II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 631

an

16.1. Lebendige Stunden zuklus box 21/5
galerie, wo, in einem nachgedunkelten Renaissance=Porträt: „Frau bedürftiger, einer mit dem großen Kunstwert der
leton.
mit dem Dolche — unbekannter Meister“, eine moderne, sinnliche zweiflung —, dafür wird man dem Menschenerwecker Basser
Dame sich selbst wieder erkennt, ihre einstige Erscheinungsform, ihr
lange dankbar sein. Er hat einen Edlen unserer Zeit gesche
Theater.
dunkles, wogendes Schicksal vor vielen hundert Jahren. Der und das Material dazu hatte er in seinem eigenen Inner
sebendige Stunden“.)
schmale Saal mit den Gemälden; die Dame und ihr Liebhaber, beide funden... (In zwei anderen Rollen machte Bassermann,
gefährdet (auch der jungen Renate Fuchs Liebesgeschichte begann
em man wie zu einem Abenteuer
Routinier, lächelnd und nebenbei, zwei brillante Studien.).
in der Pinakothek, eines Sommertags gegen Abend); dann dies
Emoking —, von Arthur Schnitzler
Emanuel Reicher, der immer die Qual und das Pathos
plötzliche Wiedererkennen der Situation, diese dvajuchpei, dies Sich¬
nteuer: ein wenig verwirrt und
letzten Stunden darzustellen hat, wird schwer den Verdacht von
besinnen: „Das muß ich doch schon einmal erlebt haben“ —, und
nnde enttäuscht. Dieser Wiener
abwehren können, daß er nicht allzusehr dabei leidet. Ein ern
wie dann aus der finsteren Goldflut der Vergangenheit das
soltairianer zu sein, und der
voller, männlicher Spieler — gewiß; aber doch nie einer mit
Parallel=Schicksal aufleuchtet —, diese große Miniatur=Kühnheit, wahren Aengsten der Zeit. So auch in der Rolle des sterbem
en mit psychopathischen Wundern
die an Tiefen rührt, klingend und lockend und abweisend —, sie
Journalisten Rademacher.
angeur mit den weichen Händss wird sich länger im Gedächtnis der Menschen erhalten als die
Klare Leistungen gaben die Herren Stieler, Forest u
#is unserer Einsicht und unser übrigen Szenen (die die Gestaltung von Einfällen, Aphorisrnen
erde — auch den Willen tieferer
Marx. Alles etwas philologische Leistungen. (Wie denn di
sind, mit dem Konzentrationswert einer enthüllenden Viertelstunde)
len die Sättigung (muß sie, kraft
Charakterunterschied zwischen der Bühne des Germanisten und di
In der Darstellung trug nicht „Die Frau mit dem Dolche“ den
verliebt ist, versagen). Bei Oscar
des Komödianten jetzt ganz rein destilliert ist: nördliche und süt
Hauptton. Irene Triesch ist nicht dazu da, seelischem Erschauert:
östliche Kunst; Schule und Welttheater; das Preußen Friedrichs de¬
Aussicht auf den Green Park, sagt bannkräftige Nachhaltigkeit zu leihen. Das Sichere dieser einwands= Großen und das Sachsen Augusts des Starken; Sparta und Alhen;
en wenigstens einen Reiz: sie lassen
freien Kompromißkünstlerin liegt in allem, was nahe der Sinnlichkeit
ter, hat mehr Reize als selbst solche
schw Suppe und bunte Schlüssel; Brahm und Reinhardt.) Ha.
liegt (was denn bei den Frauen freilich viel ist): in der Katzenhaftig¬
che Attachés ihren Freunden aus
216t
keit der großen Dame, in dem Geschmeidigen, dem feuchten Blick, den
en —; aber das eigentliche seiner
feuchten Lippen, dem Leuchten der Augen. Aber selbst ihre
des, seiner Eigenwilligkeit, seiner
Mondänität ist bürgerlich, vielleicht großbürgerlich, plutokratisch.
friedigt.
Frau Triesch hat mit der Moderne nichts zu schaffen. Sie kommt
wenn man uns Früheres von ihm
von den Makart=Buketts und hat sich bis zu dem eleganten Pfeudo¬
Frühere hat zu altern begonnen,
Mystizismus von Gabriel Max entwickelt.
Teil) auf eine köstliche Weise.
Alles, was der Irene Triesch fehlt: die Fülle innerer patho¬
Duft von Edelfäulnis, fast so,
logischer Möglichkeiten, das hat Albert Bassermann. Dieser
sentimentalen Dichter des ancien große Künstler bot gestern, als „Puppenspieler“, eine Gestalt, die
chnitzler, geboren in Wien, lebt man als einen Freund bewahren wird. Er zeigte (über den
er der „Lebendigen Stunden“, die Dichter hinauswachsend) die kleine Pose, zu der die intellektuelle
keine, immer etwas haushälterische Dämonie sich heute verurteilt sieht; einen Ramponierten, der sich
nt auch den aus einem anderen krampfhaft und bitter=glücklich in seinen hellgelben Sommerpaletot
nspieler“. Und man erinnert sich:
versteckt (vielleicht hat er keinen Rock darunter); einen, der, allen
Letzten Masken“, ein Sterbender überlegen —, in Lebensdingen allen unterlegen, sich doch seinen
des sagen will — und wie er,] Duft gerettet hat, seine höhnisch=vibrierende Note, sein Apartes,
enden, davon absteht; wie, in der seine graziös=verzerrte Vornehmheit, das Bewußtsein, ein innerer
anstatt in die Liebes=Mansarden Verschwörer gegen alle Konsolidierten zu sein, gegen alle die, die
lieber im warmen Stall des ganz
an weißgedeckten Tischen sitzen und sich von einem Dienstmädchen be¬
t (Nähe Hartlebens); wie einer,
dienen lassen... Wie dieser scheinbar gescheiterte Puppenspieler sich
Puppenspieler andere zu lenken verkriecht und sich genießt und einer Rührung anheimfällt und doch der
te, Determinierteste, auch Glück= Stärkste ist —, wie er sich selbst erledigt mit Ironie und doch auf¬
unn dies. Szene in der Bilder=reckt als ein Freier, ein Eroberer, ein Schönheits= und Erregungs¬