II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 637

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16.1. Lebendige Stunden— zyklus
HNE
April 1910
FREIR VOLKSBUHNE
April 1910
Seite
ehedem ein Dichter der eleganten Welt war, immer tiefer ins
rtur Schnitzler.
Menschliche seiner Gestalten eingedrungen ist. Aus einer nicht
der eigentliche Jungwiener
ganz ohne Frivolität gemachten Weltanschauung des Genusses
ehenen Wiener Professoren¬
ist er zu einer grundernsten Philosophie des Erlebens hinauf¬
be andas Schicksal¬
gewachsen.
Die beiden Einakter =Die
Artur Schnitzler ist von Beruf Arzt. Es ist charakteristisch
ature sind etwa 15 Jahre
für seine innere Wandlung, dass er seine Erlebnisse als unter¬
Gegenüberstellung der drei
suchender Forscher der menschlichen Seele erst in späteren
und der inneren Entwick¬
Jahren offenbart hat. Aber er ist allmählich bei aller Milde und
Sanftheit, die ihm eignet, ein durchdringlicher Beobachter ge¬
Ironiker, der die galanten
worden, und das Lächeln, das in seinem ersten galanten Stücke
zwischen 20 und 30 Jahren
nur eingelernt schien, ist später erst wahrhaft echt geworden.
yklus-Anatolz, dem die
Er musste eine Periode erlebten Ernstes durchmachen, ehe er
n ist, beschäftigt sich mit
sich zu diesem Lächeln durchringen konnte. Niemand kann Artur
männer, denen es in allen
Schnitzler verstehen, der nicht seine Novelle =Sterbene gelesen
ie gewisse äussere Eleganz
hat. Er hat sich seine eigene Oberflächlichkeit ausgetrieben durch
leidet, sie wollen auch, dass
das Ueberdenken des Todesproblems! Was er als Arzt gesehen,
gebenswürdig und geschmack¬
das ist drum erst nach vielen Jahren in dem Künstler Schnitzler
keine Leidenschaften, aber
reif geworden. Vor dem Tode werden so viele Probleme des
pfindungen. Sie haben alle
Lebens lächerlich und nebensächlich. Was uns in gesunden Tagen
ber sie wissen die Hohlheit
Gott weiss wie wichtig dünkte, dafür haben wir vor dem Tode
verkleiden. Sie lieben nicht,
nur mehr ein mattes Lächeln. Das ist die Grundstimmung des
nicht, sie haben nur Ein¬
Dramas-Die letzten Maskens. Ein verbummelter Jjour¬
En eine gewisse Gescheitheit,
nalist, der vielleicht ein Genie, vielleicht auch nur ein Schwa¬
s Lebens klug abzufinden
droneur war, will vor seinem Tode einem glücklicheren Rivalen
, aber sie tun sehr erfahren.
erzählen, wie viel reicher sein armes Leben gewesen als das des
esenes aufgestapelt, und sie
Erfolgreichen. Die Frau des Glücklichen ist in den Armen des
olische Locke zurechtgelegt,
Gestrandeten gelegen! Der Sieger war eigentlich der Besiegte!
eine Zeitlang in Jungwien
Eine letzte Regung von Neid und Hass peitscht den Kranken auf,
innige Verbindung mit den
dem Nebenbuhler in der letzten Stunde die Wahrheit zu sagen.
en das und sind immerfort
Aber dann sieht er ihn wirklich vor sich, den gehetzten Menschen,
Abenteuer zerfallen und in
der täglich für sein bisschen Ruhm zittern muss, einen arm¬
abenden, eleganten jungen
seligen, in tausend Aengsten zitternden Sklaven des Glückes, und
kleine Theaterdamen, liebens¬
plötzlich erkennt er, wie nichtig und wertlos das bisschen Ruhm,
Ehebrecherinnen, kurz: ge¬
Ehre, Erfolg ist. Da schweigt er und lässt den Nebenbuhler
die auch äusserlich immer
laufen. Vor dem Tode werden so viele Wichtigkeiten zu Nichtig¬
diesen kleinen Anatol-Ein¬
keiten! Der arme journalist im Krankenzimmer schweigt und sein
eelische Zustand der jungen,
Schweigen ist ein überlegenes Lächeln..
e sie in den Achtzigerjahren
Der Einakter -Literaturs ist das Uebermütigste, was
Schnitzler je geschrieben hat. Es ist eine Verhöhnung der kleinen
entliche dichterische Wesen
Gewerbetreibenden der Feder, die aus ihren Liebesnächten sinn¬
s er selber längst aus dieser
liche Gedichte und aus ihren Verhältnissen erlebte Romane
inausgewachsen ist. Er ist,
machen. Ueber diesem Einakter konnte das Wort eines nor¬
eworden (obwohl er natür¬
wegischen Dichters stehen: -Leben wird zu Kunst verpfuscht
wesen ist), er ist sittlicher
und die Kunst wird zum Geschäft. Auch hier hat Schnitzler mit
geschaut hat, weil er, der
dem ruhigen, unbeirrbaren Forscherblick des Arztes und mit dem