner
feuchten Lippen, dem Leuchten der Augen. Aber selbst ihre
poetischen Physis, seines Weltbildes, seiner Eigenwilligkeit, seiner
Mondänität ist bürgerlich, vielleicht großbürgerlich, plutokratisch.
Wirkungsart bleibt: er läßt unbefriedigt.
Frau Triesch hat mit der Moderne nichts zu schaffen. Sie kommt
Und das um so fühlbarer, wenn man uns Früheres von ihm
von den Makart=Buketts und hat sich bis zu dem eleganten Pfeudo¬
aufs Neue sehen läßt. Dieses Frühere hat zu altern begonnen,
Mystizismus von Gabriel Max entwickelt.
schmerzlich= schnell, aber (zum Teil) auf eine köstliche Weise.
Alles, was der Irene Triesch fehlt: die Fülle innerer patho¬
Da entströmt einigem ein Duft von Edelfäulnis, fast so,
logischer Möglichkeiten, das hat Albert Bassermann. Dieser
als genössen wir einen galant=sentimentalen Dichter des ancien
große Künstler bot gestern, als „Puppenspieler“, eine Gestalt, die
régime und nicht den Dr. Schnitzler, geboren in Wien, lebt man als einen Freund bewahren wird. Er zeigte (über den
ebenda. Man kennt diese Einakter der „Lebendigen Stunden“, die Dichter hinauswachsend) die kleine Pose, zu der die intellektuelle
Dr. Brahm jetzt wieder auf seine, immer etwas haushälterische
Dämonie sich heute verurteilt sieht; einen Ramponierten, der sich
Bühne gebracht hat; man kennt auch den aus einem anderen
krampfhaft und bitter=glücklich in seinen hellgelben Sommerpaletot
Cyklus dazugenommenen „Puppenspieler“. Und man erinnert sich:
versteckt (vielleicht hat er keinen Rock darunter); einen, der, allen!
wie, in der Spitalszene der „Letzten Masken“, ein Sterbender überlegen —, in Lebensdingen allen unterlegen, sich doch seinen
dem Gehaßten Böses, Entlarvendes sagen will — und wie er,] Duft gerettet hat, seine höhnisch=vibrierende Note, sein Apartes,
gegenüber der Banalität des Lebenden, davon absteht; wie, in der
seine graziös=verzerrte Vornehmheit, das Bewußtsein, ein innerer
„Literatur", ein dralles Weibchen, anstatt in die Liebes=Mansarden
Verschwörer gegen alle Konsolidierten zu sein, gegen alle die, die
der Bohème zurückzukehren, doch lieber im warmen Stall des ganz an weißgedeckten Tischen sitzen und sich von einem Dienstmädchen be¬
unliterarischen Aristokraten bleibt (Nähe Hartlebens); wie einer,
dienen lassen... Wie dieser scheinbar gescheiterte Puppenspieler sich
der in verbissener Dämonie als Puppenspieler andere zu lenken
verkriecht und sich genießt und einer Rührung anheimfällt und doch der
glaubte, selbst als der Unfreieste, Determinierteste, auch Glück= Stärkste ist —, wie er sich selbst erledigt mit Ironie und doch auf¬
losefte entpuppt wird; — und dann diese Szene in der Bilder=reckt als ein Freier, ein Eroberer, ein Schönheits= und Erregungs¬