II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 646

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16.1. Lebendige Stunden Zyklus
eigenen Sohne diese furchtbare Tatsache in sophi¬
stischer Wechselrede enthült. Dieser antwortet in
gleicher Münze: er wirft seine dichterische Begabung
in die Wagschale und das Opfer der Mutter schnellt
federleicht in die Höhe. Der zweite Einakter „Die
Telephon 12.801.
Frau mit dem Dolche“ greift in jene rätselhafte
Welt, die als Traum, Ahnung oder Halluzination

verwirrend in die taghelle Klarheit unseres Bewußt¬
„OBSERTEN
seins emporsteigt. Ein Bild, dem ein vor hundert
Jahren begangener Ehebruch zu Grunde liegt, treibt
I. österr. beh. konz. Unternehmen für Zeitungs¬
heute eine prädestinierte Beschauerin dieses Bildes
Ausschnitte und Bibliographie.
in einen ähnlichen Fall. Auf dem nüchternen Boden
Wien, I., Concordiaplatz 4.
pathologischer Wirklichkeit bewegt sich das dritte
Vertretungen
Stück „Die letzten Masken". Zwei Todeskandidaten,
in Berlin, Brüssel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
verbitierte arme Teufel, möchten ihre letzten, „leben¬
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
digen Stunden“ dazu benützen, ihre ganze lebens¬
New-York, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
lang angesammelte Galle los zu werden. Aber es
burg, Toronto.
Onollenangabe ohne Gewähr.)
geht nicht: in kraftlosem Wiederkauen beruflicher
Phrasen träumen sie hinüber. An Stelle der ent¬
Ausschnitt aus:
zückenden „Literatur“, die den Zyklus als fein zise¬
Deutsches Abendblatt, Prag
lierte Plauderei schließt, gab man diesmal die rei¬
18 1. 1911
vom:
zende aber auf einen ganz andern Ton gestimmte

Komödie „Komteß Mitzi“. Die Wiedergabe, besonders
der beiden ersten Einakter war nicht stimmungsvoll

genug. Die Gartenszenerie des ersten Stückes war
Neues deutsches Theater.
zu offen und verschlang viel von dem bald zu stark,
Lebendige Stunden.
bald zu schwach pointierten Zwiegespräch der Herren
ler.
Vier Einakter von Arthur Schnitz.
Max Schütz und Kaaden. Hierauf folgte eine
(Neu einstübrerts.
dreißig Minuten währende Zwischenpause, die das
Diese vier Schauspiele sind eine aparte Gabe
Publikum mit allen Zeichen der Unruhe ansfüllte.
für literarische Feinschmecker. Der Grundton der¬
Als dann „Die Frau mit dem Dolche“ erschien,
selben ist das markante Erlebnis in seinen Bezie¬
hatte besonders Frl. Steinheil einen schweren
hungen zu der nachkostenden Erinnerung. Aber die
Stand, die helle, mondäne Klangfarbe ihres Sprech¬
Stellung, die der Dichter selbst zu der gegebenen
organs genügend nachzudunkeln. Viel besser gelang
Aufgabe nimmt, ist so schwankend wie die ganze
es Herrn Tiller mit seiner scharf charakterisie¬
Empfindungswelt der blasierten Wiener Aestheten,
renden Eigenart den Leonard interessant zu ge¬
die alle Gefühlswerte nur als Thema zu geistreichen
stalten. Leider stellte der Umbau der Zwischenszene
Variationen betrachten. In dem ersten, den Ge¬
hinter dem Gaze=Vorhange, sowie der Kostümwechsel
samttitel führenden Einakter philosophieren zwei
der beiden Hauptdarsteller durch eine übermäßige
Männer über eine Frau, die einem langen Siech¬
Länge das Publikum wiederum auf eine so starke
tum freiwillig ein Ende gemacht hat, um ihren Sohn
Geduldprobe, daß für den Ausklang des geistvollen
in seinem dichterischen Schaffen nicht zu hindern.
Einakters kaum mehr als ein flüchtiges Beifalls¬
Es ist der gewesene Freund dieser Frau, der ihrem I murmeln übrig blieb. Den stärksten Eindruck rief

das dritte Stück „Die letzten Masken“ hervor, dessen
offen da liegender Naturalismus nichts zu deuten
gibt. Die Herren Manning (Journalist), Huttig
(Schauspieler) und Rittig (berühmter Dichter)
verstanden es, ihre prächtig durchgeführten Aufgaben
zu einem brillanten Zusammenspiel zu verbindend.
Die Komödie „Komteß Mitzi“ soll denen, die bis
zum Schlusse geblieben sind, viel Vergnügen und
den bekannten flotten Darstellern viel Beifall ge¬
bracht haben.
P. R.